Einmal Schwarzes Meer und zurück
„Rumänien? Was wollt ihr denn da?“ - Ein Bericht über unsere zehntägige Reise durch ein wahnsinnig spannendes Land, welches man nicht unterschätzen sollte.
Timișoara – Sibiu – Brașov – Constanța – Bukarest
„Rumänien? Was wollt ihr denn da?!“ So oder so ähnlich fielen viele der Reaktionen aus, die Theresa und ich bekamen, als wir uns Anfang August, für eine letzte Reise innerhalb unserer Freiwilligenzeit, in das für uns bis dahin so fremde Nachbarland Ungarns verabschiedeten. Nach der Besichtigung fünf verschiedener Städte, dem Erreichen der Küste des Schwarzen Meeres, dem Besuch der Heimat „Draculas“ und dem Erleben der rumänischen Hauptstadt, steht für uns fest: Rumänien wäre auch noch viele weitere Reisen wert. Über die Erkundung eines Landes, das so viel mehr zu bieten hat, als so manch einer vielleicht denken mag...
Nachdem ich mich am letzten Tag des Juli in Békásmegyer verabschiedet hatte, starteten wir am ersten August mit dem Zug in Richtung Osten. Ohne wirklich konkreten Plan über unsere spätere Route hieß das erste Ziel Timisoara (deutsch: Temeswar). Vom Budapester Keleti Bahnhof aus erreichten wir die Stadt, die sich nahe hinter der ungarischen Grenze befindet, nach etwa sieben Stunden. Die Hauptstadt des Banats zählt etwa 330 000 Einwohner und wird oft als „Wien des Balkans“ bezeichnet. Im 19. Jahrhundert besaß Timisoara die erste elektronische Straßenbahn Europas, eine Fortschrittlichkeit, der die Stadt heute nicht mehr ganz gerecht werden kann. Dennoch: auf unserem Streifzug durch die Innenstadt kommen wir an vielen interessanten Bauwerken vorbei, verweilen an der Flaniermeile „Lloyd-Zeile“ und lauschen der Live-Musik, die von einer Bühne her klingt, welche man vor der Oper der Stadt aufgebaut hat. Am Abend treffen wir in der Innenstadt zwei Einheimische, die anbieten, uns die Stadt ein bisschen zu zeigen. Beide sprechen ausgezeichnetes Englisch und sind neugierig was uns nach Timisoara treibt und warum wir „aus Budapest“ kommen. Der eine von beiden plant, so erzählt er es uns, für längere Zeit nach London zu gehen. Er sei fasziniert von der Stadt und dem Leben dort. Er als Rumäne habe es jedoch anfangs oft nicht leicht. Man werde mit vielen, teils erschreckenden, Vorurteilen konfrontiert. Unterhalte man sich jedoch mit den Engländern, merken sie, dass man nicht nur ihre Sprache beherrscht sondern ambitioniert und motiviert ist, so sagt er, spielen eben diese Vorurteile schnell keine Rolle mehr oder sie werden sogar abgelegt. Nach Einbruch der Dunkelheit schreiten wir fort zu einer lustigen Kuriosität, die derzeit in Timisoara zu bestaunen war: Eine Brücke einzig und allein aus Plastikflaschen und Drähten, die diese zusammenhalten. Sie verbindet die beiden Uferseiten des kleinen Flusses „Bega“, der durch die Stadt fließt, miteinander und ist der Versuch, im Guinessbuch der Weltrekorde zu landen. Rund 100 000 Plastikflaschen tragen uns, als wir das bizarre Bauwerk überqueren. Vor allem jetzt, bei Nacht, sieht es durch die blauen Lichterketten, die es erhellen, interessant aus. Wir setzen uns ans Ufer und lauschen Gitarrenmusik und spanischem Gesang. Als sich unsere rumänische Bekanntschaft mit einer anderen Gruppe von am Wasser Verweilender unterhält, macht er auf einmal eine Handbewegung in unsere Richtung und lächelt. Es handelt sich um eine Gruppe Deutscher. Die zwei Mädels und ein Kerl Anfang zwanzig sind ehemalige EFD-Freiwillige und haben ihren Dienst vor einem Jahr in Timisoara beendet. Es stellt sich heraus, dass sie den I.C.E. (Theresas Entsendeorganisation) sehr gut kennen und im selben Ort ihr Vorbereitungsseminar hatten. Jetzt, nach einem Jahr, zieht es sie für einen Urlaub zurück nach Rumänien. Es ist spannend, sich mit ehemaligen Freiwilligen zu unterhalten, die sich vor einem guten Jahr in derselben Situation befanden wie wir uns jetzt und es ist interessant zu hören, wie sie sich ein Jahr nach Ende ihrer Zeit dort fühlen. Irgendwann verabschieden wir uns, werden von den beiden Rumänen noch bis in die Innenstadt gebracht und kehren dann zurück in unsere Bleibe für eine Nacht: die Wohnung eines Cuchsurfer-Hosts, der zwar selber nicht zuhause ist, uns aber über einen Kumpel den Schlüssel zur Wohnung hat zukommen lassen. Begeistert und erstaunt vom ersten Tag in Rumänien und über die Gastfreundlichkeit der Rumänen, geht Tag eins der Reise zu Ende.
