Gemischte Gefühle
Die Arbeit mit den kleinen und grossen Kindern im Projekt. Wie mich nach herzlicher Erfrischung am Vormittag, die unglaubliche Ungezogenheit von Kindern schockt und deprimiert, doch dann das Öffnen der Tür zum neuen "zu Hause" alle Sorgen vergessen laesst.
Pilar, die Erzieherin, der ich in ihrer Kindergartengruppe helfe, nimmt mich immernoch morgens mit zur Arbeit. Sobald wir aus ihrem Auto ausgestiegen sind, ich meinen geliebten Stoffbeutel mit der spanischen Aufschrift "Jugend in Aktion", in dem sich meine Kamera und ein Notizbuch befindet, aus dem Fussraum geholt habe, sie schon die Tuer zum Gruppenraum in der Hand haelt und wir gruendlich das Wetter bewertet und eine passende Vorhersage fuer die Stunde des Spielens auf dem Spielplatz gemacht haben, verabschieden wir uns mit den Worten "Bis jetzt" (sinngemaess: bis gleich) und mit ihrem von mir bejahten Zusatz "Holst du Pau von drueben ab?". Pau ist einer meiner Favoriten aus meiner Gruppe der 2-3 Jaehrigen. Noch vor unserem Ankommen am Kindergarten wird er von seiner Mutter, die Lehrerin ist, in der Gruppe meiner Tutorin zum Spielen abgesetzt. Wenn ich zur Tuer reinkomme und meine Tutorin, mit der ich ziemlich zufrieden bin, auf deutsch, spanisch oder katalanisch begruesse, kommt Pau schon meinen Namen freudenstrahlend rufend und mit einem einzigartigen und zufriedenen Laecheln seiner dicken Wangen eines runden Gesichts herbeigerannt und umarmt mich, sodass ich ihn liebkosend ergreifen und zu Pilar tragen kann. Manchmal ziehe ich ihm auch die Schuhe an und wir laufen zum 10 Meter entfernten anderen Gebaeude rueber.
Dort treffe ich auf Aris, den ich ganz besonders ins Herz geschlossen habe. Seine huebsche Mutter, ebenfalls zum verlieben, bringt ihren noch nicht 2-jaehrigen Sohn zum Kindergarten.
Als Aris in unsere Gruppe kam, baute er zu mir ein spezielles Vertrauen auf und schon nach kurzer Zeit war er sehr gluecklich in der Gruppe und rief nicht mehr nach seiner Mutter. Er weiss, dass ich in der Naehe bin. Bei Traurigkeit und Verlaetzungen zieht er mich Pilar vor.
Dass ich diese beiden Kinder besonders gern habe, bedeutet nicht, dass ich mit den weiteren 6 (kuerzlich ist ein neues Kind dazugestossen) nicht gerne arbeite. Ich mag jedes einzelne Kind unserer Gruppe und ich bin sehr gluecklich, wenn ich in ihrer Anwesenheit die Fruechte zum Salat schneide, mit ihnen esse, ihnen die Haende wasche, ihre Windeln wechsle und beim mittaeglichen Einschlafen an ihrer Seite wache und Waerme und Geborgenheit spende.
Ich kann in dieser Hinsicht wirklich bestaetigen, dass Kinder einem viel geben.
Kinder? Etwa Kinder jeder Alterklasse? ...geben einem viel? Viel von was? Aufrischung der Lebensernergie, der Lebensgeister? Inneren Frieden und das Glueck, zu wissen, dass es Nachfolger, also Zukunft gibt? "Kinder sind unsere Zukunft!"
Wenn Eltern mich aus unserem Gruppenraum hinaus in meine Pause gehen sehen, sehen sie meistens einen gut gelaunten, natuerlich auch erschoepften, aber zufriedenen, manchmal sogar aussergewoehnlich lebendigen Freiwilligen. Die gute Laune haelt immernoch an. Ich habe vielleicht einen sonnigen, erholsamen kurzen Mittagschlaf auf dem Berg gehalten, bevor ich auf dem Spieltplatz mit meiner Anwesenheit die Nachmittagsbetreuung eroeffne. Doch schon wenn die ersten Kinder der Grundschule erscheinen, weiss ich, dass meine Laune spaetestens 2 Minuten danach im Keller ist. Es nuetzt selten die Erkenntnis, Kinder seien nicht so ernst zu nehmen wie Erwachsene im gewohnten Umgang miteinander. Ebenso wenig wie jene, dass man sich Beleidigungen, Respektlosigkeit und hinterlistige Ungezogenheiten von Kindern nicht zu Herzen nehmen solle.
