Ein deutscher Traum von Spanien
Manchmal habe ich das Gefühl, auf den Straßen von Madrid mehr deutsche Wortfetzen als Unterhaltungen in jeder anderen Sprache mitzubekommen, so viele Deutsche zieht es in die spanische Hauptstadt - oder eben in den Süden Spaniens, genau genommen nach Málaga.
Als wir an unserem Málaga-Wochenende durch die Straßen der andalusischen Stadt schlenderten und das kleine Restaurant sahen, standen meine Pläne für diesen Abend fest. Beinahe unscheinbar lag es neben der Kathedrale, weiße Wände, deren Farbe langsam abblätterte, Kellner mit Anzug und Fliege, einige Stühle draußen. Irgendwie sah es alt aus, aber weder im gewollten Retro-Stil noch heruntergekommen. Die Speisekarte war voller Fisch und nachdem wir am Abend zuvor in der Sushibar gelandet waren, sollte es heute Abend etwas Typisches geben. Als wir abends in das Restaurant zurückkehrten, fand drinnen eine Flamenco-Show statt, wir setzten uns dazu, aßen Calamares und einen Fisch, dessen Namen ich schon wieder vergessen habe. Ein wenig wirkte die Show wie gewollt und nicht gekonnt, was wohl weniger an den Tänzern, die wirkliches Talent bewiesen, und eher an den Gästen lag. Da war der junge Mann im Kapuzenpulli, dessen Freundin sich ihrem Gesichtsausdruck zufolge eindeutig ein moderneres Restaurant gewünscht hätte, zwei Mädchen, die die Show kaum beachteten und ihre Unterhaltung nur dafür unterbrachen, Selfies mit dem Flameno-Tänzer zu machen. Sie sahen ein wenig fehl am Platz aus, nur ein Pärchen, das im Anzug und kleinem Schwarzen vor ihrem Rotwein saß, passte in den Raum. Ein wenig fühlte ich mich plötzlich in der Zeit zurückversetzt.
Als wir uns unter die Heitzstrahler vor dem Restaurant saßen und unseren Wein tranken, sprach mich spontan der Mann vom Nebentisch an, aus welchem Land ich käme. Ich antwortete "Alemania", er machte große Augen und sagte, "Wie du kommst auch aus Deutschland?". Ich nickte lachend, erzählte, dass ich seit inzwischen vier Monaten in Spanien bin, als seine Frau sich zu uns setzte und überrascht fragte, "Warum sprichst du denn so gut Deutsch?". Während ich versuchte, ihre Gesichte aus ihnen herauszukitzeln, erzählte der Mann mit ausholenden Gesten in einem Deutsch-Spanisch-Kauderwelsh ebenso mir wie meiner französischen und nun wirklich kein Deutsch verstehenden Projektpartnerin einen Witz nach dem nächsten ("Da tenía casi un litro intus"), während seine Frau still essend daneben saß. Erst als wir aufstanden, um zu gehen, und ich sie zur Verabschiedung in die Arme nehmen wollte, begann sie, mir ihre Geschichte zu erzählen.
Aufgewachsen in Deutschland und Spanien war es für sie ein jahrelanger Traum, einmal im Ausland zu leben. Gemeinsam verbrachten sie lange Zeit damit, diesen Plan in die Tat auszuhecken. Später fragt sie mich, was ich in Spanien machen, und ich erzähle von meinem Freiwilligendienst. Ihr Mann zeigt sich begeistert über die Möglichkeit, so jung ins Ausland zu gehen, und die Idee, vor dem Studium sich sozial zu engagieren, meinen Plan, danach Kommunikation zu studieren, findet er ebenso genial, Aufklärung ist ja heute noch ein ganz anderer Begriff als früher, sagt er und fragt mich provokant, ob ich mich und meine Generation für aufgeklärt halte. Seiner Frau merke ich den Wehmut an, für sie scheint es nicht einfach zu sein, wie einfach es für mich war, ins Ausland zu gelangen und mir den Traum zu erfüllen, der ihr so viel mehr gekostet hat als mich.
"Die ersten fünfzehn Jahre waren ein Traum", erzählt sie mir. Um nicht eines Tages aus finanziellen Gründen nach Deutschland zurückkehren zu müssen, kauften sie ein Haus in Andalusien, zogen schließlich um, er fand Arbeit als Elektriker, sie machte sich selbstständig. Was folgt, das ist der Satz, den man oft hört, wenn man gerade mit älteren Menschen in Spanien spricht: die Krise. Noch hat er Arbeit, aber ihre Selbstständigkeit bekommt die Krise zu spüren, die Spanier seien auch nicht mehr dieselben wie früher. Sie fragt mich, wie mir die Flamenco-Show gefallen hat, aber als ich begeistert nicke, schüttelt sie den Kopf. "Früher war auch das besser", sagt sie mir. Zehn Jahre lang hat sie am Wochenende in diesem Lokal gesungen, er hat Piano gespielt, die Gäste durften mitmachen, wo sie wollten, am Piano, am Mikro, auf dem Tanzpakett. Sie erzählt mir von dem anderen Pianisten, der inzwischen gestorben ist, dem so talentierten Flamenco-Tänzer, der jetzt unter Alzheimer leidet, der Mutter ihres Mannes, die früher nach ihren Pianostücken stundenlangen Applaus absahnte. Sie waren eine Familie, erzählt sie mir, die Künstler, die Kellner und die Stammgäste, damals jedenfalls, heute sei alles anders. Dennoch kommen sie so oft wie es geht zurück nach Málaga, um in dem Lokal einen Wein zu trinken und an die alten Zeiten zu denken.
Ich glaube, unter allen Deutschen, die einen EVS machen wollen, ist Spanien eins der beliebtesten Länder, Statistiken beweisen, dass jeder fünfte deutscher Erasmus-Student Spanien als Zielland auswählt. Meine eigene Mutter hat Spanisch studiert und in Málaga gelebt, meine beste Freundin ist im letzten Jahr die spanische Küste runtergereist, eine andere Freundin von mir hat als Kind einige Zeit hier gelebt. Auch für mich war es mein Wunschland. Ich glaube, er ist noch immer da, dieser deutsche Traum von Spanien, den wir teilen, den ich vor meinem EVS ebenso hatte wie diese beiden Deutschen, die schon vor 24 Jahren nach Spanien gezogen sind: raus aus der Kälte, raus aus einem Land, indem die Menschen angeblich lieber auf Distanz gehen, rein ins Leben, in Fiesta oder Flamenco, in die Sonne, vielleicht einfach in eine Welt, die uns ein bisschen schöner erscheint als unser eigenes Land. Im Leben dieser beiden scheint er gerade ein wenig zu bröckeln, die Krise bestimmt inzwischen auch ihr Leben, nach vier Monaten sehe auch ich Spanien nicht mehr durch die rosarote Brille. Als wir uns wieder in das Innere des Restaurants setzten und die Flamenco-Show sahen, habe ich dennoch das Gefühl, diesen Traum wieder spüren zu können.
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