Nachdem wir uns mit Milkapralinés und einer netten Nachricht aus der Wohnung begeben und den Schlüssel wieder abgegeben haben, nehmen wir gegen Mittag den nächsten Zug. Ziel: Sibiu (deutsch: Hermannstadt). Auf unserer Fahrt müssen wir in Arad umsteigen. Im Zug von Arad nach Sibiu hören wir, derweil wir unsere Plätze suchen, ungewohnt viel Deutsch. Direkt neben uns hat sich eine Pfadfinder Gruppe aus Bonn breit gemacht, die es, natürlich hauptsächlich zum Wandern, in die rumänischen Karpaten zieht. Ihr erstes Ziel heißt ebenso Sibiu. Die Gruppe im Alter zwischen 16 und 21 scheint alles in allem mit mehr Planung unterwegs zu sein. Beim Betrachten ihrer Ausrüstung müssen Theresa und ich, amüsiert über unser Anfgängertum was solche Reisen angeht, selbstironisch grinsen. Die Pfandfinder zeigen viel Interesse an unseren Geschichtchen aus Ungarn, unseren Erfahrungen und Erlebnissen während des Jahres. Zwei von ihnen sind frisch gebackene Abiturienten. Die eine steht vor einer mehrmonatigen Reise durch Neuseeland, der andere wird Freiwilliger in Ecuador, so erzählt er uns stolz. Irgendwie erfüllt es mich mit äußerster Genugtuung, nun, kurz vor Ende des EFDs, auf solche Pläne und Vorhaben aus einer komplett anderen Perspektive als noch vor einem Jahr blicken zu können. Dadurch, so viele Erfahrungen, die sie sehr wahrscheinlich noch machen werden, nun selbst schon hinter sich zu haben und zu so vielen Themen nicht mehr nur wage Vorstellungen, sondern Kenntnisse zu haben, blickt man nun anders auf solche Erzählungen. Einmal mehr wird uns beiden bewusst, wie sehr wir uns in den letzten elf Monaten weiterentwickelt haben. Angekommen in Sibiu holt uns Couchsurfing-Host Nummer zwei vom Bahnhof ab. Der 21-jährige, aus Bukarest stammende Drama-Student, bringt uns zu seiner Wohnung, die für eine Studentenbleibe mehr als beeindruckend ist: Erdgeschoss, Garten, äußerst zentral. Mittlerweile ist es schon nach neun und um diesen Tag noch mit etwas anderem als lediglich einer Zugfahrt mit netten Pfadfindern (die uns sogar noch sechs Bananen geschenkt haben!) zu füllen, machen wir uns auf in die Innenstadt Sibius. Die siebenbürgische Stadt war 2007 Kulturhauptstadt Europas. Noch heute ist der sowohl ungarische als auch deutsch-historische Einfluss, wie in ganz Siebenbürgen, allgegenwärtig. Bis zum Jahr 1918 gehörte „Transilvanien“, dessen Herz Sibiu sein soll, zu Ungarn. Die Nachfahren der Einwanderer, rund 700 000 Siebenbürger Sachsen, lebten hier bis zu Machtübernahme der Kommunisten 1947, bevor die meisten nach Deutschland auswanderten. Somit war Siebenbürgen jahrhundertelang eine multinationaler Flickenteppich. Von den Pfadfindern erfuhren wir, dass die Stadt noch heute einen seit 2000 amtierenden deutschen Bürgermeister hat. Kurios. Bei unserem nächtlichen Ausflug in die Stadt überzeugt uns diese von der ersten Sekunde an. Sibiu kommt mit unglaublich viel Charme daher und begeistert mit seinen romantischen Gassen, seiner barocken Architektur und einer Vielzahl von einladenden Cafés.
