Ich bin dann mal in Rumänien
Das EVS lässt einen viel rumkommen.Diesesmal war das Ziel Rumänien. Alles zu meiner Reise und der sagenhaften Landschaft in Transsilvanien könnt ihr im Folgenden nachlesen.
Hat jemand Lust, für eine Woche nach Rumänien zu fahren? Mit dieser Frage überraschte uns unsere Organisation vor einigen Wochen. Ohne lange zu zögern kam ein energisches Ja aus den Mündern meiner Mitbewohner/Projektpartner/Freunde und mir. Kurz darauf flogen die Fragezeichen kreuz und quer durchs Büro. Was machen wir da? Was wissen wir überhaupt über Rumänien? Wo genau soll es eigentlich hingehen? Und wie zum Teufel kommen wir dort hin?
Die Frage nach dem Grund unserer Reise war schnell beantwortet: es handelte sich um einen Trainingskurs zum Thema Projektmanagement im Zuge des Erasmus+-Programms. Die Liste der Teilnehmer las sich auch durchaus interessant. Mitstreiter aus Bulgarien, Mazedonien, Polen, Spanien, Kroatien, Griechenland, Rumänien und Ungarn sollten eine Woche zusammen verbringen und sich mit dem Thema Projektmanagement auseinandersetzen.
Die ungarische „Delegation“ bestand übrigens aus einem Italiener, einem Franzosen und einem Deutschen: The Hungarian Guys! Der einwöchige Kurs fand in Borzont in der Nähe von Gheorgheni statt. Genauer gesagt waren wir zwar in Rumänien, die Einheimischen sehen es aber lieber, wenn man Transsilvanien sagt. Ja, Transsilvanien (im deutschen auch als Siebenbürgen bezeichnet), die Heimat des sagenumworbenen Grafen Dracula. Bei der Person des Draculas handelt es sich ursprünglich um den Fürsten Vlad III. Drăculea, der von 1431 bis 1477 in Rumänien lebte. Der Name Drăculea bedeutet, vom lateinischen Wort draco abgeleitet, der Sohn des Drachen. Die uns bekannte Figur des Draculas als blutsaugender Vampir lässt sich auf den Roman Dracula von Bram Stoker aus dem Jahr 1897 zurückführen – Geschichtsstunde beendet.
Also machten wir uns am 1. Mai auf den Weg nach Transsilvanien. Die Tickets für den Zug hatten wir zum Glück bereits am Vortag gekauft. Fast fühlte man sich, als würde man ein Bankkonto eröffnen wollen oder versuchen, bei der Kfz-Zulassungsstelle sein Auto umzumelden. Um entspannt anzukommen, wählten wir die Übernacht-Variante in einer Schlafkabine. Allerdings sollte sich dieses „entspannt ankommen“ jedoch als Trugschluss erweisen. Nach kaugummiziehenden 45 Minuten am Ticketschalter und ständigen Rückfragen des Schalterbeamten auf Ungarisch an uns, bei denen man eine 50:50-Chance hat, mit Igen für Ja und Nem für Nein die richtige Antwort zu treffen, waren wir endlich im Besitz unserer Tickets. Am nächsten Tag machten wir uns gegen Nachmittag auf den Weg. Unser erstes Ziel führte uns ins Zugbistro, in dem wir schnell ins Gespräch mit einigen Rumänen kamen. Stolz demonstrierte man uns nach einigen Minuten die Besonderheit der rumänischen Geldscheine: unzerstörbar und komplett aus Plastik. Auch mit größter körperlicher Anstrengung war es unmöglich, einen Schein zu zerreißen. Einige Hollywoodsternchen und Freunde kolumbianischer Exportschlager hätten sicherlich ihre Freude an diesen Geldscheinen. Nach einer langen Nacht im Zugbistro und nur wenig Schlaf erreichten wir gut durchgeschüttelt – die rumänischen Gleise suchen ihresgleichen – im Morgengrauen die Provinzstadt Gheorgheni in der Region Siebenbürgen. Der Kursverantwortliche Zoltan holte uns wie versprochen vom Bahnhof ab, um uns zum Hotel zubringen. Mittlerweile war die Sonne aufgegangen und wir konnten einige erste Blicke auf die transsilvanische Landschaft erhaschen. Nach nur einigen Minuten erreichten wir das Hotel. Ihr seid die ersten und das Programm startet erst morgen, teilte uns Zoltan noch mit, bevor er wieder im Bett verschwand. Das Hotel, ein kompletter Holzbau, lag wortwörtlich in The Middle of Nowhere. Das soll jedoch keinesfalls negativ klingen. Schlicht und ergreifend eine wunderschöne, ja wenn nicht sogar mystische Landschaft bot sich uns dar. Umgeben von in Nebel getauchten Bergen, der klingenden Glocken der grasenden Kühe und einer fast ohrenbetäubenden Stille machte uns ein wenig ehrfürchtig gegenüber diesem Fleckchen Erde.
Aber wir waren ja eigentlich nicht auf einer Urlaubsreise. Also nutzten wir diesen letzten freien Tag für eine kleine Erkundungstour rund um das Hotel. Am nächsten Tag startete das eigentliche Programm. Im Verlauf des letzten Tages und in der Nacht trafen auch alle weiteren Kursteilnehmer ein. Pünktlich um 09:30 Uhr ertönte im Hotelflur, auf voller Lautstärke, der Song Narcotic von Liquido. Dieser Song sollte fortan das Zeichen für alle sein, sich im Konferenzraum einzufinden. Sangen einige am ersten Tag noch lächelnd mit, so verging spätestens am dritten Tag jedem die Lust, diesen Song zu hören.
