Europa, was ist los mit dir?
Der Versuch einer sanften, sachlichen Darstellung meiner unbändigen Wut über Europas Ignoranz gegenüber Geflüchteten
Vor 7 Jahren schaute ich das erste Mal über den Tellerrand hinaus in die Welt. Ich packte meinen Rucksack für einen Freiwilligendienst in Griechenland. Furchtlos, neugierig und wahnsinnig aufgeregt ließ ich die Kleinstadt hinter mir, die mir die letzten 18 Jahre ein zu Hause war. So zog ich los, grün hinter den Ohren, aber bereit die Welt zu entdecken und Deutschlands Grenzen hinter mir zu lassen. Ich verliebte mich, nahm 10 Kilo zu, trampte, machte Freunde aus ganz Europa, joggte durch Olivenhaine und grüßte alte Damen, die ihren Esel ritten auf griechisch. Ich pendelte zwischen Bergdorf und Athen und genoss das erste Mal vollkommene Freiheit und Unabhängigkeit von meinen Eltern. Ich war im Rausch und sog alles Neue in mich auf.
Ich lernte auch das erste Mal was es bedeutet fremd zu sein. Wenn man nicht als Mensch wahrgenommen wird, sondern politische Meinungen, Haarfarben und die Nationalität den ersten Eindruck von dir prägen. Das hat mich sehr sensibilisiert für meine eigenen Urteile, die ich seitdem versuche zu hinterfragen. Doch hatte es mich einmal gepackt, so hat das Reisefieber mich nie mehr losgelassen. Es fällt mir schwer lange an einem Ort zu bleiben und so gern ich auch nach Hause zurückkehre, genauso wichtig ist es mir geworden die Augen zu öffnen für den Rest der Welt. Für Europa und für alles was dahinter liegt. Ich habe es immer als eine Bereicherung gesehen, Grenzen zu überschreiten und Gemeinsamkeiten und Unterschiede anderer Kulturen zu erforschen.
Dabei wurde mir in den letzten Jahren auch mein Privileg bewusst. Die Nachrichten begannen mehr und mehr Bilder zu zeigen, wie Geflüchtete ihre Länder und Lieben verließen und so einfach Grenzen zu überschreiten, wie es mir, für sie nicht möglich war. Weil sie keinen deutschen Pass besitzen. Für viele endete diese gefährliche Reise mit seeuntauglichen Schlauchbooten im Mittelmeer. Mit dem Tod durch Ignoranz. Ich bin dankbar in Frieden aufgewachsen zu sein und weiß nicht was Mangel, Hunger oder Krieg bedeutet. Umso mehr trete ich ein für Solidarität mit Menschen, denen dieses Privileg nicht zuteil wird und die deswegen fliehen. Das Sterben im Mittelmeer und das Leiden in Camps entspricht einer inhumanitären Verhaltensweise von europäischen Bürger*innen, die sich in keinster Weise rechtfertigen lässt. Wie kann es sein das Menschenleben nach Nationalität gewertet werden? Wie kann es sein, dass Seenotrettung illegal ist? Wie kann es sein, das Menschen in Slums leben müssen, obwohl genug für alle da ist? Wie werden wir das irgendwann einmal vor unseren eigenen Kindern rechtfertigen können?
Ich wünsche mir ein solidarisches, offenes, mutiges Europa, dass sich nicht von Angst, Fremdenfeindlichkeit und Hass leiten lässt in seinem politischen Handeln. Ein Blick zurück in die Geschichte zeigt, dass das niemals zu etwas Gutem geführt hat. Die Freiheit, die ich selbst das erste Mal vor 7 Jahren gekostet habe hat nun einen bitteren Beigeschmack bekommen, denn sie ist zu einem merkwürdigen Privileg verkommen, das nur einigen Ausgewählten zuteil wird und dabei viele zurücklässt in den kalten Wellen des Mittelmeers.