Herr, gib mir Kraft!
Wie der Versuch ein Buch auszuleihen in einem Debakel endete und was noch alles geschah.
Ich habe mir echt Zeit gelassen für meinen zweiten Bericht. Wahrscheinlich hatte ich ernsthaft darauf gewartet, dass hier noch irgendetwas Aufregendes passiert, worüber ich berichten könnte, aber wirklich getan hat sich nicht viel. Zumindest nicht viel Gutes.
Ich habe so langsam das Gefühl, dass hier der Alltag eingekehrt ist, und sich jetzt auch nicht mehr viel neues ergeben wird, wobei es doch eine Neuigkeit gibt, die ich mal zum Anlass nehme, einen kurzen Zwischenbericht abzugeben.
Ich verkünde hiermit feierlich, dass ich ab heute stolzer Besitzer eines Studentenausweises bin. Das mag vielleicht nicht so außergewöhnlich erscheinen, da ich ja Student bin, eine Selbstverständlichkeit ist es allerdings noch lange nicht – zu mindest nicht in Spanien. Und immerhin habe den Ausweis schon 6 Wochen nach Semesterbeginn bekommen.
Echt schnell, wenn man bedenkt, dass ich erst Ende Juli den Antrag dafür gestellt habe. Zehnmal so lange wie normalerweise hat es gedauert bis das Ding ausgestellt war
Donnerwetter da hat sich die Universitätsbürokratie mal wieder selbst übertroffen.
Aber Spaß beiseite: Anstatt zu klagen sollte ich froh sein dass ich ihn überhaupt noch bekommen habe, bevor das Semester zu Ende ist; die Uni scheint nämlich echt alles in ihrer Macht stehende dafür getan zu haben das zu verhindern.
Aber der Reihe nach:
Ich habe mich fristgerecht zum 31. Juli 2013 für das kommende Wintersemester immatrikuliert und bei der Gelegenheit auch gleich meinen Studentenausweis beantragt, was man hier ,anders als in Deutschland, gesondert machen muss.
3 Passbilder wollten sie von mir haben, die ich extra noch zu einem total überzogenen Preis habe machen lassen, aber was tut man nicht alles, wenn die Zeit drängt.
Mehr als alles vorschriftsgemäß und fristgerecht abzuschicken, konnte ich leider nicht tun, doch als ich über einen Monat später zur Ausgabestelle gegangen bin, erklärte der Angestellte, es sei nie ein Antrag eingegangen und wo die drei Passbilder geblieben sind, wisse er auch aber ich kann gerne einen neuen stellen, der braucht dann zwei Wochen Bearbeitungszeit.
Ein Passfoto würde übrigens genügen.
Gesagt getan: noch vor Vorlesungsbeginn habe meinen Antrag und ein Foto dem Ausweis-Büro, diesmal persönlich, zukommen lassen.
Als ich nach zwei Wochen, in denen ich nichts in der Mensa essen konnte, keine Studentenvergünstigungen nutzen und nichts aus der Bibliothek ausleihen konnte, erneut in zur Ausgabestelle bin um mir endlich zu holen, was mir zustand, wurde ich auf die kommende Woche vertröstet: „Es gibt Verzögerungen, es tut uns leid. Sie bekommen eine Mail von uns, sobald ihr Ausweis da ist“
„Naja“, dachte ich mir „zwei Wochen Bearbeitungszeit für ein kleines Stück Plastik ist ja auch sehr optimistisch gedacht“ und war froh darüber, dass mein Antrag dieses mal wenigstens nicht wieder verschwunden war und wartete geduldig eine weitere Woche, doch die Mail kam nicht.
Als ich nach zwei Wochen wieder an der Ausgabestelle erschien, war der Ton schon etwas ruppiger. „Wir haben ihnen doch gesagt, wir schicken ihnen eine Mail, wenn es soweit ist“
Auf die Mail warte ich übrigens bis heute, doch eins nach dem anderen. Ich habe dann noch mal fast zwei Wochen gewartet und habe mich nicht getraut ohne die Bestätigungsmail erhalten zu haben, noch mal nachzufragen.
Mehr oder weniger durch Zufall hat mir eine Kommilitonin, die als Erasmusstudentin an der Uni eingeschrieben ist, eine ähnliche Geschichte erzählt und gemeint, dass unsere Ausweise vielleicht im Erasmusbüro sein könnten.
Auch wenn ich bezweifelte, dass sich mein Ausweis im Erasmusbüro befinden könnte, da ich ja als BachelorPlusStudent nicht das Geringste mit Erasmus zu tun habe, begleitete ich sie.