Am Folgetag zieht es uns in das „Brukenthal-Museum“ und am „Piata Mare“ kaufe ich mir in einer deutschen Buchhandlung einen Rumänien-Reiseführer. Kann ja vielleicht doch nicht schaden, mit etwas mehr Plan und Orientierung fortzuschreiten. Sebastian, unser Host, gibt uns noch eine kleine Stadtführung, die alle touristischen Highlights beinhaltet und führt uns danach in ein Geheimtipp-Café, welches frei von Touristenscharen und angenehm ruhig ist. Er erzählt von seinen Schauspielkarriereplänen und dass Rumänien, mit seiner unterentwickelten Filmindustrie, nicht all zu große Chancen für ihn bereithalte. Die Stadt wolle er, aufgrund laufender Projekte, vorerst nicht verlassen. Doch später, so sagt er, werde er vielleicht nach Amerika gehen, auch wenn ihm das nicht leicht fallen werde. Wir bekommen ein Werbeplakat für eines seiner nächsten Stücke geschenkt und die Einladung, es uns anzusehen. All das erzählt er uns in einwandfreiem Englisch. Als wir uns gegen Nachmittag Richtung Innenstadtpark begeben, laufen uns tatsächlich die Bonner Pfadfinder wieder über den Weg, die gerade aus dieser Richtung kommen. Am Abend genießen wir cocktailsschlürfend nochmal die abendliche Atmosphäre Sibius, bevor wir uns, für unsere zweite und letzte Nacht in der Stadt, zurück zur Wohnung begeben.
Am nächsten Vormittag geht es mit dem Bus weiter nach Brasov (deutsch: Kronstadt), welches im südöstlichen Karpatenknie liegt und etwa 300 000 Einwohner zählt. Unser Busfahrer ist Freund der schnellen uns waghalsigen Fahrweise..aber was wundert mich das? Wir befinden uns schließlich auf dem Balkan. Dennoch sind wir froh, als wir unversehrt in Brasov ankommen. Am Bahnhof treffen wir ein deutsches Paar wieder, dem wir auch schon im Zug nach Sibiu begegnet sind. Die beiden sind bereits seit drei Wochen unterwegs und haben ihre Reise und Venedig begonnen. Nachdem unsere Sachen bei Couchsurfer-Host Nummer drei untergebracht sind, laufen wir in die Stadt. Brasov, das an der östlichen Grenze Siebenbürgens liegt, ist Sibiu architektonisch ähnlich. Es liegt in einem Talkessel, wodurch man, erklimmt man die umliegenden Berge, eine wunderbare Aussicht auf die historische Altstadt hat. Kurz bevor wir uns zur Bergerklimmung aufmachen, läuft uns eine Gruppe deutschsprachiger Jugendlicher über den Weg: wir drehen uns um und da sind sie wieder, unsere Pfadinder, die wir mittlerweile liebevoll „Pfadis“ nennen. Ebenso sichtlich amüsiert über das zweite zufällige Wiedersehen erzählen sie uns, sie seien nun auf dem Weg in die Berge, wo sie an einer internationalen Jugendbegegnung teilnehmen wollen. Ihre Kiste Bananen haben sie immer noch nicht leer bekommen. Wir verabschieden wir uns, diesmal zum tatsächlich letzten mal. Unsere Tour durch die Stadt zieht uns noch am Alten Rathaus, der berühmten Schwarzen Kirche und einer Ausgehmeile vorbei. Am Abend fallen wir geschafft ins Bett.
