Grenzen im Herzen - Ungarn in der Slowakei
Der Konflikt zwischen Ungarn und Slowaken besteht seit vielen Jahrhunderten und hat bis heute schwerwiegende Folgen. Doch warum ist er entstanden? Und wie kann man ihn lösen?
Im Laufe meines Freiwilligendienstes im Süden der Slowakei, nahe der Grenze zu Ungarn, ist mir immer wieder aufgefallen, wie viel Misstrauen zwischen den beiden Völkern herrscht. Besonders zwischen der slowakischen Mehrheitsbevölkerung und den knapp 500.000 Ungarn im Land, die fast ein Zehntel der Bevölkerung ausmachen, kommt es immer wieder zu Konflikten.
Die Geschichte der Auseinandersetzung reicht weit zurück. Bereits im österreichisch-ungarischen Kaiserreich, zu dem die Slowakei bis 1918 dazu gehörte, standen sich die beiden Bevölkerungsgruppen feindselig gegenüber. Dabei waren die Ungarn in einer Machtposition, weil sie die Kontrolle über den Staat hatte und zwangen die Slowaken dazu, sich zu assimilieren.
Nachdem die Mittelmächte den Krieg 1918 verloren hatten, wurden die Grenzen in Europa neu gezogen. Das Königreich Ungarn wurde drastisch verkleinert. Die neu gegründete Tschechoslowakei hingegen war Verbündeter der Entente-Mächte geworden und bekam daher wirtschaftlich bedeutende Gebiete aus dem nordungarischen Gebiet. Ein Gebiet, in dem überwiegend Ungarn wohnten, die damit zur größten Minderheit der Tschechoslowakei wurden.
Nun drehte sich die Dynamik der Unterdrückung und Assimilation um und bis heute kämpfen die zahlreichen überwiegend ungarischen Gemeinden im Süden des Landes um ihre Rechte. Als die Slowakei sich 1992 von Tschechien ablöste und eine eigene Verfassung gab, wurden der Schutz von Minderheiten dort als Grundsatz gesetzlich festgeschrieben. Doch die Realität sieht mitunter anders aus.
Slowakisch ist als Amtssprache der Slowakei offiziell fest geschrieben. Seit 2009 existiert zudem ein Sprachengesetz, das den Gebrauch von Minderheitensprachen erheblich einschränkt und bei Verstößen hohe Geldstrafen verhängt. Dabei sind offizielle Verordnungen in Gemeinden, Ortsnamen auf Schildern und in Schulbüchern, aber auch Gespräche z.B. beim Arztbesuch betroffen. Dennoch gibt es um die 580 Schulen und Kindergärten, in denen Ungarisch als Unterrichtssprache geduldet wird und zudem die ungarische Identität der Schüler gestärkt wird.
Es wurde mehrmals der Vorwurf des „Gerrymandering“ gemacht. Dabei teilt der Herrschende die Wahlkreise so ein, dass es für ihn günstige Ergebnisse fördert. Momentan ist die ungarische Minderheit auf mehrere Wahlbezirke verteilt, sodass sie überall in der Minderheit ist und ihre gesammelte Wahlkraft nicht entfalten kann.
Seit 2010 ist es den Ungarn unmöglich, zwei Staatsbürgerschaften nebeneinander zu haben. Ein neu beschlossenes Gesetz regelt, dass jeder, der eine zweite Staatsbürgerschaft neben der slowakischen beantragt die slowakische sofort verliert. Wer als ungarischer Bürger auf slowakischem Boden lebt, muss aber mit Repressionen und gegebenenfalls Ausweisung rechnen.
Antiungarische Aggressionen haben laut mehrerer Quellen in letzter Zeit zugenommen. Dabei ist sogar die junge Generation betroffen. In einer Studie gaben ein Drittel der unter 15-jährigen Slowaken an, die Ungarn seien die größten Feinde der Slowakei und mehr als die Hälfte waren der Meinung, Ungarisch sollte nur zu Hause gesprochen werden.
Wie mir aber in diesem Jahr immer wieder klar geworden ist, hat jede Auseinandersetzung zwei Seiten. Auch die Ungarn pflichten ihren Teil zum Anhalten des Konfliktes bei.
