Eine Portion Geschichte bitte!
Die Wichtigkeit Nikola Teslas, Gavrilo Princips und des Theaters.
Mir war schon klar, dass ich in Geschichte erhebliche Lerndefizite aufwies. Das galt natürlich auch für die Geschichte Serbiens, von der ich erst recht nichts wusste. In meiner ersten Woche bekam ich schon die volle Breitseite an Unwissenheit zu spüren, als man mich nach dem Wissenschaftler Nikola Tesla fragte, der übrigens und nur so nebenbei auch namensgebend für viele Einrichtungen in Belgrad war und der vom Centar E8 zum Man of 2013 gekürt wurde. Als ich mit fragenden Blicken antwortete, war mir bewusst, dass das ein Armutszeugnis war. Aber dass ich und sicher auch viele meiner Landsgenossen noch nie von diesem stillen Volkshelden hörten, hatte einen Grund! Der gebürtige Kroate stand lebenslang im Schatten des Vorzeigewissenschaftlers Thomas Edison, der rund 20 Patente von Tesla benutzte, nachdem dieser 1884 in die USA ausgewandert war um unter anderem in Edisons Firma zu arbeiten. Also eigentlich - so erzählen es einem jedenfalls die Serben - hat Tesla die ganze Drecksarbeit für Edison gemacht, viele wichtige Sachen erfunden und deswegen auch keine Zeit gehabt, sich mit Frauen zu treffen. Stattdessen richtete er seine Liebe auf Tauben, die ihm zumindest keinen Ärger machen konnten, wenn er mal wieder länger im Labor war. So einer war das also. Ein stiller Held. Das gefällt. Gestorben ist er natürlich arm, unbekannt und unter traurigen Umständen. Wer noch eine kleine Geschichtsstunde nötig hat, sollte sich das hier nicht entgehen lassen:
https://www.youtube.com/watch?v=E5KDTw_OQ1Y
Letzte Woche war ich zum zweiten Mal in Belgrad. Diesmal dienstlich. Ich habe die Schauspielgruppe vom Theaterstück „Nemačka“ begleitet, die ihr Stück diesmal in einer Belgrader Schule aufführen sollte. „Nemačka“, das heißt Deutschland. Die Thematik ist dabei spannend. Es geht um Romafamilien, die um jeden Preis nach Deutschland wollen, um dort Asyl zu beantragen, sei es „Scheinasyl“, um Geld für diese Zeit einzustreichen, oder um ein völlig neues Leben in diesem „wirtschaftlich so vielversprechenden Land“ zu beginnen. Wie die Geschichten enden, ist meistens schon klar. Abschiebung, Einreiseverbot, unabgeschlossene Ausbildung oder abgebrochener Schulabschluss. Für die Kinder der Familien ist es dabei sicher am schlimmsten. So müssen sie ihre Freundschaften, die sie vielleicht gerade erst gemacht haben in einem so fremden Land, wieder aufgeben. Oder können ihre Ausbildung bis dato nicht beenden. So erging es auch einigen der Schauspieler, mit denen ich mich übrigens auf Deutsch unterhalte, weshalb jetzt auch Prolldeutsch zu meinen Fremdsprache gehört. Trotz ihrer wechselhaften Vergangenheit habe ich sie alle als unglaublich positive Persönlichkeiten erlebt, die mit viel Spaß an das Theaterstück herangehen, welches teilweise autobiographisch erzählt wird. Die Erfahrungen in Deutschland oder Luxemburg haben sie dabei nur selbstbewusster und reflektierter gemacht. Die Botschaft dieses Theaters, dass deshalb auch in Schulen aufgeführt wird, ist die Frage, ob es wirklich Sinn macht, Serbien zu verlassen und wie Serbien sein muss, damit es wie Deutschland aussieht. Man kann nur hoffen, dass dieses Theaterstück nicht nur Interessierte erreicht, sondern auch Betroffene. Ob die ins Theater gehen, ist eine andere Frage. Da „Nemačka“ im Rahmen des Bitef 2014, einem Theaterfestival aufgeführt wurde, ergab sich für uns die Möglichkeit, zwei weiteren Aufführungen beizuwohnen. Das Amateurtheater „Gilgameš“ hat mich besonders berührt und war meine nächste Lektion in Geschichte. Hauptdarsteller war ein junger Mann mit Down-Syndrom, der Gilgameš verkörperte, einer mythischen Figur, die zu zwei Dritteln Gott und zu einem Drittel Mensch ist. Ich muss wohl zur Ausdrucksstärke des Schauspielers nicht mehr viel sagen. Es war toll.