Am drauf folgenden Dienstag gehen wir bereits in aller Frühe auf Entdeckungstour: Wir begeben uns auf die Spuren Draculas und fahren mit dem Bus weiter nach Bran (deutsch: Törzburg), wo sich das sagenumwobene „Dracula-Schloss“ befindet. In den alten Gemäuern soll Fürst Vlad Tepes, auf den die Legende um Dracula zurückgeht, häufiger genächtigt haben. Das Schloss selbst ist leider voll mit Touristen und kann von außen mehr beeindrucken als von innen. Jedoch hat man aus den höheren Ebenen eine wunderschöne Aussicht auf das umliegende bewaldete Tal und die Berge. Zurück in Brasov machen wir uns auf zur nächsten Bergerklimmung. Naja, um ehrlich zu sein nicht ganz: Wir nehmen die Kabinenseilbahn herauf auf die „Zinne“. Der Gipfel des Hausbergs von Kronstadt befindet sich in 955 m Höhe und ist ein dementsprechend genialer Aussichtspunkt über Stadt und Umgebung. Seit ein paar Jahren befindet sich ein, aus der Stadt nahezu überall ersichtlicher Schriftzug „Brasov“ in großen Lettern an dieser Stelle, der sehr an „Hollywood“ erinnert. Nachdem wir immerhin wieder runter gewandert sind, verlegen wir unser alltägliches Picknick in einen Stadtpark und setzen uns danach in eines der netten Cafés der Ausgeh-/Flaniermeile. Gegen neun treffen wir uns mit unserem Host und ein paar seiner Freunde in einer unterirdischen Bar. Jeden Dienstag, so erzählen sie uns, treffen sie sich hier, um mit ihrer Gruppe an einem Quiz teilzunehmen. Am heutigen Dienstag werden wir teil der Gruppe und sind froh, dass die ganze Veranstaltung auf Englisch stattfindet. Die Aufgaben sind beispielsweise Lieder nach den ersten paar Sekunden erkennen oder Fragen zu rumänischen Künstlern beantworten. Mit unserem Allgemeinwissen können wir der Gruppe, deren Mitglieder echt smart scheinen und mal wieder super Englisch sprechen, nicht all zu viel weiterhelfen. Doch es interessiert sie, wie uns ihr Land bisher gefällt, wo wir schon waren und was wir noch vorhaben. Nachdem wir ein paar gut gemeinte Ratschläge, was unsere Weiterreise jenseits von Siebenbürgen, wo es schmutziger und gefährlicher sein soll und wo die Menschen anders ticken würden (alles Aussagen von Rumänen!) bekommen, verabschieden wir uns mit einem Dankeschön für den netten Abend und begeben uns zum Bahnhof. Um 01.11 Uhr nehmen wir den Nachtzug nach Constanta (deutsch: Konstanza). Schwarzes Meer, wir kommen!
Angekommen in Constanta bewahrheiten sich die Warnungen der Siebenbürgischer Rumänen zunächst tatsächlich. Als wir gegen halb neun Uhr morgens unser Schlafabteil verlassen, ist das erste, was wir zu Gesicht bekommen, ein mit Plastikflaschen und anderem Verpackungsmüll verdrecktes Zuggleis. Der bereits anfängliche negative erste Eindruck der Stadt, kann sich jedoch auch im weiteren Verlauf des Tages nicht wirklich zum Positiven wenden. Nachdem wir bei einer alten Dame im zehnten Stock eines kommunistischen Plattenbaus unterkommen und damit eher unverhofft bezahltes Couchsurfing machen, wollen wir zum Strand. Der Weg dorthin erweist sich als schwieriger als erwartet. Entlang an gefühlt tausenden, gleich aussehenden tristen Mietskasernen, die wohl aus den 1960er/70er Jahren stammen, versuchen wir mal wieder leicht orientierungslos, das Meer zu finden. Was wir auf unserem Weg jedoch zunächst zu Gesicht bekommen, ist ein industrieller Großhafen, voll mit Riesencontainern, die ihren Lack verlieren, grauen Lagerhallen und unzählbar vielen Baukränen. Dahinter das sich in die Weite erstreckende Meer, dass nicht wirklich in die Szene passt, den Anblick jedoch um einiges erträglicher macht. Nachdem wir, da wir im Hafengebiet als Fußgänger nicht weiterkommen, nochmal einen Umweg machen müssen, schaffen wir es dann tatsächlich irgendwann an den Strand. Immerhin scheint dieser kein typischer Touristenstrand zu sein, denn er ist unerwartet leer und wir hören viel Rumänisch. Nah am Meer, in das man gefühlt ewig weiter hineinlaufen konnte und immer noch nur bis zu den Knien im Wasser war, halten wir es nahezu den ganzen übrigen Tag aus. Zum ersten Mal in unserem Leben legen wir beide uns in das stille Gewässer des Schwarzen Meeres und genießen den Tag am Strand, den vermutlich letzten für dieses Jahr. Als uns graue Wolken dazu zwingen, unsere Sachen zu packen und zurück zur Wohnung zu laufen, ziehen wir dann doch noch einmal in die Stadt, auf der Suche nach etwas Schönem, Sehenswerten oder zumindest irgendwie Interessanten. Was wir finden sind ein viel zu lauter Jahrmarkt, ein klotzartiges Einkaufzentrum und eine Art See, der jedoch nicht wirklich zum Verweilen einlädt. Am nächsten Tag besichtigen wir, bevor um 13.15 Uhr unser Zug nach Bukarest geht, die historische Altstadt, der wahrscheinlich schönste Teil ganz Constantas. Erfüllt lediglich durch den Tag am Meer und das Erreichen meines bisher definitiv östlichsten Standorts, bin ich nicht traurig, als wir schließlich im Zug nach Bukarest sitzen und dieser pünktlich den Bahnhof verlässt.
