Ein ereignisreicher Januar
Der Monat, in dem endlich der Winter kam.
Tere-Tere ja head uut aastat!
Frohes neues Jahr kann man doch auch Ende Januar noch wünschen, oder? Ich hatte immer viel zu tun, deswegen ist es jetzt schon Ende Januar geworden ;)
In den Weihnachtsferien wollte ich ja eigentlich gerne noch reisen, aber irgendwie hat sich das nicht mehr ergeben. Viele Freiwillige sind über Weihnachten nach Hause gefahren, hatten Besuch aus dem Heimatland oder mussten wieder arbeiten. Somit war ich jeden Tag zu Hause und habe an meiner Unibewerbung gearbeitet. Es war letzendlich auch nicht schlecht, denn es hat sehr viel Zeit und Konzentration gekostet. Die Unibewerbung ist für Psychologie in Schottland gewesen.
Die erste Arbeitswoche war dann schon wieder etwas komisch, aber ich war auch froh wieder etwas zu tun zu haben. Ich habe mich schnell wieder eingefunden, aber seit dem Mittwoch ist eine von den beiden Arbeitern in meiner Gruppe krank. Nachmittags sind jetzt also noch die andere, eine Praktikantin, eine(r) von den drei Sozialarbeiter(innen) und ich da. Da die Praktikantin und ich aber nicht allzu große Hilfen sind – sie nicht, weil sie meistens rumsitzt, und ich nicht, weil ich kein Estnisch und kein Russisch spreche – macht Eve, die Arbeiterin, die noch da ist, fast alles allein. Die Sozialarbeiter, die oft einspringen wenn jemand krank ist, helfen natürlich auch mit, aber sie wissen auch nicht immer, wie alles abläuft. Manchmal kann ich denen dann schon sagen, wie genau wir was machen ;) Aber ich habe das Gefühl, dass Eve deswegen ganz schön gestresst ist und das macht die Situation in der Gruppe seitdem etwas angespannt. Ich würde ihr ja gerne helfen, aber ich kann nicht. Sie kann mir auch Aufgaben übergeben, das macht mir nichts aus, aber auch das macht sie nicht, weil sie nicht für mich verantwortlich ist. Und wenn dann ein paar students gerade bei irgendeinem Kurs sind, ist es langweilig und ich bin auch nicht motiviert, etwas zu machen.
Das Problem ist auch, dass ich oftmals nicht genug weiß. Zum Beispiel habe ich letzte Woche erst erfahren, dass einer nicht mit Zahlen umgehen kann und ohne fremde Hilfe kaum bis zehn zählen kann. Wenn ich so etwas wüsste, könnte ich viel besser auf die students eingehen und Beschäftigungen finden, die sie wirklich interessieren. Aber mir erzählt so etwas keiner. Genauso gibt es wahrscheinlich viele superinteressante Aktivitäten am Morgen, aber da mir keiner davon erzählt, kann ich also auch nicht fragen, ob ich mal mitmachen kann. Vielleicht könnte ich ja auch eine Hilfe sein....
Mein größtes Problem bei der Arbeit ist also immer noch die mangelnde Kommunikation und, dass ich mich einfach nicht wichtig und gebraucht fühle. Sie würden ohne mich auch super klarkommen.
Das heißt jetzt aber nicht, dass ich meine Arbeit nicht mag. Ich liebe sie und ich liebe jeden Tag, egal, wenn er mal langweilig ist. Aber selbst wenn ich schreibe, dass mir alles gefällt, es gibt doch immer kleine Problemchen ;)
Ich wollte ja noch von der Silvesterparty erzählen ;) Sie war ziemlich cool. Wir haben mal wieder mit vielen Leuten hier bei uns gefeiert und sind dann zu zwölf Uhr zum Vabaduse Väljak gefahren. Es war so unglaublich, denn normalerweise ist der große Platz eher leer. So viele Menschen gibt es in Estland nicht, dass sie ständig einen großen Platz füllen könnten. Aber an Silvester waren dort so viele Menschen. Vielleicht tausend, vielleicht mehr oder weniger. Es klingt vielleicht nicht viel, aber für estnische Verhältnisse ist das viel. Es gab eine Bühne mit Musik und ganz viel Feuerwerk. Die Busse sind auch um zwölf noch gefahren und mussten versuchen, durch die Menschenmassen und das Feuerwerk hindurchzukommen. Zu der Zeit hätte ich kein Busfahrer sein wollen. Wir waren eine große Truppe an dem Abend und leider haben wir uns später verloren, aber der Abend war trotzdem super und wir haben alle wunderbar zusammen ins neue Jahr gefeiert.
Der 16. Januar war auch ein besonderer Tag für mich. Ich bin wieder in den deutschen Chor zurückgegangen und wir möchten ja gerne am Laulupidu im Juli teilnehmen. Das ist das große Sängerfest von dem ich schon mal geschrieben habe. Da dort so viele Chöre mitmachen möchten, gibt es sozusagen Auswahlverfahren. Wir mussten mit vielen anderen Chören an dem Tag zu einem Kulturzentrum kommen. Dort wurden wir erst in Stimmen aufgeteilt und die vielen Lieder wurden noch einmal ausführlich geübt. Dann mussten wir als Chor vorsingen. Matthias, der Pfarrer, meinte, dass wir auf jeden Fall zu schlecht gewesen waren und absolut keine Chance hätten, zur nächsten Auswahl zugelassen zu werden. Aber Margot, die Chorleiterin, kennt die Richter und kann uns da vielleicht über Beziehungen hineinbringen. Schließlich sind wir ein ganz besonderer Chor, denn die meisten sind deutsch und nur über einen bestimmten Zeitraum in Estland. Solchen Menschen sollte man doch ermöglichen, bei dem heimischen traditionellen Fest mitzumachen. Und selbst wenn wir nicht mitmachen können, das Vorsingen war schon toll genug. Ich als nicht-Estnisch-sprechende Freiwillige inmitten von Einheimischen alle mit demselben Ziel. Ich war froh, dass Paloma, die eine halb-Estin ist und schon seit sechs Jahren mit ihrer Familie in Estland lebt, mir ein paar Sachen übersetzt hat und die Kommunikation mit den Esten übernommen hat. Aber allgemein war es ein wunderbares Gefühl. Einerseits unter all den Esten zu sein, andererseits mit so vielen Leuten und ganz vielen verschiedenen Stimmen ein Lied zu singen.
