Freiwilligendienste - Eine krititische Reflexion
Wer profitiert letztlich von einem Freiwilligendienst? Können Abiturienten wirklich Entwicklungshilfe leisten? Eine kritische und persönliche Reflexion über meinen Weltwärts-Dienst in Nicaragua
2008 wurde das staatliche Projekt „weltwärs“ initiiert und seitdem werden auf diesem Weg 6-24-monatige Freiwilligenaufenthalte in den sogenannten „Dritte-Welt-Ländern“ auch vom deutschen Staat finanziert. Die Kosten für den Dienst würden nämlich sonst den finanziellen Rahmen ein jeder Organisation sprengen: Circa 10.000 Euro kostet der gesamte Aufenthalt, mit Flugkosten, Unterhaltsgeld, Betreuung vor Ort, Vor-und Nachbereitung und Auslandskrankenversicherung.
Das hat in mir mehr als eine Sinnkrise ausgelöst, denn von diesem Geld, was umgerechnet ungefähr 300.000 nicaraguanische Cordoba sind, könnte man vermutlich meine komplette Schule renovieren, endlich einmal richtige sanitäre Anlagen einbauen und unendlich viele Lernmaterialen für die Kinder kaufen können. „Was mache ich also eigentlich hier?“, fragte ich mich deswegen oft, „Wenn ich wirklich den Menschen hier helfen wollen würde, hätte ich zuhause bleiben sollen.“ (Das dachte ich allerdings nur an meinen Tiefpunkten!!).
Tatsächlich wird weltwärs genau mit dem Argument auch kritisiert, die Freiwilligendienste werden als „Egotrip ins Elend“ oder „Abenteuerurlaub auf Staatskosten“ bezeichnet, mit denen frischgebackene Abiturienten, ohne weitere Qualifikationen und noch voller Illusionen und Optimismus in den globalen Süden verschifft werden, um Entwicklungshilfe zu leisten.
Schon allein den Begriff der Entwicklungshilfe sehe ich sehr kritisch. Die Entwicklung einer Gesellschaft ist nämlich ein ganz natürlicher Prozess, dem es keiner Beihilfe bedarf. „Entwicklungshilfe“ impliziert also diesen Prozess einer anderen Gesellschaft zu beschleunigen und ihr zudem die gleichen Charakteristika aufzudrängen, da die eigene Entwicklung als „richtig“ wahrgenommen wird. Ob unsere deutsche Gesellschaft aber tatsächlich auch so hoch entwickelt ist, ob unsere Normen und Werte, unsere Staatsform wirklich die wahren und moralisch legitimierten sind, ist aber fraglich.
In unserer globalisierten Welt müssen sich aber alle Staaten dem neoliberalen und kapitalistischen Wirtschaftssystem unterordnen, um sich ökonomisch zu partizipieren. Dadurch üben wir größten Druck auf die lokalen Wirtschaften aus und bieten korrupten Regierungen viel Handlungsspielraum. Der so entstandene Schaden für den Staat ist um ein vielfaches höher, als jede „Entwicklungshilfe“ je wieder ausgleichen könnte. Um ein Beispiel zu geben: Der prozentuale Anteil des ganzen Kontinents Afrika an der Weltwirtschaft beträgt 1%. Würden wir den afrikanischen Ländern die Möglichkeit geben, diesen Anteil auf 2% steigen zu lassen indem wir die Börse und den Markt etwas regulieren würden, würde mehr Geld nach Afrika fließen, als die gesamten Gelder der Entwicklungshilfe aller Zeiten.
Letztlich beruht unser Reichtum auf der Armut der restlichen Bevölkerung, und nur eine wirklich tiefgreifende Reform unseres globalen Wirtschaftssystems könnte endlich den Wohlstand aller Menschen ermöglichen.
Und was für einen Sinn haben nun Freiwilligendienste? Jedenfalls trägt er nicht zur Verminderung der existenziellen Armut, zur Ernährung hungernder Menschen oder der Bildungsgerechtigkeit bei. Aber dafür besitzt er eine große soziale/psychologische Komponente und mit seinem Beitrag zur Völkerverständigung hat er auch einen Bildungsaspekt, der nachhaltig ist.