„Dort in der Kiste, aber bevor ihr da rumwühlt, guckt erstmal in die Liste, ob eure Ausweise schon angekommen sind“ krähte die Sekretärin uns entgegen, bevor wir sagen konnten, warum wir da sind.
Weder ihr noch mein Name erschienen auf der Liste, aber ich habe spaßeshalber trotzdem einen Blick in die „Kiste“ geworfen, die man leicht mit einem Müllkarton für Altpapier hätte verwechseln können und fand zu meiner großen Überraschung tatsächlich unter Bergen von Schnipseln und zerknülltem Papier einen Umschlag mit meinem Namen drauf, und es war tatsächlich ein Ausweis drin. Das Foto war allerdings so schlecht eingescannt, dass ich mir am Anfang selbst nicht ganz sicher war, ob es sich bei dem Gesicht, das mir da entgegen sah, auch wirklich um meines handelte, aber der Name war ausnahmsweise mal richtig geschrieben und ich steckte den Ausweis ein.
Meine Kommilitonin hatte leider kein Glück und deshalb sind wir noch mal zur offiziellen Ausgabestelle gelaufen um da nachzufragen.
Ich habe den Typen dann doch noch zur Rede gestellt, was denn mit der Email ist und warum ich meinen Studentenausweis im Papiermüll des Erasmusbüros gefunden habe, ohne dass das jemals irgendwo registriert wurde.
„Ich kann da auch nichts machen, ich habe da kein Zugriff auf das System“ und weitere Ausflüchte folgten, die ich selbst, wenn ich sie mir zu Ende angehört hätte, hier nicht weiter ausführen würde.
Im Falle meiner Kommilitonin hat sich dann übrigens herausgestellt, dass der Antrag nicht bearbeitet werden konnte, weil kein Passbild vorhanden war. Aber in den letzten 4 Monaten mal auf die Idee kommen, ihr bescheid zu sagen, dass die ihr Passfoto verbummelt haben und ein neues brauchen, sind die auch nicht gekommen.
Ich frage mich, was die mit den ganzen Fotos machen, die da verschwinden. Das müssen doch Berge von Passbildern sein.
Eigentlich hätte mir diese Geschichte eine Lehre sein müssen; keine Ahnung warum ich gleich noch mal auf so einen Affenzirkus um einen Ausweis herein gefallen bin.
Irgendwie kam das schleichend und ich habe den Punkt verpasst „Nein“ zu sagen.
Es begann alles ganz harmlos: Ich hatte vor, mir in der Stadtbibliothek ein paar Hörbücher auf CD auszuleihen, einerseits um mein spanisches Hörverständnis zu verbessern, aber auch weil ich lieber höre als lese.
Ich bin dann einfach mal da hingegangen um zu gucken, was die so im Regal haben.
„Kein Zutritt ohne Bibliotheksausweis“ versicherte mir der Bibliothekar am Empfang.
„Ja, aber ich weiß doch noch gar nicht ob ich hier überhaupt was ausleihen will, ich möchte erstmal nur gucken“, gab ich zurück.
„Ja, das geht aber nicht“, erwiderte er. „Okay, dann hätte ich jetzt bitte gerne einen Bibliotheksausweis“ sagte ich todesmutig und ahnte nicht, worauf ich mich einließ.
Dazu müssen Sie nur das Formular ausfüllen, eine Ausweiskopie und zwei Passbilder beilegen.
Ich hatte leider gerade keine Passbilder bei mir und zufällig auch keine Passkopie versprach aber beides am nächsten Tag mitzubringen.
Mit dem ausgefüllten Formular, die beiden Passbilder, und der Ausweiskopie bin ich dann noch mal dahin gelatscht, um mir mitteilen zu lassen, dass etwas mit meiner Adresse auf dem Formular nicht stimmt.
Ich muss zu geben, dass mir die Adresse des Studentenwohnheims selber schleierhaft ist. Auf der Internetseite steht statt einer Straße mit Hausnummer nur „Autobahn Madrid-Barcelona, Abfahrt 28“, was die Bibliothek nicht akzeptieren wollte, zumindest an dem Tag nicht.
Ich wurde abgewimmelt. „Kommen Sie morgen wieder“ Ich wusste zwar nicht, was morgen anders sein sollte, doch als ich am nächsten Morgen, einem Mittwoch wieder dort antanzte, war tat es die Autobahnabfahrt auf einmal doch und mein Antrag wurde entgegen genommen. No comment.
„Bis Montag ist ihr Ausweis fertig“, versicherte man mir.
Haha, denkste, als ich am Montag zum Empfang bin, lag mein Ausweis ( ein Stück Gelbe Pappe mit meinem Namen) zwar schon dort, aber das Foto war noch nicht drauf. Ich will nicht sagen, dass der Ausweis dilettantisch gewirkt hätte, aber ich fühlte mich ein bisschen an die Spielausweise erinnert, die wir mal in der Vorschule gebastelt haben.
