Erste Erfahrung in einer Poliklinika
Wenn man vor lauter Euphorie über den Frühling beim Fahrrad fahren nicht aufpasst.
Frühling. Endlich Frühling.
Unglaublich, dass es endlich Plusgrade hat, die Sonne scheint und wieder Menschen auf den Straßen unterwegs sind.
Und endlich wieder Fahrrad fahren. Nach 8 Monaten.
„Just don't put in first gear, because it's not working.“ Klar, und los geht's. An der Neris entlang, die zwar nicht so sehr verehrt wird wie der andere Fluss, der durch Vilnius fließt, die heiß geliebte Vilnele, doch es ist trotzdem wunderschön.
Bis ich – unbewusst – in den ersten Gang schalte. Sofort Krachen und Knacksen, ich habe Angst dieses Fahrrad, das ja nicht mir gehört, kaputt zu machen und bremse abrupt ab.
Ich werde es die nächsten sieben Tage bereuen.
Matas ist um einiges größer als ich, deshalb ist sein Fahrrad groß und Matas ist ein Mann, deshalb ist auch sein Fahrrad für Männer gebaut. Das hätte ich bedenken sollen.
Leider jedoch habe ich es vergessen, rutsche vom Sattel nach vorne, um mit den Füßen den Boden berühren zu können und mit viel Energie krache ich auf die Stange zwischen meinen Beinen.
Schmerz. Ungewohnter Schmerz.
Ich schmeiße das Fahrrad zu Boden und humple ein bisschen im Kreis.
Zwei Tage später beschließe ich, doch zum Arzt zu gehen, weil der zu erst milde Schmerz immer schlimmer wurde, und ich mich nicht hinsetzen, geschweige denn normal gehen konnte, von der Schwellung ganz abgesehen. Ein schöner blauer Fleck, an einer unglaublich unpasssenden Stelle.
Matas hat Gott sei Dank Zeit, mich zur Poliklinika zu begleiten, ich bin zwar stolz auf meine litauisch Kenntnisse, doch dafür reichen sie bei weitem noch nicht.
Außerdem muss sich der litauische Patient erst einmal in dem Komplex einer Poliklinika (ein Gebäude mit allen verschiedenen Ärzten) zurecht finden.
Also zuerst zur einem Informationsstelle, dann in ein anderes Gebäude, wieder zur Information, dann zur Registrierung. Und immer wieder die gleiche Geschichte und die gleichen Reaktionen:
„Mano drauge is vokietijos.....“: „Meine Freundin aus Deutschland...“, der Blick der Person, mit der Matas redet, springt von seinem Gesicht zu meinen. Sie mustern mich prüfend. Eine Ausländerin! Aus Deutschland! „....hatte einen Fahrradunfall und hat einen großen blauen Fleck im Genitalbereich.“ Nun geht der Blick wieder zu Matas zurück, fragend, überrascht. Dann wieder zu mir. Obwohl mir das lange Warten und Rumstehen unangenehm ist und ich Schmerzen habe, muss ich lachen, die Situation ist doch zu komisch.
Schließlich, nachdem ich registriert bin, meine Daten von meinem Personalausweis auf eine graue Karte übertragen wurden, und einige ältere Frauen meinen Fall diskutiert haben („....bet yra uzsiene mergaite!“ - „....aber es ist ein ausländisches Mädchen!“), schicken sie mich in den zweiten Stock, zum Gynäkologen.
Ein kurzer, grauen Gang mit Bänken links und rechts, auf denen viele Frauen und auch einige Männer sitzen und warten. Die sterile Stimmung, die ich aus deutschen Krankenhäuser oder Arztpraxen gewohnt bin, fehlt. Wie üblich in Litauen bröckelt der Putz ein wenig, auch die Bänke sind nicht hochglanzpoliert, sondern eher hölzern mit einigen Löchern. Doch eigentlich stört mich das nicht.
Nur als ich dann auf die Toilette – gleich neben dem Zimmer der Gynäkologin - gehe, auf der es kein Klopapier und sonstige Papierhandtücher gibt, wundere ich mich ein wenig sehr.
Noch komischer als ich findet diese Situation wohl Matas. Oder auf jeden Fall wundern wir uns zu zweit, wie so was passieren kann. Wollten wir genau zu diesem Zeitpunkt nicht in der Kunstakademie einen Kalligraphieworkshop besuchen? Stattdessen sitzen wir in der Warteschlange beim Gynäkologen. Es ist sein erstes Mal beim Gynäkologen.
„Will I have to go inside with you??“
Schließlich werden wir endlich aufgerufen. „Galima įeiti kartu?“ („Können wir zusammen reinkommen?“) - „Yra užsienė mergaitė?“ („Das ausländische Mädchen?)
Ja, ich bin die aus Deutschland und nachdem ich durch ein freundliches „Bitteschön“ aufgefordert werde, ziehe ich mich aus und setze mich. „Oh!“, die Ärztin verzieht ihr Gesicht und sieht mich entsetzt und voll Mitgefühl an. „Taip, labai skauda man.“ („Ja, es tut mir sehr weh.“)
Schließlich verschreibt sie mir eine Creme, spricht noch ein bisschen mit Matas, macht sogar einen Witz, und beschließt am Ende sogar, dass ich nichts zahlen muss, da ich schon gestraft genug bin.
Wer möchte nun noch einmal sagen, dass Litauer unfreundlich sind?
Die nächste Woche – ich bin auf meinem MidTermSeminar – verbringe ich also damit, jeden Tag wieder ein paar Menschen zu erklären, warum ich wie ein Pinguin watschel, mich kaum bücken kann und überhaupt die meiste Zeit nur rumliege. Eine sehr interessante Erfahrung, doch trotzdem bin ich froh, als es nach 5 Tagen einigermaßen annehmbar wird.
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