Eine Pilgerfahrt zum Crough Patrick
Crough Patrick ist der heilige Berg Irlands. Vermutlich besteigt jeder Gläubige diesen faszinierenden Berg mindestens einmal im Leben - teils sogar barfuß.
Jeder gläubige Ire sollte den Berg des St. Patrick wohl wenigstens einmal im Leben bestiegen haben und als wissbegierige Irlandtouristin wollte ich dieses Abenteuer natürlich auch wagen. Und so reiste ich mit ein paar befreundeten Iren in das County Mayo, zum Crough Patrick, wie der Berg heißt. Was für ein Anblick! Majestätisch grüßt der Gipfel uns würdevoll mit seiner weißen Kappe, erstaunlich steil und erhaben ragt die Herausforderung vor uns auf. Wir hatte uns im Vorfeld dafür entschieden, nicht die vollständige 55 km lange Pilgerfahrt zu unternehmen, sondern aus Zeitgründen etwas abzukürzen und quer einzusteigen. Ich glaube, es war die richtige Entscheidung, denn los ging es – bei Regen und Sturm.
Mein Reiseführer schreibt, man braucht eine gehörige Portion Entschlossenheit um den Gipfel zu erklimmen – und da gebe ich ihm sofort Recht. Bei dem Wetter geht man normalerweise nicht wandern, geschweige denn überhaupt aus dem Haus. Der Gipfel hat sich schließlich auch schon längst wieder in seinem Wolkenkissen gemütlich pfeifend schlafen gelegt und vor uns liegen 2 bis 3 Stunden harter Aufstieg. Als erstes erreicht jeder Wanderer und so auch wir eine Statue des Heiligen St. Patrick, die mit einer segnenden Geste Kraft für den Weg spendet und zu einem fabelhaften Ausblick über die malerische inselreiche Küstenlandschaft einlädt. Selbst bei diesem Wetter ist es ein atemberaubend schöner Anblick und das Gefühl, den Elementen ausgesetzt zu sein, unterstreicht nur noch den wilden Charakter der Landschaft. Doch wir waren ja nicht zum Verweilen hier. In mich gekehrt und in vollstem Respekt gegenüber dem Pilgerweg und dessen Bedeutung für tausende von Menschen setze ich langsam meinen Weg fort. Warum man diesen Weg nicht bei Starkregen betreten sollte, wird mir augenblicklich klar: Der Wanderpfad drückt seine besondere Zuneigung zum Bach bevorzugt darin aus, mit diesem ab und zu sehr enge Bindungen einzugehen. Wenn es wirklich irisches Regenwetter geben würde, würde man unweigerlich statt auf einem Weg durch einen Fluss waten.
Der Aufstieg gestaltet sich steiler als gedacht. Ich gehe stetig vorwärts und genieße immer mal wieder einen kleinen lockenden Blick zum Gipfel, der nun wohl doch neugierig zu sein scheint. Ab und zu lugt er aus seinem Wolkenbett hervor, um zu sehen, wer ihn denn da gerade stören möchte. Vor mir also der Gipfel und hinter mir das Meer, obwohl es mehr wie ein See aussieht. Der Regen ist wohl auch erschöpft und muss auch immer mal wieder eine Verschnaufpause einlegen, um vom frischen Wind eine gehörige Portion kühlende Atemluft zugefächelt zu bekommen. Endlich erreichen wir den Bergsattel. Hier treffen wir auf den eigentlichen Pilgerweg. Laut meiner Beschreibung im Reiseführer gehen manche diesen Weg auch barfuß. Ursprünglich fand die eigentliche Pilgerfahrt Nachts mit Fackeln statt, bis man dieses Ereignis dann aufgrund der hohen Unfallrate lieber ins Tageslicht verlegte.
