Ein Abenteuer im Wald
Inzwischen ist seit meinem letzten Tagebucheintrag so viel passiert, dass ich mit dem Erzählen gar nicht mehr hinterher komme! Deswegen berichte ich einfach von meinem letzten großartigen Erlebnis.
Inzwischen ist seit meinem letzten Tagebucheintrag so viel passiert, dass ich mit dem Erzählen gar nicht mehr hinterher komme! Deswegen berichte ich einfach von meinem letzten großartigen Erlebnis. Und zwar war ich im Süden von Irland auf einem Cheshire Home Camp in Tralee. Dort kommen jedes Jahr, Behinderte, Freiwillige und Mitarbeiter aus allen Cheshire Homes in Irland hin, um fünf Tage beim C.A.M.P. (Cheshire Adventure Motivation Project) miteinander zu verbringen.
Wir hatten wirklich keine Ahnung, was uns dort erwarten würde. Und es wurde eine der besten Erfahrungen meines Lebens: Während der Begrüßungsrede von John Brophy, dem dortigen Chef, wurde uns allen klar, dass das Camp kein Zuckerschlecken werden würde. Die meisten waren etwas entsetzt von der Unterbringung: schmutzige, uralte Baracken mit Matratzen, deren Lebensgeschichte ich lieber nicht wissen möchte, verbeulte Schränke und katastrophale Toiletten. Und hier sollten wir nun für fünf Tage leben mit Menschen im Rollstuhl, die gewaschen und gepflegt werden wollten!
Auch Johns Ansprüche ließen uns alle zusammenzucken: Jeder sollte helfen. Dies sollten keine Ferien werden, sondernd Teamarbeit etc. etc. etc.! Jeder von uns bekam einen so genannten Residenten zugewiesen, um den er sich kümmern sollte. Das bedeutete anziehen, ausziehen, waschen, füttern, Rollstuhl schieben, zu Bett bringen usw.
Viele von uns hatten so etwas noch nie gemacht. Ich hatte großes Glück, weil ein Helfer nicht gekommen war, wechselte ich die Gruppe und musste mich nur um Michael kümmern. Wir waren nämlich in sechs so genannte Syndicates eingeteilt worden. Ich hatte kaum Arbeit mit Michael, weil er alles selber machen konnte. Ich musste nur ein Auge auf ihn haben, damit er nicht weglief. Außerdem musste ich dafür sorgen, dass er bei Ausflügen immer einen Sitzplatz fand, seine Tasche richtig gepackt hatte und sonst keinen Blödsinn machte.
Andere hatten es da wesentlich schwerer. Sie waren rund um die Uhr beschäftigt, dass sie kaum Zeit für sich hatten. Damit meine ich nicht Freizeit, die hatte nämlich keiner, sondern so simple Dinge wie essen, duschen und umziehen. Oft half ich Ingrid, die sich um ein 19-jähriges Mädchen im Rollstuhl kümmerte, für die ich ursprünglich auch als Helfer eingetragen war. Manchmal waren einige der Helfer am Ende ihrer Kräfte und Nerven, aber wir haben einander geholfen und irgendwie haben wir es überstanden.
Am Freitagabend fuhren wir zu einem Gebäude mit dem Namen „GAA-Clubhouse“. Dort bekamen wir ein leckeres Grillessen serviert, dass wir auch dringend brauchten, denn wir waren mehr als hungrig! So langsam lernte man sich dort auch kennen. Einer der Betreuer, Brian, auch besser bekannt unter dem Nickname Sensei, war unser genialer DJ! Wir hatten megaviel Spaß beim Tanzen, denn nach und nach folgte jeder den Tanzaufforderungen von Sensei! Selbst die Residenten tanzten mit: Manche von ihnen wurden einfach aus ihren Rollstühlen gehoben und durch die Luft gewirbelt, Jenny konnte mit Hilfe sogar auf ihren eigenen Füßen tanzen. Und diejenigen mit so genannten Powerchairs fuhren wie verrückt zur Musik durch die Gegend.
Wieder zurück im Camp wurden wir sofort ins Bett gescheucht, aber jeden Abend fand man eine Möglichkeit quatschend wach zu bleiben. So kam es dann zu dem mangelnden Schlaf!
