Eine kurze Geschichte der Arbeit
„Die Arbeit hält drei große Übel fern: die Langeweile, das Laster und die Not.“ ~ Voltaire
In Camphill Communities wie jener in welcher ich im Moment meinen Freiwilligendienst mache stellt neben dem gemeinschaftlichen Wohnen in Hausgemeinschaften und dem kulturellen Leben besonders auch die Arbeit in verschiedensten Workshops eine wichtige Säule der angestrebten Lebensweise dar. Nach anthroposophischem Prinzip versucht man hierbei durch ein breites Angebot an Werkstätten und auf die unterschiedlichsten Bedürfnisse und Fähigkeiten der Residents zugeschnitten Tätigkeiten jedem die Chance auf ein sinnerfülltes Arbeitsleben zu geben, welches Selbstbewusstsein und Lebenssinn stiftete, zu lebenslangem Lernen anregt und die Interessen und Fähigkeiten jedes einzelnen Individuums zum Vorschein bringen soll. Ohne die Auswirkungen eines gewissen Virus würden die allermeisten Bewohner und mit ihnen Freiwillige und andere Co-worker tagtäglich auf dem eingegliederten Bauernhof, in der Wäscherei, der Töpferei oder Weberei arbeiten, in der nahe gelegenen Biobäckerei Teig kneten oder im Craft Workshop saisonale Dekorationen und Grußkarten fabrizieren. Der Frust all dies im Moment nur in sehr eingeschränktem Rahmen tun zu können wächst stetig, denn fast alle Residents lieben ihren Job hier, sind stolz auf ihre Tätigkeit und nach Urlaub, Gehalt oder Überstundenabbau fragt kaum einer. Gleichzeitig ist aber auch klar, dass das Wort „Arbeit“ nicht im Denken aller Menschen so positiv besetzt ist und häufig rein als lästiges und mühseliges Mittel zum Zweck gesehen wird. Grund genug für mich, euch auf eine Reise rund um verschiedene Aspekte und Bedeutungen derselben mitzunehmen...
Was ist Arbeit eigentlich? Diese einfache Frage stellt uns schon einmal vor ein Dilemma, denn eine eindeutige Definition gibt es nicht und je nachdem aus der Sicht welcher Lehre oder Wissenschaft man den Begriff betrachtet wird man eine vollkommen andere Antwort erhalten. So manch einer mag sich beispielsweise an die Erklärung seines Physiklehrers erinnern, dass Arbeit (W für work) die Energie ist, welche auf einen Körper durch eine Kraft (F für force) längs einen Weges (s) übertragen wird. Wem das zu abstrakt ist, der kann sich vielleicht eher mit der Auslegung der Betriebswirtschaftslehre anfreunden, die darunter jede physische oder geistige Anstrengung eines Individuums versteht, die zur Produktion von Gütern oder Dienstleistungen in einem Betrieb beiträgt. Und während für viele Menschen wohl der Begriff der Arbeit streng mit dem Bild ihrer Erwerbstätigkeit verbunden ist, zählt aus Sicht der Philosophie jegliche Form der bewussten schöpferischen Auseinandersetzung als solche. Es gibt unzählige wissenschaftliche Theorien zum Arbeitsbegriff aus allen Jahrtausenden, von den Reflexionen der Philosophen des griechischen Altertums wie Sokrates und Platon über die kontroverse Auffassung der biblischen Lehre als Konsequenz des Sündenfalls und Karl Marx Abhandlungen über die „Entfremdung“ derselben bis hin zu modernen Theorien die im Prinzip das ganze menschliche Leben mit Arbeit gleichsetzen, und so sollte wohl für jedes Gemüt etwas dabei sein. Gemeinsam scheint all diesen Theorien vielleicht zu sein, dass es um (menschliche) Aktivitäten mit einer gewissen Zielorientierung geht, aber wollte man eine allumfassende Definition des Begriff geben, so würde im Minimalfall wohl eine ganze Doktorarbeit daraus.
Eine anderer Weg sich dem Begriff der Arbeit anzunähern ist sich verschiedene Arten anzuschauen in welche unterschiedliche Formen von Arbeit gegliedert werden können. So kann man beispielsweise zwischen Tätigkeiten unterscheiden, die ihren Fokus auf geistiger oder körperlicher Leistung haben (und sich dabei die Frage stellen warum in unserer Gesellschaft typische geistige Jobs häufig immer noch mehr wert zu sein scheinen als mehr körperliche...), danach welchen Grad der Qualifikation sie erfordert (für manche Jobs wird ein abgeschlossenes Studium vorausgesetzt während für andere ein Hauptschulabschluss locker ausreicht), oder ob man von der Hierarchie her eher eine leitende oder ausführende Tätigkeit ausübt. Immer wieder darf man dabei natürlich nicht vergessen, dass es neben dem Berufsleben auch ganz andere wichtige Beschäftigungen gibt, die als Arbeit gelten müssen oder können: freiwilligendienst und Ehrenamt, Hausarbeit, physische (Muskelarbeit) auch in der Freizeit, beispielsweise beim Sport, geistige Arbeit beim Verarbeiten von jeglichen Informationen und so weiter und so fort, von unsäglichen Dingen wie Sklavenarbeit mal ganz abgesehen...