„Das muss noch „bearbeitet“ werden“, hieß es von Seiten des Bibliothekars.
Ich muss an dieser Stelle noch mal auf die Gänsefüßchen von „bearbeitet“ hinweisen.
Bis Donnerstag hatte es der Leserservice dann tatsächlich geschafft auch noch mein Foto mit einer Heftklammer auf die Pappe zu tackern.
Das hat bestimmt mindestens mehrere Sekunden gedauert. Hut ab!
„Okay, dann würde ich jetzt gerne ein Hörbuch ausleihen“
„Verzeihung, ich hatte nicht gesagt, dass wir hier Hörbücher haben, aber sie können gerne mal in der Mediathek nachschauen“, antwortete der Bibliothekar.
In dem Moment war mir eigentlich schon klar, dass es das Beste wäre mich auf der Stelle umzudrehen und zu gehen, aber irgendwie glaubte ich tatsächlich noch daran, diese Bibliothek heute mit einem Hörbuch zu verlassen.
Als ich dem Bibliothekar in der Mediathek erstmal erkären musste, was ein Hörbuch überhaupt ist, schwanden meine Hoffnungen, aber abhauen wäre unhöflich gewesen und eine kurze Suche im Online-Katalog der Bibliothek förderte tatsächlich sage und schreibe ein ganzes Hörbuch zutage!
„Dejame llorar“ Da ich eh keine Alternative hatte sagte ich ohne zu fragen, was es für ein Hörbuch ist: „Ja okay, das nehme ich“
„Da können wir erst am Montag bereitstellen“
Ich also am Montag da wieder hin: „Ja, wissen Sie, wir haben festgestellt, das Hörbuch befindet sich in einer anderen Stadtbibliothek“
„Ja, okay, dann hole es dort“, bot ich an.
Ich muss den Bibliothekaren an dieser Stelle anrechnen, dass sie mich daraufhin gewiesen haben, dass man da dann einen neuen Ausweis beantragen muss.
Wenn ich mir eins geschworen habe, dann keinen Ausweis mehr in Spanien zu beantragen.
Für mich war das Thema Hörbuch damit gestorben.
„Es gäbe allerdings die Möglichkeit, es hierher zu bestellen, dazu müssen sie lediglich diesen Antrag…bla bla bla“. Antrag ausgefüllt.
Als ich eine Woche später wieder in die Bibliothek kam, blickte mir der Bibliothekar schon von weitem mit langem Gesicht entgegen.
„Wir haben festgestellt, dass das Medium leider als verloren gemeldet ist“
Ich dachte nur, „what´s next?!?“
Und er setzte gleich noch einen oben drauf:
„Aber wissen Sie ist, ich glaube das wäre sowieso nichts für sie gewesen“
Wieso fragte ich und erinnerte mich dunkel, dass der Titel „Dejame llorar“ zu deutsch „lass mich weinen“ lautete“
„Naja, es handelt sich dabei um eine Sammlung verschiedener Nachrufe von Witwen die Ihre Ehemänner …“
Da habe ich dann schon gar nicht mehr zugehört.
„Allerdings haben wir etwas anderes für sie gefunden:
Don Quijote auf Cd. Wäre das was für sie?“
„Wo kommt das denn auf einmal her; im Katalog war das nicht“, wunderte ich mich.
„Nene, das ist auch nicht so streng mit dem Katalog und der Bibliothekar verschwand unter seinem Tresen um anschließend mit einem fast 1 Meter langen, stangenförmigen Karton wieder aufzutauchen.
„Das ist Don Quijote auf 46 CDs“
Ich schaute fassungslos auf den Karton der fast über den ganzen Tresen ragte.
Der Bibliothekar schien so begeistert über seinen Fund, dass ich es nicht übers Herz brachte zu sagen, dass mich Don Quijote noch weniger interessierte als das Gejammer verbitterter Omas.
Ich dachte mir, man kann ja nichts falsch machen mal reinzuhören, allerdings bekam ich schon bei der Vorstellung wie ich den Karton bei 35° unter der sengenden, spanischen Sonne die 4 km zu Fuß nach Hause schleppe beinah einen Kreislaufkollaps. (Eine Monatskarte hatte ich zu dem Zeitpunkt noch nicht. Dazu später mehr)
„Okay“, ich atmete durch, „ist es vielleicht möglich erstmal nur ein CD auszuleihen“?