Unweit der „Gara Nord“, an welcher wir in der rumänischen Hauptstadt nach zwei Stunden Fahrt ankommen, befindet sich unser Hostel. Auf unserem ersten Weg in die Innenstadt durchqueren wir einen großen Park mit See, ein idyllisches Fleckchen mitten in einer Großstadt von 2,2 Millionen Einwohnern. Dann laufen wir an der Altstadt zunächst vorbei und stehen plötzlich vorm zweitgrößten, aber schwersten Gebäude der Welt: dem rumänischen Parlamentspalast. Das Riesenbauwerk, welches als sozialistisches Monument Erbe der Diktatur Ceaușescus ist, beeindruckt: durch seine Größe und seine Hässlichkeit. Allein die Umrundung dieses Monsterbaus soll zu Fuß eine Stunde in Anspruch nehmen. Wir unterlassen den Versuch. Das rund 3000 Zimmer zählende Gebäude kostete den rumänischen Staat ca. 3,5 Milliarden US-Dollar und wird noch heute von vielen Rumänen für die Opfer, die für diesen absurden Bau gebracht werden mussten, verhasst. Zurück im Hostel hören wir in der Gemeinschaftsküche deutsche Stimmen. Wir setzen uns zu dem jungen deutschen Paar und erfahren, dass sie die letzten Wochen wandern waren in den Bergen um Brasov. Es stellt sich heraus, dass sie in Münster studiert hat und er aus Münster kommt. Und nicht nur das: er ist ehemaliger Pauliner, Abijahrgang 2006. Mal wieder habe ich den besten Beweis: Europa scheint ein winziges Dorf zu sein. Oder wie ist es sonst zu erklären, dass ich irgendwo inmitten der rumänischen Hauptstadt jemanden treffe, der nicht nur aus derselben Stadt kommt, sondern auch noch auf derselben Schule war? Lustiger Zufall. Bald darauf verabschieden wir uns und ziehen mit unseren italienischen Zimmergenossen auf ein Bier mit in die Altstadt.
In der prallen Mittagssonne geht es am nächsten Tag wieder in die Innenstadt. Zuerst streifen wir durch die charmante Bukarester Altstadt, die neben vielen Cafés und Bars einige alternative, ausgefallene Läden beherbergt. So flanieren wir eine ganze Weile durch den kleinen historischen Teil der Stadt und machen irgendwann Halt in einem Café, die Sonne macht uns zu schaffen. Wir verlassen die Altstadt und begeben uns weiter Richtung Zentrum. An den Hauptverkehrsstraßen der Stadt findet ein lautes, aggressives Treiben statt. Die mehrspurigen Straßen zu überqueren ist ein teils abenteuerliches Unterfangen. Andauernd hört man, aus nicht ersichtlichen Gründen, Fahrer hupen und die ganze innerstädtische Szenerie wirkt wie ein Kampf. Ein Kampf des Lauteren, Stärkeren oder Schnelleren. Stressig. Langsam werde ich wackelig in meiner bisher so tiefen Überzeugung, ein Mensch zu sein, der sich in urbaner Kulisse wohler fühlt als in ruraler. Ein wirklicher „Großstadtmensch“ bin ich jedenfalls irgendwie doch nicht. Vor einem guten Monat hatten wir in Montenegro zwei Bukarester kennengelernt, die daraufhin angeboten hatten, uns „ihre“ Stadt zu zeigen, wenn wir sie besuchen. Die beiden halten ihr Versprechen und so treffen wir einen von beiden schon bei der um 18 Uhr stattfindenden Free-Walking Tour wieder. Er nimmt sich die Zeit und macht die knapp zweistündige Tour durch seine Heimatstadt mit. Er ist 1989 und somit kurz vor der Rumänischen Revolution geboren. Zum Zeitpunkt der blutigen Ausschreitungen befand er sich gerade bei seinen Großeltern auf dem Land, erzählt er. Vorbei an den wichtigsten Gebäuden und Plätze Bukarests erhalten wir die ein oder andere informative Erzählung von unserer jungen Reiseführerin. Unter anderem folgende lustige Geschichte: Wer schon mal rumänisches Geld in der Hand hatte, dem ist aufgefallen, dass es sich bei den Scheinen um Plastik handelt, was stark an Spielgeld erinnert. Es ist somit weniger dramatisch, vergisst man mal ein Scheinchen in der Wäsche. Das Material der Scheine soll, so wurde uns berichtet, auf folgende Begebenheit zurückzuführen sein: In den 1980er Jahren bekamen Abgeordnete der rumänischen Regierung Besuch von Vertretern des Internationalen Währungsfonds. Diese rieten ihnen, in der Zukunft mehr auf „Plastikgeld“ zu setzen. Damit meinten die Berater des IWFs Kreditkarten. Die rumänischen Politiker verstanden diesen Ratschlag jedoch etwas fehl und ließen daraufhin Geld AUS Plastik herstellen... Als auch der der zweite Bukarester, den wir in Montenegro kennengelernt haben, dazustößt, gehen wir mit den beiden zuerst in einem Biergarten, der an die Budapester dieser Art erinnert, noch was trinken und bekommen im Anschluss eine weitere, nächtliche Free-Walking Tour.
