Entspannung und Energie
Über das Leben, das Fahrt aufnimmt, trotz Corona
Ich hatte es von Anfang an befürchtet und jetzt kommt es wirklich so: es ist einfach zu viel los um regelmäßig zu bloggen. Ich schaffe es nicht mehr, mich einmal in der Woche hinzusetzen um zu schreiben, und dann, wenn ich Zeit habe, ist zu viel passiert um alles zu erzählen.
Als ich noch in der Isolation war kamen mir die Tage lang vor, es war hell und sonnig und ich hatte nichts zu tun. Ich habe endlos Musik gehört, lange geschlafen, Serien geguckt, selbst gekocht, regelmäßig gebloggt und bin spazieren gegangen, kurz: es war so entspannt, dass mir richtig langweilig geworden ist.
Dann war die Isolation endlich vorbei und ich habe die Arbeit in der Schule aufgenommen. Plötzlich hieß es jeden Tag früh aufstehen, so früh, dass es noch dunkel war; es war auf einmal immer was zu tun!! Und wir haben auch ein Sozialleben angefangen, das nach und nach die Wochenenden einnimmt... Eine anstrengende Zeit. Ich war so oft einfach total müde!
Wir sind noch mal umgezogen, haben unseren Rhythmus in den Tagesabläufen gefunden und mussten uns auch sonst überall einfinden. Die Schule hat sich mit ihren Abläufen und Regeln so langsam eingegroovt. Ich habe viele neue Sachen angefangen, nicht zuletzt Fußballtraining, und wir haben unsere ersten Kontakte geknüpft, auch da einfach vieles angefangen. Diese ersten Male, von denen ich geschrieben habe, das sind sie, und oft war ich auch unsicher.
Jetzt habe ich so langsam das Gefühl, mich hier zu finden. Zwar bin ich immer noch müde, wenn ich von der Arbeit komme, aber das liegt dann daran, dass ich die Nacht vorher nicht genug geschlafen habe, und nicht mehr daran, dass die Schule mich komplett geschafft hat. Es ist immer noch anstrengend, und jede neue Aufgabe, die dazukommt oder ganz an uns übertragen wird, ist eine neue Herausforderung, aber eben nicht mehr eine so große, weil die Basis inzwischen da ist. Zum Beispiel habe ich die Essenszeiten für Schule und Kindergarten im Kopf.
Und auch das mit der Sprache wird einfacher. Das hätte ich am Anfang nie gedacht, aber so langsam lichtet sich der Wald an unverständlichen Worten um mich herum etwas. Was nicht heißt, dass ich alles verstehe, geschweige denn spreche!! Aber ich habe eine ungefähre Ahnung, was gerade Sache ist und auf einfache Kinderfragen kann ich inzwischen halbwegs angemessen antworten.
Abgesehen von der Arbeit gibt es jetzt ein paar Freiwillige, mit denen wir uns schon öfter getroffen haben und so langsam kennt man sich. Auch beim Fußball werde ich inzwischen mit Namen angesprochen und gefragt, was los war, wenn ich zwei mal in Folge nicht beim Training war. Es ergibt sich also auch bei dem Leben außerhalb der Arbeit allmählich ein Rhythmus.
Am Wochenende war außerdem unser On-Arrival-Training, das Training selbst war online und nicht der Rede wert. Aber die vielen neuen Gesichter, die zumindest schon mal auf unserem Bildschirm zu sehen waren, nehmen ab jetzt vermutlich auch vermehrt die Wochenenden ein. Das Netz an Kontakten wird also immer größer!
Ich weiß gerade nicht, ob ich es vielleicht schon mal geschrieben habe, aber inzwischen meine ich, wenn ich davon rede, nach Hause zu kommen oder zu gehen, die Wohnung hier in Riga. Sie ist jetzt mein Lebensmittelpunkt an dem ich mich wohlfühle und das ist in meinen Augen eine wunderbare Voraussetzung für die noch kommenden 8,5 Monate.
Alles in allem kann man die Kurve also wie folgt beschreiben: erst super entspannt niedriges Energielevel. Dann Ende der Isolation, Start von allem, das Energielevel zieht an, aber nicht so schnell wie alles drumherum, was zu Müdigkeitserscheinungen geführt hat. Jetzt bin ich ungefähr an dem Punkt wo ich behaupten würde, das Energielevel ist oben, den Anforderungen entsprechend, jetzt ist die volle Kapazität da.
Corona hat hier eher einen gegenläufigen Verlauf genommen, was leider die Möglichkeiten, mit anderen Freiwilligen etwas zu unternehmen, sehr einschränkt. Unser Projekt, die Schule, wird zwar höchstwahrscheinlich nicht schließen, aber alles andere drumherum schon. Das ist schon etwas frustrierend, denn nun hat man hier neue Leute kennengelernt, kann die aber immer nur draußen (keine wirklich gute Idee mehr wettermäßig...) oder in kleinen Gruppen treffen. Andererseits finden wir alle unsere Wege und so gibt es hoffentlich mehr kleine Runden mit Kerzen und Kartenspielen in einer Wohnung als große Feiern. Es hat beides was für sich...
Lettland feiert in der letzten Woche und heute übrigens die eigene Gründung, deswegen habe ich überhaupt Zeit, heute zu schreiben. Letzten Mittwoch war Gedenktag für alle gefallenen Helden im Kampf um die lettische Unabhängigkeit 1919 (aber nicht frei) und heute wird der "Geburtstag" Lettlands gefeiert, der Gründungstag nach dem ersten Weltkrieg 1918 und alle haben frei. Vielleicht schaffe ich es ja, mal eine Reportage über diese beiden Tage zu schreiben, der Patriotismus, mit dem das Ganze hier begangen wird, ist für mich Deutsche, die unpatriotisch aufgewachsen ist, faszinierend und ungewohnt zugleicht.
Jetzt habe ich immer noch nicht über die Ereignisse geschrieben, die so los waren seit dem letzen Eintrag! Andererseits war as Training auch echt nicht spannend und ansonsten ist an dem Wochenende nicht viel passiert. Meine Mitfreiwillige und ich haben nur herausgefunden, dass wir uns auch gut zusammen langweilen können... Gestern Abend hatten wir Besuch und heute werden wir auch noch mal ein paar Leute treffen, am Wochenende sehen wir dann hoffentlich endlich ein paar Menschen aus dem Training im Real life. Dann werde ich mich noch mal darin versuchen, über konkrete Erlebnisse zu berichten...