Nein, das geht nicht, man muss den ganzen Karton ausleihen, einzeln geht nicht“
Ich war zu höflich mit leeren Händen zu gehen und sagte „Naja, ich glaube, ich nehme erstmal ein Buch“
Ich habe irgendetwas gegriffen, nur um auch mal ausgeliehen zu haben damit der ganze Terz wenigstens nicht völlig umsonst war.
Ich nachhinein denke ich, ich muss echt verzweifelt gewesen sein, aber ich habe mich dann doch noch mal in die Bibliothek getraut um nach dem „Einen Meter CDs“ zu schauen und zu meiner großen Überraschung teilte mir der Bibliothekar mit, dass er einen Übersicht über alle verfügbaren Hörbücher der Bibliothek aus den frühen 90´ern gefunden habe, und ich mir etwas daraus aussuchen dürfe.
3 Hörbücher deren Titel zumindest nicht total abwegig klangen, habe ich mir dann ausgesucht und meine Auswahl dem Bibliothekar mitgeteilt.
„Das geht jetzt aber nicht. Wissen Sie, Sie dürfen 5 Sachen auf einmal ausleihen“
Ich antwortete: „Ich verstehe das jetzt nicht. Ich habe eine Sache zu Hause und jetzt leihe ich drei weitere aus. 1 + 3 sind nach Adam Riese 4 und nicht 5“
Ich begriff nicht, dass die Betonung nicht auf „5 Sachen“ sondern auf „einmal“ lag.
„Sie müssen erst das Buch zurück bringen. Man kann nichts Neues ausleihen, solange man noch etwas zu Hause hat“
Das ist mir dann wirklich der Geduldsfaden gerissen.
„Okay Leude, no ofense, aber wir haben jetzt echt genug Spaß miteinander gehabt“ bemühte ich mich in freundlichen Ton zu erwidern und bin abgezischt, nach Hause gefahren, habe das Buch geholt, noch am selben Tag zurückgegeben und seit dem, nie wieder einen Fuß in dieses Irrenhaus gesetzt.
Man muss sich ja nicht alles gefallen lassen. Dachte ich zumindest zu dem Zeitpunkt noch, da ahnte ich noch nicht wie das mit dem Studentenausweis enden würde, und dass das erst der Anfang vom Ende sein sollte
Was mit dem Studentenausweis begann und mit dem Bibliotheksausweis seinen Lauf nahm, sollte sich auch noch mit der Monatskarte fortsetzen.
Anders als in Deutschland bekommt man hier nämlich mit der Immatrikulation weder einen Studentenausweis noch ein Semesterticket.
Das muss man extra beantragen. „Das bringt mich jetzt auch nicht mehr um“, dachte ich noch.
Zeikarten kann man in Spanien nur Monatsweise und auch nur an bestimmten Kiosken kaufen. Ich also dahin:
„Ich hätte gerne eine Monatskarte“
„Da müssen Sie erst eine Trägerkarte beantragen. Es dauert etwa zwei Wochen, bis Sie si haben. Damit können Sie dann eine Monatskarte kaufen. Für den Antrag der Trägerkarte brauchen Sie….
Einen Tag später hatte ich alles zusammen, schließlich wollte ich zum 1. Oktober das Ding haben und eine Monatskarte kaufen.
Dass aus den zwei, dann drei Wochen wurden, hat mich nicht mehr wirklich vom Hocker gerissen.
Als ich dann die Trägerkarte in der zweiten Oktoberwoche bekam und die Monatskarte kaufen wollte, hieß es „die sind leider ausverkauft, da müssen Sie nächsten Monat, am besten gleich am Anfang wieder kommen“
„Monatskarte ausverkauft?“ blieb es mir im Hals stecken. Ich wollte es nicht wahrhaben, marschierte zum Bahnhof, versuchte es am Automaten, Fehlanzeige, dann am Schalter. Dort schließlich wurde mir gesagt, dass man Monatskarten nur in bestimmten Kiosken kaufen kann und die haben nur ein bestimmtes Kontingent sonst würden sie ja Gefahr laufen auf ihren Monatskarten sitzen zu bleiben und das wäre ja „unzumutbar“
Im vierten Kiosk gab es tatsächlich noch eine letzte Monatskarte. Allerdings nicht für die Zone, die ich brauchte, sondern für das gesamte Tarifgebiet. Ich dachte, jetzt wollen dich echt alle verarschen. Statt dreißig Euro (für meine Zone) habe ich dann über 50 Euro (alle Zonen) hingelegt.
Dafür kann ich diesen Monat wenigstens so oft ins Madrider Stadtzentrum fahren wie ich will und das tue ich jetzt auch. Ich muss heute nämlich ein Buch aus der Madrider Stadtbibliothek besorgen. Herr, gib mir Kraft!
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