Es grünt so grün wenn Stalins Pappeln blühen…
Nach einigen Monaten des Aufschiebens schafft es Lockenjule endlich, Tiraspol zu besuchen. Mithilfe einer Einheimischen wird der Besuch in der Hauptstadt Transnistriens zu einem vollen Erfolg.
Jawohl jetzt hat sie's! Nach über acht Monaten ständigen Aufschiebens wegen klimatischer oder zeitlicher Unpässlichkeit hat es die Autorin tatsächlich geschafft, nach Tiraspol zu fahren! Diese 190.000-Einwohner Stadt ist die Hauptstadt von Transnistrien, einem der häufigsten Gründe, warum es doch ein paar Reisende nach Moldawien verschlägt. Zur Erklärung: Transnistrien ist eine im östlichen Teil des Landes gelegene Region, die sich selbst als autonomer Staat erklärt hat. Es wird von keinem Staat anerkannt, außer von den sogenannten 'Staaten' der postsowjetischen Gemeinschaft nicht anerkannter Staaten (bestehend aus Abchasien, Bergkarabach, Südossetien und Transnistrien).
Dennoch geht es Transnistrien, das seinen Namen übrigens durch die Lage jenseits des Flusses Dnjestr erhalten hat, nicht gerade schlecht: Im Gegensatz zum Rest Moldawiens gibt es dort mehrere Industriestandorte, deren Waren in über 50 Länder exportiert werden. Der Exportschlager des Landes ist neben Waffen für Russland der in Osteuropa sehr berühmte "Kvint", ein tatsächlich vorzüglich mundender Cognac. Viele moldauische Studenten fahren dafür (und für lächerlich billigen Wodka) auch gern mal übers Wochenende nach Tiraspol zum Einkaufen.
Allerdings muss auch so viel an Lebensmitteln importiert werden, dass die Handelsbilanz von legalem In- und Export eher in roten Zahlen steht. Die eigentlichen finanziellen Quellen, so erzählt man sich in Moldawien und in Berichten des EU-Parlaments, sind Geldwäsche, Menschen- und Waffenhandel. Dort wird die Region auch gern als "militärisch geführte Mafiahochburg" o.ä. bezeichnet. Zu derlei Einschätzung fehlt mir allerdings das politische Fachwissen. Was ich aber aus Erfahrung sagen kann, sind folgende Dinge: Amtssprache dieses "Landes" ist natürlich Russisch, und auch nur Russisch und bitte kein Rumänisch. An der Grenze, die mit großen roten Schildern mit Hammer und Sichel, Panzern, viel zu vielen Grenzposten und der rot-grün-roten Landesflagge geschmückt ist, wartet man ewig und drei Tage auf die Registration seines Passes, in den man dann aber nicht mal einen Stempel bekommt. (Es soll hier aber zumindest lobend hinzugefügt werden, dass die transnistrischen Grenzbeamten die einzig netten und lächelnden Passkontrolleure waren, denen ich jemals begegnet bin.)
Haben es dann nach etwa 45 Minuten alle Insassen des Minibusses Richtung Tiraspol geschafft, Einreisegenehmigung zu erhalten, gelangt man endlich in die ПМР (Приднестровская Молдавская Республика). Nach einer weiteren halben Stunde Fahrt durch die Grenzstadt Benderi (Бендеры) und einige Dörfer gelangt man dann endlich in die wahrscheinlich unspektakulärste Hauptstadt Osteuropas. Zum Glück kannte Rosi (meine Mitbewohnerin, mit der zusammen ich diesen Ausflug unternahm) eine Studentin, die dort wohnte und uns abholen, herumführen und zu sich nach Hause einladen wollte.
Wir kamen also gegen Mittag am Busbahnhof an, wo Rosis Freundin (mit dem seltenen Namen Natasha) uns auch schon erwartete. Wir machten einen Spaziergang durch die Innenstadt, die sich aber höchstwahrscheinlich von den äußeren Teilen nicht wirklich unterschied, denn überall standen die typischen grauen stalinistischen Vierstöcker. Wir liefen entlang des Sitzes des obersten Rates, den Hauptsitzen verschiedener Parteien, Gerichten… und immer wären wir ohne den Hinweis Natashas nie darauf gekommen, das diese oder jenes graue hohe Gebäude etwas Besonderes war. Trotzdem gefiel uns die Stadt, denn es war ein sonniger, warmer Tag und überall grünte und blühte es. Die ist das tolle an allen Städten, die einst Teil der SU waren: Überall stehen Bäume und Sträucher, überall gibt es Parks und große Grünflächen. Etwas nervig war nur, dass uns ständig Unmengen von Pappelpollen ins Gesicht flogen und sich wie Schnee überall auf die Sachen, die Haare und in die Nasenlöcher setzten. Aber wer eine grüne Stadt will, muss eben auch die Eigenheiten der Flora mögen.
Über einen Markt und entlang diverser Kriegsdenkmäler gelangten wir dann schließlich zum zentralen Platz der Stadt, wo der Palast der Republik und eine große Reiterstatue in Gedenken an den Krieg gegen die Türken zu finden waren. Von dort gelangten wir an den Dnjestr, wo wir ein wenig am mit Bäumen gesäumten Ufer entlangliefen, kleinen Jungen beim Baden und alten Omis beim Kaffeklatsch auf der Parkbank zusahen. Dann liefen wir zur Wohnung der Studentin.
In dieser kleinen aber sehr hübsch und modern eingerichteten Ein-Zimmer-Wohnung lebte sie an den Wochenenden, wenn sie nicht zum Studieren in Chisinau war. Nicht etwa allein, sondern zusammen mit ihrer Mutter, die mit 45 Jahren immer noch so jung aussah, als sei sie Natashas Schwester. Die nette Dame hatte für uns ein typisch transnistrisches Essen gemacht, natürlich von allem viel zu viel. Es gab verschiedene Salate, Huhn, Placinta (ein Teiggericht), Gemüse, Obst, Brot, Schokolade, Tee und Saft… und nach etwa einer Stunde beständigen Essens waren Rosi und ich so voll, dass wir daran zweifelten, überhaupt noch zurück zur Bushaltestelle zu kommen. Die Mutter freute sich über unseren gesunden Appetit und unsere Russischkenntnisse, und wir genossen die Gastfreundschaft.
Gegen vier Uhr nachmittags verließen wir dann die Wohnung, vollgepackt mit Placinta und Schokolade für den Heimweg. Wir waren gerade zwei Minuten gelaufen, da fuhr uns ein Minibus Richtung Chisinau entgegen. Wir verabschiedeten uns eilig und hielten den Bus an. Erst als wir die Tür hinter uns geschlossen hatten und der Bus anfuhr, merkten wir, dass alle Sitzplätz bereits belegt waren. Allerdings führen die meisten moldawischen Minibusfahrer immer noch winzige Holzklapphocker mit sich, um noch Leute im Gang zu platzieren und so mehr zu verdienen. Auf solchen verbrachten wir also die Fahrt; in jeder Kurve besorgt, dass das Gestell unter uns zusammenbricht oder umkippt und wir auf dem Schoß eines anderen Fahrgasts landen. Aber die Hocker überlebten die Fahrt; und so kamen wir eineinhalb Stunden später zwar etwas ermattet und mit schmerzendem Hintern, aber vollauf zufrieden mit dem Ausflug wieder am zentralen Busbahnhof in Chisinau an.