Samstagmorgen müssen wir unser Hostelzimmer bereits um elf Uhr verlassen. Da unser Zug jedoch erst am Sonntagmorgen um viertel vor sechs geht, stellen wir uns auf einen langen letzten Tag in Bukarest ein. Wir streifen noch einmal in die Altstadt, hinein in die vielen bunten Läden, die uns so gefallen haben, zurück über den „Boulevard I. C. Bratianu“ Richtung Norden. Dort soll sich der größte Park der Stadt befinden, der mit einem See und weiträumigen Grünanlagen sehr sehenswert sei, so empfahl es uns unser Hostel-Rezeptionist. Etwa eine halbe Stunde bräuchte man zu Fuß dorthin. Am Ende sind es gute anderthalb Stunden, die wir auf uns nehmen, um die riesige Grünfläche zu erreichen. Doch was die Idylle dieses Ortes angeht, hat unser Rezeptionist nicht übertrieben: eine weitere, einladende und nochmal um einiges größere Parkanlage inmitten dieser Riesengroßstadt, nach dessen Erleben ich nur allzu gut verstehen kann, dass sich ihre Einwohner hin und wieder nach Orten wie diesem sehnen. Ein paar Stunden bleiben wir nah am Ufer des Sees, bis wir, diesmal mit Metro, zurück zum Hostel fahren und von dort aus unser Gepäck schon mal zum Bahnhof bringen. Abends treffen wir uns nochmal mit einem der beiden Rumänen, der uns nun ein bisschen Bukarester Nachtleben präsentieren kann. Zuerst landen wir in einem Indie-Schuppen mit Musik, die nicht ganz unseren Geschmack trifft. Dann, in der Altstadt, in einer Kellerbar, in der sie Klassiker spielen, auf die die ganze Menge anspringt. So tanzen wir uns bis in die frühen Morgenstunden und können nochmal das nächtliche Bukarest, was im Sommer so viel spannender sein soll als das tägliche, erkunden. Mit Taxi am Bahnhof angekommen versuchen wir leicht verschwenderisch unsere letzten Lei auf den Kopf zu hauen, bevor wir am Abend schon wieder in Forint umdenken müssen. Nach der durchfeierten Nacht sind wir froh, als wir endlich unsere Plätze im Zug einnehmen können. Dieser scheint voll mit jungen Menschen. Nach und nach wird uns bewusst, warum: Es handelt sich um in Massen zum Sziget nach Budapest pilgernde Grüppchen. Nach knappen 15 Stunden Zugfahrt mit mehr oder weniger erholsamen Schlafphasen, fahren wir gegen acht Uhr abends wieder in den Budapester Keleti Bahnhof, wo unsere Reise vor zehn Tagen ihren Anfang nahm, ein.
Neben der Erinnerung an wunderschöne Städte und Landschaften, die wir zu sehen bekamen, das erstmalige Erreichen des Schwarzen Meeres und der Dynamik der so pulsierenden Hauptstadt Bukarest, wird es wohl vor allem die (Gast-) Freundlichkeit der Menschen und ihr Interesse gegenüber Fremden sein, welches uns in diesen zehn Tagen so häufig entgegen gebracht wurde, was uns im Bezug auf das Land Rumänien im Gedächtnis bleiben wird. Ein wahrliches Abenteuer, das erst durch Neugierde und Offenheit für das Fremde und Unvertraute möglich wurde.