Auch die Beweggründe für menschliche Arbeit sind unendlich vielschichtig! Eine der wohl ältesten Motivation ist wohl die Arbeit als absolut notwendiges Mittel zum Lebensunterhalt. Egal ob man als steinzeitlicher Jäger seine Energie zum Erlegen von Getier als Nahrungs- und Textilliferant verwendete, im Zuge der neolithischen Revolution die Natur nach menschlichem Willen zur Agrarwelt formte oder in heutiger Zeit alles für die Gehaltserhöhung tut - häufig steht am Ende des Tages die Erfüllung von Grundbedürfnissen wie Nahrung und einem Dach über dem Kopf im Vordergrund aller Anstrengungen. Spätestens nach der Verbreitung von Martin Luthers reformatorischem Gedankengut und seinem Pflichtethik steht bei so manchem Gläubigen Menschen auch der Wusch nach einem gottgefälligen Lebensstil der durch Fleiß und Gehorsam geprägt ist im Raum und auch nach Anerkennung und sozialen Aufstieg hungert es viele Arbeitswillige. Wieder andere sehen ihren Beruf als ihre Berufung, und im Idealfall gleichzeitig auch als Erfüllung.
Interessant finde ich, was für eine strikte Trennung häufig zwischen unserer Job Welt und dem Rest unseres Lebens gemacht wird - besonders krass zusammengefasst in dem häufig thematisierten Prinzip einer „Work-Life-Balance“. Das klingt ja gerade so als wären diese beiden Wörter komplette Gegensätze und als würde eine arbeitende Person in diesem Moment gar nicht wirklich leben! Es ist sicher wichtig Ausgleiche zu seiner Berufswelt zu schaffen und genügend Raum für Freizeit und Erholung zu bieten, und gerade in den letzten Jahren sind die Zahlen von Burnout Fällen dramatisch gestiegen, aber manchmal finde ich es schon bedenklich, wie sehr gerade Erwerbstätigkeiten häufig rein auf ein Ziel, den Gelderwerb, ausgerichtet sind. Im Idealfall sollte ein Job einem doch mehr geben, als die hart erkämpfte Möglichkeit warmes Essen auf dem Tisch zu haben und unseren Kindern eine passable Bildung zu ermöglichen, während es jeden Morgen ein Kampf ist sich für den Weg zum Arbeitsplatz zu motivieren. Ein guter Job sollte und mit Leidenschaft erfüllen, uns das Gefühl geben etwas sinnvollen zu erreichen oder erschaffen und uns mit Stolz für unsere Leistungen erfüllen. So wie es bei den Residents in den Werkstätten hier in der Community der Fall ist. Oder bei Kindern, die im Garten helfen, mit des Nachbarn Hund spazieren gehen oder stundenlang Dinge aus Lego bauen können - nicht um dafür im Nachhinein entlohnt zu werden, sondern einfach weil es für sie in diesem Moment Sinn macht und sie mit Freue erfüllt. Vielleicht können wir ab und zu ein bisschen was von ihnen lernen, denn mit welcher Einstellung wir and Arbeit heran gehen, nach welchen Kriterien wir uns einen Job aussuchen und so weiter haben wir zu einem nicht unbeachtlichen Teil selber in der Hand.
Vor diesem Hintergrund steht aber noch ein weiteres Problem der menschlichen Spezies im Raum: die Arbeitslosigkeit. Es scheint sie in beinahe allen Epochen und Gesellschaften zu geben, mal ausgeprägter und mal weniger, gut findet sie niemand, reden will darüber aber auch kaum jemand. Es ist ein Fingerzeig auf etwas anderes, was uns Arbeit zuverlässig gibt, was uns aber nicht immer bewusst ist: einen großen Teil unserer Würde. Woher kommen all die Vorurteile gegenüber Menschen die im Moment oder auf lange Zeit keiner Erwerbstätigkeit nachgehen? Leider steht viel zu selten die Frage nach dem warum im Vordergrund, sie wird verdrängt von Abwertung, Ausgrenzung, Verdrängung und schlichtem Unverständnis. Seit ich hier in Nordirland bin, sind mir mehr Auswirkungen von Arbeitslosigkeit untergekommen, als in all den Jahren zuvor - Belfast, was hier ganz um die Ecke liegt, hat da schließlich seinen ganz eigenen Ruf. In der „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“, an die so viele Staaten weltweit glücklicherweise inzwischen ihre Verfassungen anlehnen, ist das Recht auf Arbeit indem Artikeln 23 und 24 sogar ganz explizit thematisiert: „Jeder hat das Recht auf Arbeit, auf freie Berufswahl, auf gerechte und befriedigende Arbeitsbedingungen sowie auf Schutz vor Arbeitslosigkeit“. Auch von Lohngerechtigkeit, Recht auf Freizeit und dem Recht Gewerkschaften beizutreten ist da unter andrem die Rede. Dass dies einfacher gesagt als in Realität umzusetzen ist, ist zwar logisch, sollte aber nicht als unausweichlich hingenommen werden. Wir können nicht mit einem Schlag die Arbeitslosigkeit abschaffen und allen Menschen einen Job verpassen, den sie aus ganzem Herzen lieben, aber vielleicht können wir alle damit anfangen, den Wert unseres Tun und Schaffens und des unserer Mitmenschen ein bisschen mehr zu wertschätzen und würdigen. Für mehr Respekt, Sinn und Würde in unser aller leben.
Verwendete Literatur: (letzter Zugriff auf alle Internetquellen am 9.3.21)
- https://karrierebibel.de/arbeit/
- https://anthrowiki.at/Arbeit
- https://de.wikipedia.org/wiki/Arbeit_(Philosophie)
- https://de.wikipedia.org/wiki/Camphill
- https://www.menschenrechtserklaerung.de/recht-auf-arbeit-3664/
- https://www.haufe-akademie.de/perspektiven/sinn-im-job/
- https://www.beyourbest.at/welche-bedeutung-hat-arbeit/
- https://www.anthroposophie.or.at/leben-ist-arbeit-aus-liebe/
- https://de.wikipedia.org/wiki/Arbeit