durch Tag und Nacht
Mein EVS ist vorbei. Ende. Aus. Game Over. Ich bin zurück in Hamburg.
im Hellströms durch den Abend
Das letzte Bier im Pub. Es läuft Rockmusik und ich warte auf Freunde. Das gute an Kleinstädten ist, und das habe ich in Sortland gelernt, dass es nur eine Bar gibt und man alle Freunde dort trifft. Das schlechte an Großstädten ist, dass es tausend Bars gibt und man nie weiß, wo man sich treffen soll. Alternativen sorgen für hemmungsloses Diskutieren – am Ende habe alle keine Lust mehr und bleiben Zuhause.
Hellströms – 29 Kronen das Glas, ich glaube, billiger geht’s in Södermalm nicht. Ein guter Ort, um sich zu verschwenden.
Man fragte mich heute, ob ich die Bibliothekskarte behalten möchte, für den Fall, dass ich wiederkomme. Ich sagte „ja. Danke.“ und fragte mich, wann ich sie das nächste Mal benutzen werde.
Es ist acht Uhr abends und ich warte auf Freunde. Viele sind es nicht mehr in der Stadt. Viele sind schon weg, wohnen in Städte, die ich nicht kenne. Im Hellströms läuft schlechter Rock'n Roll. Das ist OK bei den Preisen.
Ich brachte mein Paket zur Post, 750 Kronen für 14 Kilo Erinnerungen. Ich war im Büro und holte mein Zugticket ab, kündigte mein Bankkonto und musste mich wieder an meine deutsche Handynummer erinnern. Solche Nummern sind wie Liebesbriefe: irgendwann vergisst man die Details. Man weiß nur noch, dass es sie gibt.
Draußen schneit es. Vielleicht der letzte Schnee in diesem Winter. Ich möchte mir etwas vom Schnee in den Mund stecken, um zu wissen, wie er schmeckt. Ich beschließe es sein zu lassen. Es gibt schönere Erinnerungen als der Geschmack von Schnee auf Asphalt. Das Aroma von Salz und Blut zum Beispiel.
Und auch kein Hund mehr, der mir ins Gesicht springen wird und meine Brille frisst.
Ich sitze im Hellströms und warte auf Freunde. Bald kommen sie. Es ist ein guter Zeitpunkt, Stockholm zu verlassen.
__
Im Zug durch Skåne
Ich sitzt im Zug auf der Heimfahrt und gehe im Handy die gespeicherten Kontakte der letzten zwölf Monate durch. Und dann möchte ich die letzten Kronen auf meinem Handyprepaid-Konto verschleudern und möchte die Nummern von Leuten anrufen, an die ich mich nicht mehr erinnern kann. Ich habe komische Namen gespeichert. Asian...trallallala, Chris__Sonic, betrunkenen Bekanntschaften von Partys und Konzerte, alles nur noch Schattenrisse ohne Charakter, die auf ewig im digitalen Mausoleum einer SIM-Karte gespeichert sind.
Ich rufe Penos...Bassplayer an, ohne zu wissen, wer sich dahinter verbirgt.
Eine Frauenstimme. Sie klingt überrascht. Ich sage, dass ich Schweden verlasse und wünsche ihr Glück. Sie fragt wer ich bin und ich erfand eine Geschichte, dass wir uns auf zwei Konzerten getroffen haben und am Ende zusammen betrunken wurden und sie sagte „ja. Ja...jetzt weiß ich, wer du bist und ich hätte ja nicht daran gedacht, dass du dich noch einmal meldest.“
Ich war überrascht, dass meine Lüge ein Eigenleben gewann - in Gestalt einer mir unbekannten Wahrheit. So unbekannt wie das Gesicht am anderen Ende der Leitung.
Sie fragte, wie es mir geht und dass sie nicht weiß, ob sie sich für's Nichtmelden entschuldigen soll oder nicht. „Auf jeden Fall finde ich es schade, dass du jetzt weg bist.“ Ich sagte, dass wir uns nächstes Mal in Hamburg betrinken können. „In Hamburg, da gibt’s Industriebrachflächen mit konterminiertem Boden. Da ist man unter sich.“, sagte ich.
Sie schwieg, dachte bestimmt an Sex.
„Ich überleg es mir. Ich meld mich bei dir. Ich hab ja jetzt deine Nummer.“ sagte sie ganz plötzlich mit stiller Stimme.
Wir beenden das Gespräch. In zwei Stunden werde ich die SIM-Karte wechseln. Jeder geht seinen Weg, ich den anderen. Bestimmt denkt sie, dass das Leben seltsam ist. So wie ich denke, dass das Leben seltsam ist, man ist so gefesselt in seinen Freiheiten.
__
im fremden Wohnzimmer durch den Abend
Zurück in Hamburg. Der Hauptbahnhof nasskalt. Die Schaffner freundlich genervt, die Leute irgendwie grimmiger. Hauptbahnhof Gleis 7. Ich ging nicht gleich nach Hause. Ich wollte das nicht. Nach einem Jahr in Schweden hatte ich nicht das Gefühl, den Weg einzuschlagen, den wohl alle anderen genommen hätten, wären sie verspätet und übermüdet irgendwo aus einem Zug gestiegen: direkt ins Bett. Ich wollte nicht nach Hause. Das war nicht wie Feierabend, dieser Moment der Rückkehr. Ich lief auf nassem Asphalt, der in der Nachtluft kühler Muster glänzte.
Ich bekam den Tipp von einer Freundin und dann fand ich mich in einem fremden Wohnzimmer wieder, Einweihungsparty von Leuten, die ich nicht kannte. Umgeben von leiser Musik, viel Bier und Absolut Vodka – ich habe Schweden kaum hinter mir gelassen, schon hatte ich es wieder im Glas.
Ein paar Freunde waren da, ich freute mich ungemein, dass ich sie sah. Das war genau das richtige, das, was ich brauchte. Fremde Menschen, die interessante Sachen erzählen und vertraute Gesichert, denen ich interessante Sachen erzählte. Kühles Bier und warmer Vodka, den man nicht spürt, wenn man ihn trinkt. Gutes Zeug.
Ich dachte über diesen Moment nach und beschloss, dass es das beste ist, was mir heute passieren konnte. Nach 372 Tagen und 13 Stunden Zugfahren in Hamburg direkt ohne Umweg auf einer Party aufzukreuzen.
Ein guter Abend. Eine gute Nacht. Ein gutes Jahr. Ich fühlte mich nicht wie Zuhause. Was ist schon mein Zuhause? Es war nur ein guter Zeitpunkt, Stockholm zu verlassen.