Fantastische Fritten und verbesserungswürdige Verkehrsbetriebe
Über die ersten zwei Monate meines ESKs und wie Pommes mir dabei helfen, den belgischen ÖPNV zu überleben
Seit nun exakt zwei Monaten bin ich in Belgien als ESKler auf einem Bauernhof für Kinder und Familien. Sowohl inner- als auch außerhalb meiner Organisation nimmt mich das Projekt komplett ein.
Angefangen habe ich am 09. September nach einer langen Zugreise von Freiburg nach Gent. Auf dieser Reise durfte ich direkt in den Genuss der belgischen ÖPNV-Betriebe kommen, aber dazu später mehr.
Begrüßt wurde ich natürlich, wie sollte es auch anders sein, mit einem gemeinsamen Pommes-Essen. Da ich bei diesem relativ schnell feststellte, dass Belgien, als Mutterland der Pommes, diesem Ruf auch alle Ehre erweist, begann ich an meinem eigentlichen Vorhaben, in den folgenden zwölf Monaten sportlich fitter zu werden, stark zu zweifeln. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich aber noch nicht mal Fristi, Chocomel, geschweige denn ein Frikandelbroodje gekauft, also bin ich sowieso verloren.
Die darauffolgenden Wochen bestanden auf der Farm aus einer anfänglichen Einarbeit- und Kennenlernphase, die zügig abgelöst wurde durch das Gefühl ein geschätzter Teil des Projekts zu sein, dem man Raum gibt, sich in alle Richtungen einzubringen und kreativ zu beteiligen. Ich kann mich wirklich glücklich schätzen, hier zu sein.
Meine Aufgaben bestehen aus klassischer Farmarbeit, das heißt Ställe säubern, Tiere füttern usw., aber auch dem Begleiten von Schulklassen, die für einen oder mehrere Tage auf die Farm kommen. Ab und zu gibt es auch noch Camps mit bis zu 30 Kindern, bei diesen helfe ich auch als Hofanimator. Ansonsten wurde ich schon zum IT-Experten benannt, weil ich weiß, wie man einen Druckertreiber aktualisiert und ich designe Flyer und erstelle Promomaterial, wenn es nötig ist.
Als jemand, der in einem kleinen Dorf am Bodensee aufgewachsen ist, war das, größtenteils unbeabsichtigte, da meinem schlechten Orientierungssinn geschuldete, Erkunden einer „großen“ Stadt wie Gent für mich selbstverständlich sehr aufregend. Dazu zählen für mich auch so Sachen wie ahnungslos vor einem Regal Waschmittel stehen, weil man keine Referenz hat, ob die angebotenen Produkte jetzt teuer oder ein Schnäppchen sind. Als ESKler will man da lieber Geld sparen, vor allem, wenn man bedenkt, dass man das Geld auch für Pommes ausgeben könnte.
Da meine Farm leider nicht in Gent ist, sondern sich 30 km Luftlinie südlich, am Rande der Flämischen Ardennen, befindet, pendele ich jeden Tag mit Bus und Bahn.
Wie eingangs bereits erwähnt, verlief meine Anreise schon nicht ganz problemlos. Durch Menschen auf den Gleisen in Brüssel war damals der komplette Schienenverkehr lahmgelegt. Züge wurden im Minutentakt abgeschafft oder an andere Gleise verlegt und Auskunft über die Situation gab es über Durchsagen nur spärlich und gar nicht über die, sich am anderen Ende des Gleises und damit absolut dämlich platzierten, Videotafeln. Das alles zwei Stunden lang, bei 28°C mit 60kg Gepäck und ständigem Hin- und Herrennen von Gleis zu Gleis. Ja, geil.
Doch da wusste ich ja noch nicht, was mit dem flämischen Busunternehmen De Pijn, pardon, De Lijn noch vor mir steht.