Das Freiwillige Soziale Jahr verändert wohl nicht viel an der Situation der Bevölkerung, sehr wohl aber am Weltbild des Freiwilligen. Diese Erfahrungen und alles, was ich in diesem Jahr gelernt habe, vor Allem über mich selber, haben mich stark geprägt. Insofern war es mehr eine Entwicklungshilfe für mich persönlich! Nachdem ich nun die Ungerechtigkeit dieser Welt, die mir zwar bereits bewusst war, auch erlebt habe, werde ich nach meinen Kräften dagegen kämpfen.
Und genau dieses Bewusstsein für die Missstände auf der Erde werden am besten durch einen Freiwilligendienst vermittelt, da die Theorie und die bloßen Fakten und Zahlen zwar Menschen informieren, nicht aber völlig überzeugen können. Deswegen werden diese Dienste vom Staat finanziert, um uns diese Perspektive zu schenken, um uns zu verantwortungsbewussten und in globalen Zusammenhängen denkenden Menschen zu machen. In der Regel engagieren sich ehemalige Freiwillige auch weiterhin ehrenamtlich und leben umweltschonend und bewusst.
Die Völkerverständigung ist ein weiterer Bildungsaspekt: Durch die Freiwilligenarbeit stoßen zwei Kulturen aufeinander, zwei Sprachen, zwei Weltansichten, schlicht: Zwei Welten. Und in unzähligen lustigen, peinlichen bis verstörenden aber immer erhellenden Momenten lernte ich alles über das Leben und die Menschen Nicaraguas, genauso wie ich etwas von meiner Heimat Deutschland vermitteln konnte. Und es gibt nichts Wichtigeres, keinen stärkeren Motor für Entwicklung und Innovation wie die Inspiration, das Wissen, dass alles auch anders sein kann und die Kreativität, mit der man sich eine Zukunft erträumt. Ich durfte unglaublich inspirierende Menschen kennenlernen, die um ihr Leben kämpfen und eine ganz andere Sicht auf die Dinge haben als ich, und ich hoffe, dass auch ich nachhaltig inspirieren konnte.
Und es hat mir immer riesig Spaß gemacht, zu erklären, wo genau Deutschland liegt (nicht in Amerika..), dass man dort kein Spanisch spricht (und unter großem Gelächter Deutsch geredet) und dass man dort keinen Gallo Pinto, das nicaraguanische Nationalgericht isst (großes Erstaunen „Ja aber was esst ihr denn dann?“). Und genauso habe ich gelernt, was es bedeutet, in einem Land zu leben, in dem die Familie das Zentrum des Lebens ist, in dem Kinder viel zu schnell erwachsen werden und in dem du der Politik und der Polizei am allerwenigsten vertrauen kannst.
Ich glaube, dass Unrecht, Gewalt und Hass dadurch entstehen, wenn Menschen sich nicht länger als Mitmenschen wahrnehmen, sondern sich von anderen distanzieren, sich abgrenzen, und alles, was nicht ihrem Ebenbild entspricht als „fremd“ ansehen. Aber durch die offene Begegnung sich ehemals fremder Kulturen lösen sich Stereotypen und Vorurteile auf, und dazu tragen Projekte wie Freiwilligendienste mit großem Verdienst bei.
Abschließen möchte ich meine Kritik an dem Konzept der Freiwilligendienste mit folgender Zusammenfassung: Ein Freiwilliges Soziales Jahr ist eine unvergleichliche Erfahrung für junge Menschen, sie bietet einem die Chance zu wirklichem persönlichem Wachstum, aber es ist kein Beitrag zur Entwicklungshilfe. Deswegen würde ich es begrüßen, wenn weltwärs nicht wie momentan aus dem Fond für Entwicklungshilfe, sondern mit anderen Geldern (beispielsweise dem Bildungsetat) finanziert werden würde, und mit dem eingesparten Geld wirklich nachhaltige Projekte im globalen Süden unterstützt werden würden. Dies wäre allerdings trotzdem noch wirkungslos, wenn sich nicht etwas an unserem globalen Wirtschaftssystem ändert, das immer mehr Menschen in die Armut zwingt.
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