Hinter der Armutsstatistik - Freiwilligenarbeit in den Randvierteln Guatemalas
Sie nannten ihn „Gringo“. Er war anders als andere guatemaltekische Kinder, er hatte nicht ihre dunkle Hautfarbe und ebenso wenig die tiefschwarzen Haare und Augen. Eduardos Augen waren haselnussbraun, genau wie seine Haare, und seine helle Haut war übersät von vielen kleinen Sommersprossen. Ein hübscher Junge, der auffiel in der Gruppe von Kindern aus armen Familien, die ich jeden Vormittag in der sozialen Einrichtung „El buen Samaritano“ (der gute Samariter) betreute. Eduardo lebte in einer Hütte aus Strohwänden und Wellblechdach. Seine Mutter arbeitete für einen Hungerlohn als Prostituierte, um sich und ihre zehn Kinder ernähren zu können. Eduardo erzählte mir stolz Geschichten von seinem Vater, doch irgendwann wird auch ihm klar werden, dass er tatsächlich der Sohn eines Nordamerikaners oder Europäers sein muss. Wahrscheinlich eines Mannes, der die schnelle, billige Befriedigung in einem armen Land suchte und zurück fuhr in seine heile Welt, ohne etwas von der Existenz des kleinen Eduardos zu wissen oder wissen zu wollen.
Zwei Monate arbeitete ich als Freiwillige mit den rund 60 Kindern im Alter von einem bis 15 Jahren in der Kindertagesstätte in Jocotenango, einer kleinen Stadt nahe Antigua. Die meisten von ihnen lebten unterhalb der Armutsgrenze und kamen aus problematischen Familienverhältnissen.
Viele ihrer Mütter und Väter waren arbeitslos, alkoholabhängig, gewalttätig oder hatten die Familie verlassen. In der Kindertagesstätte bekamen sie nicht nur täglich zwei Mahlzeiten und fanden gespendetes Spielzeug aus aller Welt, sondern auch Aufmerksamkeit und Anregungen zur Selbstentfaltung, die ihnen zu Hause meist fehlten. Außerdem erhielten sie das Privileg in die Schule zu gehen.
Magda Torres, die ehrenamtliche Betreuerin des Projekts, machte es zu ihrer Herzensaufgabe, jedes Jahr das nötige Geld für Bücher und Schuluniformen aufzutreiben, wobei sie vorwiegend auf internationale Spenden angewiesen ist. Vor allem aber bemüht sie sich, jedem der schulreifen Kinder legale Papiere zu besorgen und ihren Eltern die Notwendigkeit einer Schulbildung begreiflich zu machen.
„El Buen Samaritano“ wurde wie viele andere soziale Projekte in Guatemala von der deutschen Hilfsorganisation PMG (Projekt Mosaik Guatemala) und mehreren Sprachschulen aus Antigua, die Volontäre und Sachspenden der Sprachschüler an die Projekte vermitteln, unterstützt. Das Schicksal von Eduardo war nur eines von vielen, die mich täglich bewegten, und mit denen wir Volontäre lernen mussten umzugehen.
Manch naive Vorstellung, die Zukunft dieser Kinder mit ein paar Wochen sozialer Arbeit verbessern zu können, zerschellte schnell an der guatemaltekischen Realität. Doch vielleicht waren es gerade die kleinen Gesten, die einen Unterschied im Leben dieser Kinder machten. Vielleicht ihr Lachen, wenn wir internationale Spiele mit ihnen spielten oder ihre strahlenden Augen, wenn wir ihnen Bonbons schenkten, die sie für einen Augenblick zu den glücklichsten Kindern der Welt werden ließen.
Wie dieser Artikel entstand:
Der Artikel entstand für die von Studenten gemachte Zeitung „Sojus“ in Sachsen. Die Redaktion trifft sich jeden ersten und dritten Mittwoch im Monat im Semester in der Villa, Lessingstraße 7 in Leipzig.
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