Samstagmorgen wurden wir brutal mit Blechtrommeln um 6.30 Uhr aus den Betten geworfen. Müde machte man sich und die Residenten dann fertig fürs Frühstück, dass zu meinem Erstaunen aus Würstchen, Schinken und Ei bestand. Manchmal fanden sich auch unidentifizierbare Gegenstände auf dem Teller. Zum Glück gab es auch immer Weißbrot mit Marmelade, was mir dann in diesem Fall mal echt willkommen war, denn ein großer Cornflakes-Fan bin ich auch nicht!
Der Tag begann mit einem Überlebenstraining auf dem Campgelände! Sensei wies uns Gruppenweise in die Kunst ein, draußen zu überleben! Wir lernten wie man Zelte aus Regenmänteln und Holz macht, wie man aus einem Kondom und einer Socke ein Wasserbehälter macht und wie ein Tampon beim Feuermachen hilft.
Dann waren wir dran auf dem so genannten Square zu marschieren. Wir wurden von Ozzy eingewiesen, dass man „the Square“ zu respektieren hat und es also niemals ohne Aufforderung zu überqueren hat. So mancher von uns wurde wie ein räudiger Hund vom Platz gejagt oder musste wieder zurückgehen, um das Square respektvoll zu umrunden, wenn er aus Versehen in das heilige Viereck trat! Wir marschierten wie in der Armee auf und ab und lernten ein paar Befehle.
Zu Anfang war uns die ganze Sache nicht ganz geheuer, wozu das alles gut sein sollte, aber wir ließen uns darauf ein und unsere Gruppen wuchsen zusammen. Außerdem war herrliches Sommerwetter und wir genossen den wolkenlosen Himmel!
Sonntag startete der Tag, diesmal um sieben Uhr und langsam begann ich, das warme Frühstück zu schätzen, denn man brauchte ganz schön viel Energie, um die langen anstrengenden und kurzen Nächte zu überstehen! Die Hälfte von uns ging Segeln und wir anderen spielten ein Parcourspiel, bei dem man zuerst ein Go-Kart zusammenbasteln musste. Meine Gruppe machte so viele Fehler, dass Sensei immer wieder alles auseinander bauen musste. Als wir es endlich geschafft hatten, mussten wir einen Residenten nach dem anderen durch den Parcour transportieren.
Nach einem Überlebensfilm im Computerraum waren wir dran mit Segeln! Wir teilten uns auf die Segel- und Speedboote auf und fuhren übers Meer. Es war großartig: Das Wetter war wie jeden Tag unglaublich warm und schön und die Berge im Hintergrund ließen einen glauben, in einem Märchenland zu segeln. Danach grillten wir wieder in einem Segelclubhaus, dessen Aussicht genau zum Meer hin war und uns den wunderschönen Sonnenuntergang genießen ließ! Nachdem die Sonne untergegangen war und wir uns alle etwas frisch gemacht hatten, fuhren wir wieder zum GAA-Clubhouse und tanzten wieder bis in die tiefe, tiefe Nacht hinein!
Am Montag war der Tag für das große Spiel gekommen, an dem wir in der Wildnis ausgesetzt werden und vierundzwanzig Stunden im Wald verbringen sollten! Jedes Syndicate bekam für das Spiel eine Ausrüstung von zwei alten Autoreifen, deren wahre Bedeutung mir immer noch verschlossen bleibt. Meine letzte Vermutung war, dass sie als Toilettenbrillen fungieren sollten?!
Ansonsten bekamen wir noch die Regenjacken, Kordel, Behälter für Suppe und blaue Overrolls. Eine Stunde später erreichten wir in den schönsten Wald, in dem ich jemals gewesen bin! Wir hielten auf einem Parkplatz und mussten uns in unseren Gruppen hinter den Bussen aufstellen. Uns kam es wie Ewigkeiten vor, bis endlich aller Kram beisammen war und wir startklar waren. Vorher wurden unsere Gesichter noch mit dieser braunen, grünen oder schwarzen Armeefarbe angemalt.
Die Betreuer sahen für das Spiel alle wie richtige Soldaten aus: im Armeelook, angemalten Gesichtern und allem anderen was dazu gehört. Jede Gruppe bekam einen so genannten Soldaten zugeteilt, der uns helfen sollte, diesen Tag draußen zu meistern. Meine Gruppe wurde zum Glück zu unserem Platz im Wald gebracht, so mussten wir unser Zeug nicht tragen!