Nun beginnt der eigentliche Aufstieg. Schon nach wenigen Metern merk ich: Wenn mir mein Reiseführer noch einmal weismachen will, dass die Menschen hier barfuß hoch gehen, dann entlasse ich ihn aus meinen Diensten! Ohne Schuhe ist der Aufstieg so gut wie unmöglich. Der versprochene Pilgerpfad hat sich nämlich vor lauter Verlegenheit in einem Schuttfeld weggeduckt. Wahrscheinlich wollte er dem Pilgertrubel aus dem Weg gehen. Der Aufstieg gestaltet sich mühsam: Jeder Schritt muss überprüft werden, um ein Zurückrutschen zu vermeiden, Der Wind ist schneidend, der Regen setzt wieder ein. Ich konzentriere mich nur auf meine Schritte. Ja, nur mit Entschlossenheit kann dieser Gipfel erklommen werden. Schritt für Schritt schleppe ich mich vorwärts. Ich habe mir vorgenommen, diesen Weg zu gehen, also bringe ich das auch zu Ende. Was muss St. Patrick für die Menschen bedeuten, dass sie diese Strapazen auf sich nehmen? Mein Respekt für alle Pilger auf der ganzen Welt wächst. Doch ich verstehe den Reiz dieser Erfahrung. Alle Gedanken werden aus dem Kopf verdrängt, nur noch der Weg zählt – der oh Wunder – sich doch noch erbarmt und schüchtern am Schuttfeldrand wieder auftaucht. Und er hält eine besondere Überraschung bereit: Schnee! Ich fasse es nicht! Schnee! In Irland, der Grünen Insel, die Schnee meist nur von Geschichten kennt! Ich bin überglücklich. Das Gefühl, das Knirschen der weißen Decke unter den Schuhen zu hören, das kühle Nass auf der erhitzten Haut zu spüren, die Augen von der Reinheit des Weiß geblendet zu haben - unbeschreiblich. Schnee! Weiter geht die Wanderung. Die letzten Meter. Dann endlich – der Gipfel. Wir werden schon erwartet und erst einmal von allen störenden Gedanken reingepustet. Das ist der mysteriöse Berg. Hier war es.
Hier saß St. Patrick 40 Tage lang fastend da. Dämonen in düsteren Vogelgestalten umschwirrten ihn. Es waren so viele, dass der ganze Himmel in ein schwarzes, furchteinflößendes Farbenmeer getaucht war. Doch der Heilige ließ sich nicht beirren, betet weiter und läutete eine Glocke, um seinen Glauben zu bezeugen. So ging es eine ganze Weile bis schließlich ein Engel erschien. Er teilte St. Patrick mit, dass seine Bitte gewährleistet würde und er über die Iren beim Jüngsten Gericht urteilen dürfe. Das war der Herzenswunsch des Heiligen gewesen, um seinem geliebten Volk die Qualen des Fegefeuers zu ersparen.
Da ist eine Kapelle. Im Windschatten hole ich meine Kamera heraus. Meine Finger sind erstaunlicherweise warm. Ich sehe das als ein Geschenk an, denn so kann ich Bilder machen. Ob man in die Kapelle auch hinein gehen kann? Die Tür ist verschlossen. Vielleicht von der anderen Seite? Schritt für Schritt umrunde ich das Gebäude, doch sobald ich aus dem Schutz der Mauer heraustrete, bläst es mir fast die Brille von der Nase. So etwas habe ich noch nie erlebt. Ich kann einfach nicht vorwärts gehen! Ein unsichtbares, doch durchaus kraftvolles „Betreten verboten!“- Schild hält mich davon ab. Ich gebe es auf, respektiere den Wunsch des Berges und genieße den Augenblick. Nur schwer kann ich mich trennen, doch der Rückweg wartet – die Rutschpartie durch den Schnee und plötzlich – weiße Flocken wirbeln umher, wehen mir ins Gesicht, winken mir ein lustiges Auf-Wiedersehen. Doch von einer Minute auf die andere verändern sie ihren Charakter, werden kalt und abweisend, erschweren das Atmen, attackieren nadelscharf die von der Kälte und Wind gerötete empfindsame Haut. Der Berg treibt uns talwärts – keine Frage. Und so lasse ich seinen Wille geschehen. Ich lasse mich vom Gefälle unterstützt nach unten treiben. Nahe des Parkplatzes kommen Menschen in einfachen Turnschuhen oder gar Absatzstiefeln auf dem Wanderweg entgegen. Was der Weg wohl für sie für Überraschungen bereit hält? Den Gipfel werden sie vermutlich nicht erreichen, aber sie werden um ein Erlebnis reicher sein. Ich denke an die unzähligen Pilgerfahrten. Jemand versichert mir, dass manchen Menschen den Gipfel wirklich barfuß erklimmen.
Ohne sich vorher mit an den Fußsohlen aufgebauter Hornhaut geschützt zu haben, erreichen sie den Gipfel mit blutigen Füßen. Was muss der Berg für sie bedeuten, dass sie solche Qualen auf sich nehmen. Ob das der Sinn der Pilgerfahrt ist, kann ich nicht sagen. Ich weiß nur, dass der Berg ein besonderer ist, voller Magie. Ja, eine Pilgerfahrt auf den Crough Patrick ist ein besonderes Erlebnis.