Ich muss mich zu oft erwischen, wie ich durch eine Mischung aus unangenehm hartem Zorn, entsetzter Verzweiflung und erniedriegender Traurigkeit, wie angewurzelt und unfaehig, zu handeln, auf dem Spielplatz verharren bleibe.
Drei 10-jaehrige Viert-Klaessler aergern einen Dritt-Klaessler, indem sie ihm Erde und Steine entgegen werfen. Ich schreite ein, frage, ob es fuer alle Beteiligten ein Spiel ist und ob es dem Dritt-Klaessler gefaellt. Er sagt nein. Einer der anderen wirft mir einen Erdklumpen mit absichtlich erhoehter Geschwindigkeit gegen den Kopf und meint mit wuetender Stimme und ernstem Gesicht, dass ich mich nicht in seine Angelegenheiten einmischen solle. Das Spiel des Aergerns und Werfens geht weiter. Ich komme als zusaetzliches Ziel fuer die Kinder hinzu. Der Dritt-Klaessler hat sich inzwischen hinter mich in den Schutz gestellt. Als ich ermahnend die Kinder auffordere, aufzuhoeren, meint jener mich bewerfende Junge: "Halt den Mund, Du sch*** Deutscher!"
Situationen wie diese passieren jeden Tag. Es ist ein fuerchterlicher Mangel an Respekt gegenueber Erwachsenen festzustellen. Es sind im Grunde genommen nur 3 Kinder von dieser ernsthaften Schwierigkeit, aber viele Kinder, auch kleinere des Kindergartens, machen gerne bei den Dummheiten der Aelteren mit.
Ich bin allerdings nicht alleine in der Nachmittagsbetreuung. Nachdem der fruehere zustaendige Lehrer wegen der Geburt seiner Tochter nicht mehr im Projekt arbeitet, ist die Verantwortliche nun eine Paedagogikstudentin, die schon einige Zeit im Kindergarten als Freiwillige arbeitet. Ich sehe sie als gute Erzieherin, doch kommt sie leider auch nicht immer gegen eine solch schwierige und offentsichtlich nicht normale Situation an.
Wir haben nicht viele Moeglichkeiten, zu bestrafen. Der Sinn der Nachmittagsbetreuung liegt darin, dass die Kinder nach der Schule 2 Stunden laenger bleiben, ihren Spass haben und dann wieder von den Eltern abgeholt werden. Es ist also ein Raum der Kinder, die davon ausgehen, dass wir ihnen Spiele oder Workshops fuer ihre Bespassung vorbereiten.
Heute haben wir beschlossen, respektlose Kinder fuer 3 Tage von der Nachmittagsbetreuung ausschliessen zu koennen. Und es war klar, dass wir davon auch sofort heute Gebrauch machen mussten.
Jeden Nachmittag muss ich nach Eltern suchen, die mich nach Olot bringen koennen, denn Pilar faehrt schon vor mir nach Hause. Seit Neustem kann mich auch meine Kollegin aus der Nachmittagsbetreuung mitnehmen. Ich wohne nun etwas weiter weg vom Zentrum, aber ein bischen naeher zum Projekt. Zum Zentrum laufe ich 15 Minuten.
In meiner neuen Gastfamilie bin ich sehr gut aufgehoben und aeusserst zufrieden. Mit den beiden Kindern, die 9 und 10 Jahre alt sind, verstehe ich mich sehr gut und wir koennen viel Spass zusammen haben. Durch mein gutes Verhaeltnis zu meiner Gastfamilie kann ich, wie vermutet, gut von der Arbeit abschalten und den ganzen Aerger mit den Kindern vergessen.
Nachmittags habe ich neuerdings Katalanischunterricht, zwei mal in der Woche.
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