Für die Verantwortlichen der Veranstaltung hatte dies den Vorteil, dass alle versuchten, möglichst pünktlich zu sein, damit dieses (meine persönliche Meinung) absolut grausame Lied abgestellt wurde. Wie von Projekten und Kursen dieser Art gewohnt, begannen wir mit den allseits beliebten Kennenlernspielchen. Schnell wurde deutlich, dass eine sehr entspannte und offenherzige Atmosphäre innerhalb der Gruppe zu finden war. Nach der Bekanntmachung des Wochenplans fanden sich alle im Speisesaal ein. Eine lange Tafel für die rund 26 Teilnehmer bot sich uns dar. Bei Kerzenschein und einem typischen transsilvanischen Essen ließen wir den ersten Tag ausklingen. Die transsilvanischen Speisen bestehen hauptsächlich aus Fleisch und somit bedeutete dies für mich als Deutschstämmiger absolut keine Umstellung. Fast fühlte ich mich ein wenig wie zuhause, zumindest was das Essen anbelangte.
Nach einem weiteren Projekttag, auf den ich hier nicht weiter eingehe, stand mit einem Internationalen Abend eines der Highlights auf dem Programm. Alle Ländervertreter waren bereits vorab dazu aufgerufen, typische Speisen und Getränke ihrer Länder mitzubringen. Bevor wir uns jedoch über die Köstlichkeiten hermachten, verfolgten wir noch eine folklorischen Tanzdarbietung. Mit Bravour meisterten die jungen Tänzer die schwindelerregenden Pirouetten des transsilvanischen Tanzes. Mir wurde schon vom Zuschauen schlecht. Und wiederholt kam mir der Gedanke, dass diese Tänzer ein NASA-Training ohne Schwierigkeiten absolvieren könnten. Nach einem anschließenden durchaus schweißtreibenden Gruppentanz wurde endlich das Buffet freigegeben. Somit aß und trank man sich von Griechenland über Bulgarien nach Spanien und wieder zurück. Spanische Tapas, griechischer Schafkäse begleitet von kroatischem Raki und bulgarischem Schwarzbier ließen die Gaumen der Teilnehmer hochleben.
Am nächsten Tag wurde der Kurs um einiges konkreter. Nach einer kurzen Vorstellung der Teilnehmerorganisationen wurde wir – je nach Präferenz – in verschiedene Gruppen eingeteilt. Ziel war es, in Gruppenarbeit bis zum Ende des Kurses ein eigenes Projekt auszuarbeiten und vorzustellen. Hierbei konnte man sich zwischen einem Trainingskurs, einem Jugendaustausch und dem Europäischen Freiwilligen Dienst entscheiden. Von Energie und Kreativität strotzend stützen sich alle in die Arbeit. Vom Videodreh, über die Frage der Unterkunft für die potenziellen Teilnehmer bis hin zur Freizeitgestaltung sollte alles überdacht werden. Logos und Flyer wurden entworfen, Homepages gestaltet und zu guter Letzt die allseits bekannte PowerPoint-Präsentation angefertigt.
Nach dieser doch sehr intensiven Arbeit hatten wir uns einen freien Tag verdient. Das sahen zum Glück auch die Verantwortlichen so. Schließlich war es fast schon Quälerei, jeden Tag durch das Fenster des Konferenzraums diese wunderschöne Landschaft zu sehen, ohne jedoch tiefer in sie abtauchen zu können. Also machten wir uns im Bus auf, um das transsilvanische Hinterland zu erkunden. Während der Busfahrt herrschte zum ersten Mal seit Tagen absolute Stille. Jeder klebte mit der Nase an der Busscheibe, um möglichst viel von den landschaftlichen Eindrücken aufzusaugen. Eigentlich erwartete man jeden Moment einen alten weißbärtigen Mann mit Stock, der auf einem Einhorn vorbei reitet (nein, ich habe den rumänischen Geldschein nicht „zweckentfremdet“). Zunächst wanderten wir durch rumänische Canyons und gelangten schließlich zum Mördersee. Die genaue Geschichte zum Mördersee habe ich leider nicht parat, aber in Zeiten des Internets kann sich ja jeder selbst informieren, falls Interesse besteht. Beim Abendessen in Gheorgheni, bei dem wir auf den Geburtstag zweier Teilnehmer anstießen, ließen wir schließlich einen rundum gelungen Tag ausklingen.
Der letzte Tag war angebrochen. Nach einer Reflexion des Erlebten und einigen herzlichen Worten war es an der Zeit, die Resultate unserer Gruppenarbeit vorzustellen. Jede Gruppe hatte die Möglichkeit, ihr ausgearbeitetes Projekt den Mitgliedern der anderen Gruppen vorzustellen. Und in der Tat weckten einige Projektvorschläge durchaus allgemeines Interesse und man konnte sich sehr gut vorstellen, an diesen Projekten mitzuwirken. Am Abend verabschiedete man sich bei einem gemütlichen Barbecue und tauschte noch letzte Kontaktdaten aus. Für uns – The Hungarian Guys – ging es bereits am nächsten Morgen um 04:30 Uhr zurück nach Ungarn. Schlappe 12 Stunden Zugfahrt lagen vor uns. Nach einer Woche ohne geregelten Schlaf war aber auch das für uns kein größeres Problem. Mein Resümee: Transsilvanien, ich komme wieder!
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