Grundsatzfrage.
Juliane fährt aufs Land und arbeitet in einer Schule mit HIV-infizierten Kindern. Und muss an der Moral der Lehrer zweifeln.
Aus Bukarest hinaus. (In Deutschland, denke ich, gäbe es hier längst Radwege ins Grüne entlang der Strasse und Wanderwege mit Hinweisschildern.) Am Straßenrand werden Hängematten verkauft, Blumen, eine Schüssel Eier - was Garten und Hof eben so hergeben. Leute lassen ihre Kuh grasen, den Führstrick in der Hand stehen sie dabei und sehen zu. Und warten. Auf den Feldern wird mit Pferden gepflügt, auf anderen jäten alte Frauen mit einer Hacke das Unkraut. – Ist das romantisch? Auf den brach liegenden Feldern dagegen blühen Plastetüten, weit verstreut, in bunten Farben.
In Mizil, einer kleinen Stadt nördlich von Bukarest, wollen wir mit einigen HIV-infizierten Kindern Bilder malen, basteln, spielen. Maria, die andere Freiwillige hier, hat von ihrer fundraising-Kampagne noch Materialien, Farbe und Papier übrig. Essen für den Tag wurde von unserer Aufnahmeorganisation gesponsert. Als wir ankommen sitzen alle Kinder brav im Klassenraum der Schule. Tisch und Stühle sind unverrückbar. Man sagt uns, dass wir nur eine Stunde Zeit haben, da dann die Schule für das Wochenende schließt. Eine Stunde? Also dann – malen wir!
Die Zeichnungen der Kinder werden bunt und bunt und bunt! Immer wieder fragen sie, ob sie nicht den einen oder anderen Stift mitnehmen dürfen. Wir sagen, wir lassen das für die Schule da. Später sehen wir es dann in den Taschen der Lehrer – ob es in der Schule nur geklaut wird und sie es deshalb zur Sicherheit mit nach Hause nehmen? Wir fragen nicht. Wahrscheinlich aus Unbehagen, dass die Antwort eine andere sein könnte.
Ich mache ein paar Fotos und die Kinder reißen sich darum, in allen möglichen Varianten vor meine Linse zu kommen, mit diesem und mit jenem Freund, mit und ohne Fahrrad, in Boxer- und in Karate-Pose. Essen dürfen wir dann nicht draußen in der Sonne, nein, viel besser sei es drinnen, jedes Kind an seinem Platz im Klassenraum. Brot hatten wir mitgebracht, Käse, Waffeln, Äpfel, Saft. Das Essen wird in einem anderen Zimmer von den Lehrerinnen vorbereitet. Als es kommt, ist fast nur Margarine auf den Broten und die Waffeln sind gar nicht mehr da. Erst bin ich stutzig, dann wütend und traurig. Wie können sie es wagen?
Ja wie können sie es wagen? Wie kann ICH es wagen, diese Frage zu stellen? Ich sollte doch wissen, wie wenig LehrerInnen hier verdienen. Und da komme ich mit meiner Arroganz und sage, alles ist nur für die Kinder? Ich könnte mir doch täglich eine Tüte voller Waffeln kaufen. Wie kann ich es also wagen, mich zu entrüsten? Weil – grundsätzlich, ganz grundsätzlich gesehen – es falsch war, was die Leherinnen getan haben? Und vor allem so heimlich? Vielleicht können sich aber Grundsätze auch nur diejenigen leisten, die das entsprechenden Kleingeld haben.