Dass die Busse Monitore haben, welche eigentlich Auskunft über den Fahrplan geben könnten, diese aber grundsätzlich ausgeschaltet und somit nutzlos sind, ist nur die Spitze des Eisbergs. Bis jetzt war der Bus, bis auf ein Mal, ungelogen jeden einzelnen Tag zu spät, wenn ich von der Farm zum Bahnhof fahren wollte. Im Mittelwert liegen wir hier gut und gerne bei sechs Minuten. Das ist kein Witz. Noch ist es einigermaßen erträglich mit den Temperaturen, aber was freue ich mich schon darauf bei Minusgraden beinahe einem Kältetod zu erliegen, weil mein Bus nicht kommt. Des Weiteren kommen noch so Dinge hinzu wie Busfahrer, die an manchen Haltestellen schlichtweg nicht halten, keine Auskunft darüber, dass gestreikt wird und fehlende Informationen für Ersatzhaltestellen. Mein persönlicher Favorit bleibt aber noch ein Busfahrer, der gerne mal ein, zwei Minuten stehen bleibt, um noch mit jemand ein Pläuschchen zu halten. Immerhin - wundern, woher die Verspätungen kommen, tue ich mich nicht.
Da ich nun aber an dem Punkt angekommen bin, an dem nur noch das Wort „Frechheit“ fehlt, damit ich endgültig wie ein Mittfünfziger klinge, der eine empörte Google-Rezension über den unverschämten Service™ des Unternehmens schreibt, wechsele ich lieber das Thema und komme zu etwas sehr Positivem: Niederländisch. Meine Güte, liebe ich diese Sprache.
Da ich bereits einen Monat vor Abreise begonnen hatte, intensiv Niederländisch zu lernen, war ich nach einem Monat Aufenthalt in Belgien, also Oktober, bereit, nur noch diese Sprache zu sprechen. Das bringt nicht nur den Vorteil, dass die Leute rund um meine Organisation alle in ihrer Muttersprache mit mir reden können und ich sie somit noch viel besser kennen lerne, aber es gibt mir, vor allem, weil ich ja auch viel Arbeit mit Kindern habe, die Möglichkeit deutlich mehr Projekte zu verfolgen.
Was mich einfach immer wieder aufs Neue begeistert, ist, wie klug und einfach so vieles im Niederländischen gelöst wird. Wo man im Deutschen beinahe eine ganze Zeile braucht um die Wörter „Fahrrad“, „Fahrrad fahren“ und „Fahrradfahrer“ zu schreiben ist es im Niederländischen lediglich „fiets“, „fietsen“, „fietser“. Das spart ungefähr so viel Zeit ein, wie die Busse jeden Tag Verspätung haben. Ebenso sagen wir im Deutschen an der Supermarktkasse „mit Karte zahlen“. Das sind drei Wörter für eine einfache Aktion. Der Niederländer sagt „pinnen“. Das ist tausendmal schlauer. Die Gangschaltung ist „versnelling“, die Liste ist beinahe endlos.
Durch das Erlernen bieten sich auch so viele andere Möglichkeiten an die ich noch gar nicht gedacht hatte, z,B. niederländischsprachige Serien zu schauen. Zugegebenermaßen, ich schaue zur Zeit Spongebob auf Niederländisch, das mag nicht so originell sein, es lohnt sich aber wirklich der niederländisch-flämischen Filmindustrie eine Chance zu geben. Ich kann auf Netflix den Film „Bankier van het verzet“ empfehlen.
Aber auch sonst, im Allgemeinen, merkt man, dass Menschen anders mit einem reden, als wenn sie aufs Englische angewiesen sind. Das ist sicherlich keine weltbewegende Erkenntnis, aber ich habe, wie bereits erwähnt, doch sehr das Gefühl, dass es dazu beiträgt, die Leute besser kennenzulernen, gerade weil es, zumindest meiner Erfahrung nach, auch sehr geschätzt wird, wenn man zeigt, dass man interessiert ist. In Deutschland kommen viele Menschen immer in Versuchung mit Leuten, die Deutsch lernen wollen, Englisch zu reden. Ich habe nun selber gemerkt, wie nervig das sein kann.
Zusammengefasst sind alle Dinge, auf die meine Organisation Einfluss hat, sehr gut bis fantastisch. Für einen ESKler habe ich z.B. auch eine hervorragende Wohnsituation. Wenn dann halt mal so Sachen passieren wie ein Busfahrer, der einen stehen lässt, oder, dass mein Fahrrad nach einem Monat bereits kaputt geht, ist das natürlich ärgerlich, aber eigentlich auch marginal. Ich werde mich in den folgenden zehn Monaten auf die Dinge konzentrieren, die wirklich wichtig sind: Pommes essen.