Ein normaler Tag
Über meinen Alltag und die Arbeit im Corona-Lockdown Lettlands
Schon wieder ist es eine Weile her, seit ich das letzte Mal geschrieben habe, das scheint sich ein bisschen eingeschlichen zu haben. Andererseits, und das schreibe ich auch nicht zum ersten Mal, ist auch nicht wirklich etwas passiert, es ist einfach Alltag. Also, soweit möglich unter Corona-Bedigungen, aber dazu später mehr. Daher habe ich beschlossen einfach mal zu beschreiben, wie mein Arbeitstag gerade aussieht.
Mein Wecker klingelt um 7:10 Uhr, dann startet das allmorgendliche Program mit anziehen, frühstücken, frisch machen und so weiter, das alle kennen. Meine Mitfreiwillige und ich haben einen ganz guten Rhythmus gefunden, uns morgens nicht das Bad und das Brot streitig zu machen. Zwischen 7:50 und 7:55 Uhr verlasse ich das Haus durch die Gartentür, denn da steht mein Fahrrad.
Damit fahre ich zur Autoosta, dem Busbahnhof Rigas, wo ich zuverlässig viel zu früh ankomme und ungefähr eine Viertelstunde auf die Abfahrt unseres Busses Richtung Ogre um 8:30 Uhr warten muss. Momentan ist ungefähr um diese Zeit Sonnenaufgang, das bedeutet, dass man von unserem Bussteig den Zentralmarkt vor einem wunderschönen Himmel bewundern kann, wenn es nicht gerade regnet, schneit oder neblig ist.
Die Busfahrer kennen meine Mitfreiwilige und mich inzwischen, wir sind nämlich die einzigen, die mit einer Abo-Karte fahren, deren Abbuchung eine bestimmte Eingabe in ihren Ticketautomaten erfordert. Bis das geklappt hat hat es eine Weile gedauert, aber inzwischen müssen wir quasi nichts mehr sagen. Unsere Fahrt führt ungefähr 35 Minuten flussaufwärts an der Daugava entlang, dann sind wir an der Bushaltestelle im gefühlten Niemandsland angekommen und stapfen den restichen Weg zur Schule zu Fuß. Um 9:15 Uhr beginnt dann endlich der richtiger Arbeitstag.
Jeden Tag besprechen wir auf dem Weg kurz, wer in die U3 Gruppe geht und wer sich eine andere Gruppe sucht, und oft gehe ich los, zähle erst alle Kinder, die zum Essen da sind, und schaue dann, wo ich heute gebraucht werde. Wenn wir ankommen sind die Kinder in ihren Gruppen und frühstücken, danach macht jede Gruppe einen Morgenkreis. Alle Kinder, die da sind, legen ihren Stein um eine Kerze und meistens wird auch gesungen. Dann geht es bei gutem Wetter und wenn kein Kunstprojekt oder ähnliches ansteht in den Garten. Alle Eltern oder Menschen, die schon mal im Winter im Kindergarten gearbeitet haben, kennen das, das ewige An- und Ausziehen von vielen Schichten Jacke, Schneehose, Unterziehsachen und so weiter, das jedes Mal anfällt, wenn es raus oder rein geht, und das auch jedes Mal logistisches Geschick und am besten fünf Hände gleichzeitig benötigt. Jedes Mal, wenn ich also davon schreibe, dass wir raus oder rein gehen, muss das mitbedacht werden!!
Im Garten spielen viele Kinder sehr selbstständig, aber natürlich bleiben Anschaukeln, Mitspielen, beim Rutschen auffangen und Sandkuchen backen Jobs, die fast täglich eingefordert werden. Ebenso wie Mütze aus den Augen schieben, Handschuhe wieder anziehen oder Kaputze aufsetzen.
Um 11:30 gibt es für den Kindergarten Mittagessen, je nach Wetter gehen wir zwischen 11:15 und 11:20 wieder rein. Mit allem Pipapo und nasse Sachen an den Kamin oder in die Trockenschränke hängen... Bei den Kleinen muss jedes Kind einzeln ausgezogen werden, bei den größeren Kindern muss man eher nachschauen, ob die Sachen nicht vielleicht ein bisschen nasser sind als behauptet oder wo die Hausschuhe geblieben sind. Das Mittagessen besteht immer aus einer Suppe und einem zweiten Essen, meist Reis, ein Getreide, Kartoffeln oder Nudeln mit Gemüse und ein bisschen Sauce gemischt.
