"Hallo, ich bin ein Alien"
Atemmasken-Test, schlafende Kunden bei IKEA und Schweineleber
...und schwupps, liegt das dritte Wochenende in Shenyang schon hinter mir. In der letzten Woche habe ich wieder neues Essen probiert, bin interessanten Menschen begegnet und habe mich nicht allzu selten gefragt, in was für einer verrückten Welt ich hier gelandet bin. Tatsächlich: Ich bin soweit, dass ich mein Umfeld hier, inklusive Umgangsformen, Küche, Straßen, Traditionen etc., als „eine andere Welt“ betiteln möchte.
Letzte Woche unternahm ich meinen ersten Ausflug samt Atemmaske. Der AQI-Wert lag bei über 150. Als „gesund“ gilt ein Wert unter 50. Ich entschied mich also dazu den Nanhu Park (10 min Fußweg von meinem Wohnheim entfernt) mit Atemschutz zu erkunden. Mein Spiegelbild verängstigte mich. „Ob ich mich daran jemals gewöhnen werde?“ Die Sonne schien und mit meiner Lieblingsplaylist im Ohr machte ich mich optimistisch auf den Weg. Schon nach ein paar Minuten viel mir auf, wie warm mein Gesicht wurde. Klar, im Winter vielleicht ganz angenehm, aber bei Mitte 20 °C eher weniger. Auch der Blicke der Passanten zum Trotz- ich blieb standhaft und nahm die Maske nicht ab. Es kam, wie es kommen musste: Natürlich begegnete mir nur eine weitere Person mit Atemmaske und ich fühlte mich wie ein Alien. Dieses „Aliengefühl“, würde man denken, sei mir bekannt (aufgrund meines westlichen Aussehens). Mit Atemmaske kann dieses Gefühl noch verstärkt werden, erkannte ich an diesem Tag.
Der Park ist übrigens kein Park im herkömmlichen Sinne. Zwar gibt es hübsche Wege, einen Fluss, Tretboote und überall Sträucher und Bäume. Hinzu kommen allerdings Fahrgeschäfte, „Fressbuden“, Unmengen an Anglern und Familien. Es war also laut und voll. Erst nach einer dreiviertel Stunde fand ich ein kleines, ruhigeres Eckchen, in der ich in mein Buch versinken konnte.
Zwei Tage später machte ich übrigens die gleiche Erfahrung in einem anderen Park. Nur wurden die Fahrgeschäfte und „Fressbuden“ hier von Walk-/Tanz-/Jogginggruppen abgelöst. Stellt euch bitte Folgendes vor: Laute rhythmische Musik kommt mit einer Gruppe aus Ü40-Personen immer näher. Irgendwann erkennt ihr, dass eine Person, die neben der walkenden Gruppe läuft, einen Lautsprecher unterm Arm hält. In Dreier-Reihen läuft die Gruppe also in Einheitskleidung die Promenade herunter und stört mit ihrer Musik alle anderen Passanten. Von solchen Gruppen sind mir an diesem Abend um die 10 Stück begegnet.
Ich möchte hier außerdem anmerken, dass am gleichen Abend meine bereits erwartete Orientierungslosigkeit eingetreten ist und aus geplanten 1,5 Stunden mal eben 2,5 Stunden inklusive 5 neuer Mückenstiche und einem großartigen Blick auf die nächtliche Skyline Shenyangs wurden.
Meiner Meinung nach ebenfalls erzählenswert: Bei einem Mittagessen in der Mensa setzen sich auf einmal zwei freundliche und interessierte Jungs(diese Bezeichnung ist bewusst gewählt) mir gegenüber hin. Einer fragte mich in gebrochenem Englisch nach meiner Herkunft, meinem Studium etc. Sein Kumpel übersetzte für mich, dass er überlegt Englisch zu studieren, üben möchte und, ob wir nicht Freunde sein wollen. Mein Gedanke dazu: Viele Deutsche und Chinesen teilen offensichtlich den Sinn für Pragmatismus.
Ein großes Interesse für Deutschland konnte ich auch bei meiner ersten Veranstaltung „Infoabend: Studium in Deutschland“ erkennen. Zwei Tage vor der Veranstaltung ging die Werbung online, mit einer Bitte um Anmeldung. Zwei Tage später lagen über 30 Anmeldungen vor, von denen wir aus Platzgründen leider 10 ablehnen mussten. Mit der Unterstützung von Studenten, die bereits in Deutschland waren, und leckerem deutschen Kuchen entstand ein wirklich schöner Abend. Trotz gutem Feedback gibt es natürlich Dinge, aus denen wir gelernt haben, und, sagen wir mal, „Luft nach oben“.
Zu meinen Begegnungen mit der chinesischen Küche letzte Woche: die erste Innerei (Schweineleber) habe ich bereits probiert, frittierte Hühnerfüße nur gesehen. Mein Favorit aus einem chinesisch-russischen Restaurant: Reis mit Ei und Schnittlauch. Klingt simpel, aber die Schüssel war am Ende leer. Obwohl ich an diesem Abend 12 weitere Gerichte probiert habe. [Als Backgroundinfo: Man bestellt hier gemeinsam als Gruppe und teilt alles.] Ich habe das „Geburtstagsnudel-Ritual“ kennengelernt: Iss eine lange (ca. 0,5-1 m) Nudel an deinem Geburtstag. Das garantiert ein langes Leben. Das Mensa-Essen habe ich mittlerweile auch verstanden: Offiziell 1,5 Stunden geöffnet, nach 0,5 Stunde ist schon alles weg außer Nudeln und Teigtaschen.
Ein weiteres nennenswertes Highlight dieser Woche: Ikea. Abgesehen von Essstäbchen das gleiche Sortiment wie in Köln. Unterschiede: Preise (5 € für Mülltüten, kleine Pfanne, Messer und Schwämme) und die Kunden. Tatsächlich liegen die Kunden eingekuschelt in den Betten und legen eine Familienpause in den Ausstellungsräumen ein. Von dieser Unbefangenheit sollten sich die Deutschen mal ein wenig abgucken.
Noch ein kurzer Einblick in mein Wochenende: Kleiderschrank mit Second-Hand-Kleidung (for free!!!) auffüllen bzw. zuerst viel Wäsche waschen, das 1.Mal eine richtige Wohnung in China von innen sehen, Campus-Umgebung (im Osten) und Markthalle erkunden, Urlaub planen (in chinesischer Begleitung nach Dalian ans Meer), Chinesisch üben, 1.Metro-Fahrt und Besuch des Bei Ling Parks + nördliches Kaisergrab (UNSECO-Weltkulturerbe).
Plan für nächste Woche: Ab in die Karaoke-Bar, ENDLICH Klavier spielen, Treffen mit dem Leiter der deutschen Schule Shenyang, Kinobesuch und die Veranstaltung zur Bundestagswahl.
Übrigens: Meine erste Reportage ist online. Ein Einblick ins militärische Training und (noch befremdlicher) die dazugehörige Abschlussfeier.
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