Am 18. Januar hatte ich die IELTS Prüfung hier in der Uni in Tallinn. IELTS ist ein Sprachzertifikat, was ich für die Bewerbung in Schottland brauche. Ist eigentlich ganz gut gelaufen und Freitag bekomme ich schon das Ergebnis. In der Pause zwischen mündlicher und schriftlicher Prüfung habe ich einen Spaziergang im verschneiten Park Kadriorg gemacht. Es war bitterkalt, aber wunderschön.
Am nächsten Tag habe ich einen kleinen Ausflug nach Pirita gemacht. Pirita ist ein Stadtteil von Tallinn etwas außerhalb an der Küste. Es war ein Olympiastandort von den olympischen Spielen 1980 in Russland. Dort fanden glaube ich die Segelmeisterschaften statt. Es gibt einen kleinen Hafen, viel Wald, alte Klosterruinen und wenn man etwas weiter stadtauswärts fährt, ist dort der Fernsehturm. In genau dieser Reihenfolge habe ich mir Pirita angeschaut. Der Fernsehturm war auch super toll, denn man hatte einen Ausblick über ganz Tallinn. Nur die tiefstehende Sonne hat etwas genervt, denn sie war über der Altstadt und wegen dem Dunst konnte man die Altstadt kaum erkennen. Mit dem Wind war es auf der Außenterrasse ganz schön kalt.
Letztes Wochenende waren Freiwillige aus Finnland da. Wir haben natürlich das übliche Sightseeing gemacht ;) Am Sonntag bin ich mit Eva und Ana nach Pärnu, der drittgrößten Stadt gefahren. Es ist die Sommerhauptstadt Estlands und es gibt viele Restaurants und Cafes, von denen aber viele im Winter geschlossen sind. Trotzdem war der Tag wunderschön. Zuerst haben wir uns das kleine Zentrum etwas näher angeschaut und sind in die tollen Kirchen reingegangen. Von da aus sind wir zum Strand gelaufen, was am besten an dem ganzen Tag war. Das Meer ist inzwischen schon kilometerweit zugefroren. Man konnte das Ende nicht mehr sehen. Wir sind gelaufen und gelaufen, und trotzdem den Menschen in weiter Ferne nicht näher gekommen. Ich habe mich gefühlt wie in einer Eiswüste.
Der Schnee auf dem Eis hat wahrscheinlich wegen dem Wind so kleine pilzartige Flocken gebildet. Sie sahen aus wie kleine Moospflanzen. An manchen Stellen gab es kleine eingefrorene Wellen und die Leute sind mit Autos oder Skiern auf dem Eis gefahren.
Es war super kalt dort, aber ich habe mir am Samstag eine Schneehose gekauft (die tragen hier viele), weil ich immer so friere. Bei Temperaturen bis unter – 20 Grad ist das auch kein Wunder. Ich bin dort auf dem Boden herumgekrochen und habe versucht, schöne Fotos zu machen. Leider ist dann die Kamera eingefroren und funktionierte nicht mehr richtig. Auch die Kameras von Eva und Ana sind eingefroren und mein Handy machte auch merkwürdige Sachen ;) Aber dieser Moment, wie Jesus auf dem Wasser zu laufen, sich in einer Eiswüste zu fühlen und von der Sonne wahrscheinlich fast einen Sonnenbrand zu bekommen wird auf ewig in meinem Gedächtnis bleiben. Kein Foto hätte den Moment einfangen können.
Aber auch in den letzten Wochen, als das Meer noch nicht komplett zugefroren ist, war es wunderschön. Es gab richtige Eisschollen. Ich habe das Meer schon ganz oft im Sommer gesehen, aber noch nie im Winter. Es war also das erste mal, dass ich eine Eisscholle in den Wellen habe reiten sehen.
Mit dem Estnisch sprechen klappt es jetzt auch immer besser. Ich gehe in ein Restaurant und kann komplett auf Estnisch bestellen. Ich gehe zu einem Kiosk, frage wie teuer das Wasser ist und entscheide mich für das ohne Kohlensäure. Ich frage, wie spät der Bus abfährt. Und meistens verstehe ich dann auch die Antwort ;) Wenn ich also nach der Hälfte des EVS so gut reden kann, dann hoffe ich, am Ende des EVS mein Ziel zu erreichen ;)
Und noch einen kleinen Ausblick auf die nächsten Wochen: an diesem Wochenende ist mein Mid-Term Training, am Wochenende darauf machen wir bei uns eine Party mit den Arbeitskollegen und Sonntag geht es auf nach Stockholm für eine Tagesreise. An dem nächsten Wochenende fahre ich mit Eva nach Finnland und an dem Wochenende darauf kommt mich mein Bruder und seine Freundin besuchen! Darauf freue ich mich schon ;)
Bis zum nächsten Mal!