Nach dem Essen putzen die Kinder Zähne und gehen schlafen. Bei den Kleineren ist dann die Aufgabe, das Chaos, das das Mittagessen zuverlässig hinterlässt, zu beseitigen, bei den Größeren geht es eher darum, beim Beziehen der Matratzen zu helfen und daran zu erinnern, dass tatsächlich der Schlafanzug angezogen werden muss. Danach beginnt unsere Mittagspause.
Manchmal gibt es in der Pause etwas zu tun, ausschneiden, kopieren, laminieren oder ähnliches, aber momentan ist das nicht so häufig, weil diese Arbeiten aus der Schule wegfallen. Wenn es nichts zu tun gibt unterhalten wir uns oder haben eigene kleine Projekte, in der letzten Zeit habe ich aber auch einfach oft einen Mittagsschlaf gehalten. Wenn ich in einer der größeren Gruppen bin, kann ich mich dort einfach dazulegen, wenn ich bei den Kleinen bin tut es meist auch das Sofa im Lehrerzimmer, was schon öfter zu besorgten Nachfragen oder zu Schmunzeln geführt hat...
Nach dem Mittagsschlaf ist Zeit zum Spielen in den Gruppen, meist für 30-60 Minuten, bevor es um 15:00 Uhr Launags gibt, einen Nachmittagssnack. Das kann von Käsebrot und Kakao über Milchreis bis Kuchen alles sein, was gut schmeckt.
Je nach Wetter ist danach noch einmal mehr oder weiger Zeit zum Spielen in den Gruppen bevor es wieder nach Draußen und die Anzieherei wieder los geht. Die Kinder spielen dann im Garten, bis sie von ihren Eltern abgeholt werden. Manche Kinder gehen vor dem Mittagsschlaf, manche direkt wenn wir raus kommen und manche bleiben bis 18:30 Uhr im Kindergarten. Unser Arbeitstag endet um 16:45 Uhr, da wir den Bus zurück um 17:00 Uhr nehmen. Dann geht die ganze Reise wieder rückwärts und ich bin um kurz nach 6 zu Hause.
Was Corona betrifft ist das ein ziemlich uneingeschränkter Arbeitsalltag. Im Kindergarten müssen alle Mitarbeitenden durchgehend Masken tragen, es sei denn, wir essen, und Eltern und andere Menschen von Außerhalb dürfen nicht ins Gebäude kommen, aber ansonsten merken wir dort nur, dass die Schulkinder nicht da sind und auf dem Weg hin und zurück gilt natürlich die Maskenpflich im ÖPNV. Andererseits ist das, was ich bis hierher beschrieben habe, alles was ich mache. Fußball findet nicht statt, es gibt keine Chöre oder sonstige Möglichkeit mit anderen Musik zu machen, keine Cafes oder Restaurants, die man besuchen könnte. Es lohnt sich nicht, zu reisen, weil man überall nicht mehr machen kann als hier.
An den Wochenenden treffen meine Mitfreiwilige und ich andere Freiwillige, unsere Clique, die sich so mehr und mehr bildet, aber das ist eigentlich nicht erlaubt. Wir machen es trotzdem, weil es für unser seelisches Gelichgewicht nötig ist. Es gilt immer noch eine Ausgangssperre für die Nächte am Wochenende und eine Null-Leute-Treffen-Regelung und es ist nicht so richtig absehbar, wie lange das noch dauert. In diesem Sinne ist unser Alltag stark beschränkt, wir warten darauf, hier das erste mal in eine Bar zu gehen, die hippen Viertel zu erkunden, wenn sie tatsächlich lebendig sind, und uns auch an den Wochenenden frei zu fühlen und frei zu bewegen.
Soweit zu meinem Alltag. Ich bin nicht unzufrieden, wie es ist, und auf keinen Fall bereue ich es in irgendeiner Weise hier zu sein! Aber natürlich wäre es schön, ein bisschen mehr erleben und sehen zu können, nicht so beschränkt zu sein, vor allem eben in der Freizeit. Wir alle hoffen auf den Frühling, auf wärmere Tage, wenn Picknicks wieder Spaß machen, darauf, dass die Zahlen wieder runtergehen und vielleicht auch auf die Impfung. Und wenn dann wieder etwas läuft gewöhne ich mir bestimmt auch wieder an, regelmäßig zu schreiben...
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