Die in der Slowakei lebenden Ungarn sind, auch in meiner Erfahrung, mitunter höchst nationalistisch. Auch ihre Parteien, die sie im Parlament vertreten, bringen immer wieder den Vorschlag der Separation der südlichen Teile des Landes ins Gespräch. Davor haben viele Slowaken Angst. Sie befürchten, dass Ungarn im Geheimen daran arbeitet, die Grenzgebiete zu annektieren. Deswegen sehen sie z.T. auch friedliche Verhandlungen, z.B. zur doppelten Staatsbürgerschaft, als Aggression gegen die Slowakei.
Ein weiterer bedeutender Faktor ist, dass diese ethnischen Konflikte vor allem im Süden des Landes, einer sehr armen Region, stattfinden. In den Gebieten mit dem höchsten Anteil an Ungarn liegt die Arbeitslosigkeit z.T. über 30% und das durchschnittliche Nettoeinkommen eines Haushaltes liegt bei etwa 600€ im Monat. Viele Slowaken in dieser Region sind der Ansicht, die Regierung solle sich erst einmal um die wirtschaftlichen Probleme dieser Gegend konzentrieren, anstatt sich um die Unterrichtssprache in Schulen zu streiten.
Schließlich stehen sowohl die slowakische als auch die ungarische Regierung unter extremem Druck durch die national-populistischen Parteien im Parlament. Dadurch sehen sich beide Seiten immer wieder genötigt, ihre Aggressionen zu verschärfen und Versprechen zu machen, die sie nicht halten können. Was zu Angst und Frustration auf beiden Seiten führt.
Für mich als Freiwillige war dieser tief verwurzelte Konflikt in der Region, in der ich ein Jahr gelebt habe und viel umher gereist bin, höchst faszinierend. Beinahe täglich habe ich mit jemandem auf der einen oder anderen Seite des Konfliktes gesprochen. Dabei leuchteten mir die Argumente beider Parteien ein. Die Ungarn-Slowaken schauten mir in die Augen und meinten, dass hier doch ihr Land sei. All diese Dörfer um mich herum hatten Jahrhunderte lang zu Ungarn gehört. Und nun sollten sie ihre Traditionen aufgeben? Einige der Jugendlichen, denen ich begegnet bin, hatten Schwierigkeiten, Slowakisch zu sprechen. Wenn sie nicht auf ungarische Gymnasien gehen hätten können, wo sie spezielle Förderung erhalten, wo wären sie dann gelandet?
Andererseits verstehe ich die Slowaken, die angesichts schließender Fabriken, zerfallender Häuser und hungernder Familien genug haben von der Debatte um Ortsschilder. Ihre Vorfahren wurden im Kaiserreich benachteiligt und hatten über Jahrhunderte die Vorherrschaft eines fremden Volkers erdulden müssen. Jetzt haben sie die ehemaligen Herrscher als gleichberechtigte Bürger im Land aufgenommen. Wie viel mehr kann man erwarten? Und wenn die Ungarn wirklich in einem ungarischen Staat leben wollen, warum ziehen sie nicht einfach dort hin?
Als nicht emotionaler Beobachter habe ich eine seltenen Blick auf das Geschehen. Ich hörte den Beteiligten zu, stellte Fragen und erzählte von den anderen Berichten, die ich bereits gesammelt hatte. Manch einen hat es überrascht, was die andere Seite zu sagen hatte. Vielleicht habe ich dadurch keine großen Veränderungen erreicht, aber ich hoffe, den ein oder anderen zum Nachdenken gebracht zu haben. Damit die Grenzen im Herzen sich irgendwann endlich auflösen.
Quellen:
https://de.wikipedia.org/wiki/Magyaren_in_der_Slowakei abgerufen am 24.9.17
https://en.wikipedia.org/wiki/Hungarians_in_Slovakia abgerufen am 24.9.17
http://diepresse.com/home/ausland/aussenpolitik/505401/UngarnSlowakei_Spannungen-wegen-Sprachengesetz abgerufen am 25.9.17
http://www.taz.de/!5169383/ abgerufen am 25.9.17
http://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/menschen/slowakei-und-ungarn-ilonkas-langer-weg-zurueck-11773230.html abgerufen am 25.9.17
Total equivalised disposable household income by regions:Statistical Office of the Slovak Republic
http://archiv.statistics.sk/html/showdoc.dodocid=10666.html abgerufen am 8.9.17
http://diepresse.com/home/ausland/eu/748181/EUBeitritt-hat-die-Slowakei-zerrissen abgerufen am 8.9.17
Bildquellen:
https://de.wikipedia.org/wiki/Magyaren_in_der_Slowakei#/media/File:Hungarians_in_Slovakia_2.jpg abgerufen am 25.9.17
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