„Forget your past“: Die Sowjetruine Buzludzha
Kommunistische Vergangenheit, die man gerne vergessen würde - die Ruine Buzludzha ist der Überrest des größten Sowjetdenkmals in Bulgarien.
Mitten in Bulgarien erstreckt sich das Balkangebirge, dessen Gipfelkette den Norden und den Süden des Landes trennt. Sollte man zufällig die Bundesstraße im Talkessel zwischen dem Balkangebirge und den Rhodopen entlang fahren, so kann ein aufmerksamer Beobachter ein seltsames rundes Ufo auf einem der Gipfel oberhalb der Baumgrenze entdecken.
Nun trennt uns nur noch eine 30-minütige Autofahrt über den Schipkapass von diesem Sagenumwobenen Gebäude. Die Serpentinen schlängeln sich dicht den Berg empor, je höher wir kommen, desto mehr Schlaglöcher tauchen auf der Straße auf. Sie zwingen uns dazu immer wieder komplett abzubremsen um mit 2 km/h durchzurollen. Um 15 Kilometer zurückzulegen kann man schon mal eine halbe Stunde brauchen. „Seid vorsichtig mit den Reifen!“ hat uns die Frau des Autoverleihs gewarnt. Als wir erzählt haben, dass wir in die Berge fahren sind ihre Gesichtszüge für einen Moment entgleist.
Als die Bäume lichter werden offenbart sich vor unseren Augen das sonnendurchflutete herbstliche bulgarische Flachland. Ich öffne das Fenster und atme tief ein. Es tut gut eine Weile dem Smog von Plovdiv zu entkommen. Und irgendwann haben wir es endlich geschafft: Ein riesiges ufoförmiges, graues Betonobjekt taucht direkt vor uns auf. Daneben ragt ein Turm in die Höhe, an dessen Spitze lässt sich ein roter Stern als Zeichen des Kommunismus erkennen.
Buzludzha wird die Ruine genannt, es handelt sich um das größte sozialistische Denkmal des Landes. 1981 wurde es zur 1300 Jahrfeier der bulgarischen Staatsgründung eingeweiht. Die Standort auf dem Gipfel des Chadschi Dimitar Bergs wurde gewählt, da hier der Rebellenführer Chadschi Dimitar gegen die Türken kämpfte um Bulgarien von der Fremdherrschaft zu befreien und zur Unabhängigkeit zu führen. Bereits 1891 hat eine politische Partei hier über die kommunistische Zukunft des Landes beraten.
Etwa 7 Millionen US Dollar soll der Bau gekostet haben – nur 8 Jahre nach der Einweihung kommt es zum Fall des Kommunismus und das Denkmal beginnt zu verrotten. „Forget your past“ titelt ein Graffiti am Eingang des monströsen Gebäudes. Es handelt sich um einen ironischen Kommentar über den Umgang Bulgariens mit der kommunistischen Vergangenheit. Desinteresse und fehlendes Gefühl von Verantwortlichkeit sorgten zum Verfall des Gebäudes zu einer riesigen Ruine. Mittlerweile wurde des Graffiti bearbeitet – nun steht dort „Don’t forget your past“, aus dem ironischen Kommentar wird nun vielmehr eine Warnung.
Ebenfalls völlig desinteressiert und unbewusst über die historische Bedeutung dieses Ortes scheinen die Pferde zu sein, die hier und auf den umliegenden Gipfeln grasen. Der Eingang des UFOs ist sorgfältig verschlossen, weitere Seiteneingänge wurden zubetoniert. Doch wenn die Neugierde zu groß ist und der Wille, die Vergangenheit nicht zu ignorieren, sondern zu erkunden besteht, lässt sich ein Weg finden in das Gebäude einzudringen.
Durch ein kleines Loch im Beton des Gebäudes klettern wir hinein und werden – einer nach dem anderen – von der Dunkelheit des UFOs verschluckt. Überall liegt Schutt, der von den maroden Wänden und Decken abgefallen ist. Das Öffnen der Tore des Gebäudes wäre wegen der Einsturzgefahr wahrscheinlich unverantwortbar. Es steht zwar nirgends geschrieben, aber es ist uns allen bewusst: Betreten auf eigene Gefahr.
Die breiten Treppen führen uns in das runde Parlament des Gebäudes. Zahlreiche Fenster und Löcher in der Decke sorgen für einen lichtdurchfluteten Saal, der zahlreiche rote Mosaike mit Köpfen bedeutender Kommunisten und dem Symbol der Sowjetunion beinhaltet. Beeindruckt von der Ästhetik des Zerfalls bleibt uns der Atem stehen. Eine merkwürdige Atmosphäre herrscht in diesem Parlament. Lange sitzen wir dort und lassen die Eindrücke auf uns wirken. Durch die großen Fensteröffnungen können wir das Gebirgspanorama beobachten. An einem solch idyllischen Ort steht also das größte kommunistische Denkmal des Landes, mitten im Gebirge, nur erreichbar mit dem Auto. Sicher ist es falsch, einen solch beeindruckenden Ort so zu vernachlässigen. Auf der anderen Seite ist es gerade deswegen so faszinierend, da diese Ruine so verfallen ist.
Wir haben uns schon lange durch das Loch in der Wand ins freie gezwängt, da schießt uns plötzlich ein Gedanke durch den Kopf: Der Turm! Rund um das Gebäude finden wir keinen potenziellen Eingang – also zurück ins UFO. In den Kellerräumen leuchten wir mit unseren Handylampen herum, finden alte Duschräume und einen Gang, der wohl einen Korridor zum Turm bilden muss. Der Boden ist voller Löcher, durch die man in das nächsttiefere Stockwerk fallen kann. Vorsichtig bewegen wir uns an diesen Löchern vorbei. In einem Raum finden wir eine kleine rostige Leiter, die nach oben führt – der Weg zum Turm?
Dunkelheit und Kälte umgibt uns auf dem Weg nach oben. Eine Handytaschenlampe, 6 Personen. Im fahlen Licht der Lampe sehe ich meinen dampfenden Atem. Eine rostige Leiter nach der anderen erklimmen wir, begleitet von der Angst, dass die rostigen Leitern einstürzen und dem Unwissen ob dieser unendliche Weg jemals ans Ziel führt – den der Blick nach oben offenbart nicht mehr als das nächste Stockwerk. Nach einer gefühlten Ewigkeit und einem gescheiterten Versuch die Gruppe zur Umkehr zu überreden erblicken wir Tageslicht. Die roten Fenster des roten Sternes nahe der Turmspitze lassen licht herein. Da die Fenster zum Großteil eingeschlagen sind entgeht einem auch nicht der Blick nach draußen in die unendliche Tiefe, der weiche Knie beschert. Der Ausblick auf der Turmspitze ist tatsächlich genau der gleiche wie auf dem Berggipfel. Der Aufstieg selbst war dafür der Adrenalinkick schlechthin. Wir alle sind sichtlich erleichtert als wir sicher unten ankommen und die Ruine heil verlassen.
Weitere Beiträge
- Kirche x contemporary art: Kunst aus dem verlassenen Krankenhaus
- Meadows in the Mountains Festival – die britische Bohème tanzt in den bulgarischen Bergen
- LUMMIX Light Festival in Plovdiv – Licht durchdringt auch ethnische Grenzen
- Illegale Zerstörung eines Kulturdenkmals: ein herber Schlag für die Kulturhauptstadt 2019
- Unsere Freunde aus dem Ghetto
Commentaren