Jede Gruppe war maximal 400 Meter auseinander entlang eines wunderschönen Flusses stationiert! Ziel der ganzen Operation war es, die Fahnen der anderen Gruppen zu „stehlen“ und dafür hinterher Punkte zu erhalten! Zwei unserer Flaggen wurden schon auf dem Parkplatz gestohlen! So hatten wir nur noch drei, die wir dann ganz hoch oben in den Bäumen aufhingen! Wir waren nämlich verpflichtet, sie sichtbar anzubringen, so dass man überhaupt eine Chance hatte, sie zu stehlen!
Zuerst baute mein Syndicate kleine Zelte nur für die Residents. Mit Hilfe von der Kordel, Regenmänteln und Bäumen bildeten wir auf diese Weise sechs Zelte, so wie wir es vorher gelernt hatten. Na ja, fast so! Als wir ein Feuer gemacht hatten, ging ich mit vier anderen aus meiner Gruppe spazieren, um die anderen Syndicates und ihre Zeltgebilde zu bewundern.
Meistens wurden wir nicht freundlich begrüßt. Einmal versuchten wir während des Spiels Flaggen zu stehlen, aber ich war nicht schnell genug. Als wir die letzte Gruppe besuchten stürzten sich mindestens fünf Männer auf. Sie hatten diese fiesen Plastikfesseln, die man nur enger machen kann, aber eben nicht mehr auf! Aber ich war nicht lange allein, denn Pierre wurde ebenfalls von ihnen gefangen genommen, als er um ihr Lager herumschlich. So saßen wir dann dort aneinander gefesselt. Ich bekam nur einen Apfel zum Mittag essen und ein bisschen Wasser.
Dieses Syndicate hatte offensichtlich viel Spaß daran, uns zu ärgern. Wir kamen vor der Dunkelheit frei. Als ich zurück zu meiner Spiel-Gruppe kam, hatten wir noch eine Flagge verloren und einen „Gefangenen“ gemacht. Bis zur Dunkelheit verbrachten wir die Zeit damit, Holz zu sammeln und Farn zu schneiden, um die Zelte damit abzudichten.
Als es Dunkel wurde begann das „sneaking around“: Das heißt für das Spiel, wir schlichen durch die Dunkelheit, um die anderen aufzulauern. Wir lagen am Weg in der Dunkelheit um diejenigen aufzulauern, die versuchten unser Camp anzuschleichen. Wir hatten super viel Spaß und kamen uns vor wie bei den Pfadfindern oder in der Armee.
Als wir wieder zu unserem Lager zurückkamen, herrschte total Aufbruchstimmung und zu unserer Überraschung mussten wir doch nicht draußen schlafen, sondern kehrten um 1.00 Uhr in der Nacht nach Hause zurück! In meiner Baracke angekommen, fiel ich tot ins Bett und war mehr als froh, keinen Residenten zu haben, der noch gewaschen und zu Bett gebracht werden musste!
Am nächsten Tag durften wir sogar bis 9.00 Uhr schlafen. Danach hatte mein Syndicate frei und die anderen durften wieder “maschieren“! Am Abend fand eine großartige Abschiedsparty in einem Hotel statt. Jeder hatte sich herausgeputzt und wir genossen den Abend in vollen Zügen.
Zuerst hatten wir ein köstliches Drei-Gänge-Dinner. Danach wurden die Tische und Stühle von der Tanzfläche geräumt und die Disko startete. Brian war wieder unser brillianter Dj und überraschte uns alle mit echt guten Tanzeinlagen. Zwischendurch wurden die Fotos von den letzten Tagen an die Wand geworfen und wir hatten riesigen Spaß, großartige Musik und tanzten bis in den frühen Morgen.
Am Ende unseres Aufenthalts, nachdem wir alle Räume aufgeräumt und gereinigt hatten, versammelten wir uns alle vor dem Essenssaal. Dort hielt John noch einmal eine kurze Rede. Es war total schön, aber das Abschiednehmen war schon ziemlich traurig, besonders weil viele der Residents weinten.
Dieses Camp war eine großartige Erfahrung. Ich habe sehr viel für mich mitnehmen können, habe viel über mich und andere gelernt und will nächstes Jahr auf jeden Fall wiederkommen. John gab mir seine Adresse und meinte, ich sei nächstes Jahr sehr willkommen und könnte so viele Freunde wie ich will mitnehmen!