Frankreich vor dem Halbfinale
-- ich bin ein bisschen spät dran, ich weiß --
EM-Begeisterung ist aufgekommen. Mit allen Freiwilligen sitze ich am Sonntag in der Küche und sehe das Spiel Frankreich gegen Island, bei dem uns schon nach kurzer Zeit die Gäste sehr leidtun. Doch bei den Franzosen scheint nun das Interesse aufgeflammt zu sein. Nach dem „grandiosen Sieg der Blauen“, während des „vielleicht besten Spiels der Europameisterschaft“ fiebern die Gastgeber bei der EM in ihrem eigenen Land immer mehr mit. Schon beim Spiel Italien gegen Deutschland ist es zu spüren: Jetzt wollen sie gewinnen, so wie sie es zuhause immer getan haben. Und da wird diskutiert, wen man lieber als Gegner im Halbfinale hätte – und Deutschland ist da bei unseren jugendlichen Freunden aus Redon nicht die erste Wahl gewesen. Und trotzdem haben die „Blauen“ hier an Selbstbewusstsein und Vertrauen der Fans gewonnen; mit Ehrgeiz ins Finale.
Die EM ist im Alltag präsent geworden. Auf der Straße trifft man Kinder in Fußball Trikots, vor allem Griezmann scheint sehr beliebt zu sein. Während unseres Jugendtheaterfestivals am Wochenende spüren wir die Veränderung in der Haltung zum Fußball. Wir verlieren samstags gegen Ende an Publikum – das Spiel hat angefangen. Sonntags treten wir zum Glück früher auf – auch wenn unseren jugendlichen Schauspielern die EM egal ist. Doch die Menschen fiebern mit, das Fußballspiel am Abend ist für viele ein wichtiger Termin geworden. Mittlerweile sind die Pubs während der Spiele voll, einige bieten, seit es Sommer geworden ist, sogar Public Viewing. Meine deutsche Mitfreiwillige erzählt mir von der Fußballbegeisterung ihrer Schützlinge in einer Einrichtung für körperlich behinderte Jugendliche: Sie haben das Spiel Deutschland gegen Frankreich schon ausgetragen – sie als Deutsche gegen ihre französischen Kinder. Deutschland hat wohl haushoch verloren, was den Kleinen gut gefallen hat, auch wenn sie noch nicht entschieden haben, für wen sie am Donnerstag sind. Im Nachbardorf wird währenddessen für den großen Tag ein Kickerturnier organisiert. Mehrere Mannschaften aus Jugendlichen werden gegeneinander antreten und ihre eigene kleine EM veranstalten. Und danach wird gemeinsam in bunter Runde das Spiel geschaut und die Blauen angefeuert.
Bei manchen ist es aber immer noch nicht richtig angekommen. Unsere Koordinatorin der Freiwilligen sitzt am Sonntagabend nach dem Spiel mit bei uns und wundert sich über unser Fußballinteresse. Meine Verteidigung, dass wir immerhin im Gastgeberland sitzen, erntet erst einmal einen verständnislosen Blick, bis es ihr dämmert und sie in lautes Lachen ausbricht. Trotz allem gibt es einfach immer noch wichtigere Themen, und das vor allem hier in der Bretagne, die wenig von den Spielen und dem Fanandrang vom Ausland mitbekommt.
Und wir, meine deutsche Mitfreiwillige und ich, wir wissen nicht so genau, für wen wir jetzt sind. Aber sehen werden wir das Spiel natürlich – vermutlich in einer Bar mitten unter Franzosen.