Die harte Axt serbischer Geschichte sollte mich an diesem Abend allerdings noch mit voller Wucht treffen. Dabei klang der Titel „Dragonslayers“ so harmlos und unterhaltsam. Stattdessen: Zwei Stunden Geschichtslektion mit englischen Untertiteln, denen zu folgen fast unmöglich war. Ich musste mich entscheiden, ob ich dem bunten Treiben auf der Bühne folgen will, oder mich völlig den Untertiteln hingeben sollte. Also zumindest gegen Ende erschloss sich mir in gewisser Weise der Hintergrund des Stückes. Es geht im Groben um die Sozialisierung des Gavrilo Princip, ein bosnisch-serbischer Freiheitskämpfer, der am 28. Juni 1914 Franz Ferdinand in Sarajevo ermordete und damit – hups, ganz aus Versehen – mitverantwortlich wurde für den Ausbruch des 1. Weltkrieges. Natürlich geht’s in dem Stück um so vieles mehr. Das hier bringt es auf den Punkt: „The piece is written as a “heroic cabaret”, in a form of an ironic history lesson, and tells the known story of the assassination using bustling poetic language to express the key demand – the demand for freedom. It is not a historical play, but a contemporary piece which examines the position of today’s young man and his need to express the demand – to be free.“
Diese Feinheiten blieben mir zwar leider verschlossen und für diese kleine Glühbirne, die mir am Ende aufleuchtete, haben sich zwei Stunden harte Arbeit zwar nicht gelohnt, aber immerhin kann ich jetzt endlich mal von einem meiner liebsten Orte in Vranje erzählen, den ich bisher bei meinen Erzählungen immer ausgelassen habe, weil ich nicht dachte, dass man über ein Stück Natur etwas Interessantes erzählen kann. Es stellte sich nun heraus, dass der Held-Nichtheld-Halbheld-wer weiß das-schon-so-genau-die Serben-sind-sich-nicht-einig-Freiheitskämpfer Gavrilo Princip mit 15 anderen Mitgliedern der Bewegung „Mlada Bosna“ ein Schießtraining in Kazanđol absovlierte. Kazanđol, dabei handelt es sich um eine Kaskade von Wasserfällen im Tal, welches nach Vranje führt und an der Beli Most endet, wo sich dazumal türkischer Geliebter und serbisches Mädchen trafen und dann vom missgünstigen Vater des Mädchens getötet worden. So unschuldig, wie hier das Wasser doch von hoch oben nach unten ins Tal plätschert, so historisch bedeutsam sind diese beiden Orte zugleich. Ein touristisches Potential, was die Stadt Vranje bisher leider nicht zu nutzen wusste. Mir soll es recht sein. Ich habe gern meine Ruhe, wenn ich zu den Wasserfällen wandere.Denn es ist am Ende eben doch nur ein stinknormales Stück Natur.
Am Sonntag auf unserem Weg zur Busstation in Belgrad sollte mich noch etwas ziemlich fassungslos werden lassen. Halb durch die EU gezwungen, wurde dieses Jahr endlich die Durchführung der Prajd erlaubt, einer Parade für LGBT-Rechte. Dass diese Parade, die aus wenigen hundert Teilnehmern bestand, gleichzeitig von 6.000 schwerstbewaffneten Polizisten beschützt werden musste, ist dabei nur ein heikles Detail. Eine andere unschöne Seite sind die Gruppen von Männern, die durch die Straßen laufen und brüllen „Tötet alle Schwulen!“ oder die Kirchengemeinde, die den Weg der Parade verfolgt, um ihn „zu reinigen“. Da ist in Serbien noch viel zu tun, um LGBT-Rechte zu stärken. Da Serbien aber den Eintritt in die EU erstrebt, wird hier sicherlich auch Druck zur Verbesserung der Situation ausgeübt. Man kann nur hoffen, dass Serbien den Weg Kroatiens verfolgt, die mittlerweile gleichgeschlechtliche Ehen erlauben.
Die 10-Jahresfeier des Centar E8, für die ich wieder eine lebensgefährliche Reise mit dem Bus antrat, war ein voller Erfolg und die schwer zu findende Location war eine alte Fabrik mit schönsten Industrial-Style. Leider erst nach dem Konsum von einigen Mengen Alkohol kam ich mit ein paar Leuten ins Gespräch, um auch zum ersten Mal über die Schönheit Ostdeutschlands zu diskutieren. Dabei durfte ich in Volunteeruniform auftreten. Gelb. Eigentlich nicht so meine Farbe.
Jetzt kehrt erstmal wieder Ruhe ein und der Oktober wird hoffentlich mein Sparmonat. Es ist auch schon fix Herbst geworden. Aus den Schornsteinen steigen Rauchwolken auf, deren Geruch mich dunkel an die Zeit erinnert, als man zum Heizgut auch immer ein paar alte Strümpfe zugefügt hat. Die Kafanas machen Folien um ihre Terrassen und schalten die Heizstrahler an. Und ich bin träge und das Wochenendprogramm erscheint mir viel zu uninteressant, als dass es wert wäre, die Wohnung dafür zu verlassen.
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