DoraTheExplorer!
Mein erstes Wochenende alleine in Breslau, an dem ich doch nicht so alleine war.
Nun waren meine ersten Arbeitstage vorbei und das Wochenende war im Anmarsch. Ein Grund zur Freude? Normalerweise ist das keine Frage. Doch dieses Mal erinnerte mich der Gedanke an Freizeit eher an die Abwesenheit von Ablenkung. Ablenkung von dem Fakt, dass ich nicht mehr einfach meine Freundin anrufen und mich mit ihr auf einen Kaffee treffen kann. Die Tatsache, dass ich nicht mit meiner Mama frühstücken werde und dass ich mit meinem Freund nicht mehr kuschelnd in seinem Bett liegen und eine Serie gucken kann. Ich werde nicht mehr Wochenenden in Berlin bei meinem Vater verbringen, nicht mehr mit meinen Brüdern kabbeln, nicht mehr mit meiner Mannschaft Spiele bestreiten. Viele Dinge, die mich in Deutschland glücklich gemacht und meine Freizeit gestaltet haben, hatten mit den wundervollen Menschen zu tun, die ich dort meine Freunde und meine Familie nennen durfte. Und da liegt das Problem. Diese Menschen sind nicht hier, wo ich bin. Ich hatte immer Angst davor, einsam oder verlassen zu sein. Ich wusste nicht, was das mit mir machen würde, ob ich das kann, mich alleine durchschlagen. Ob es mich das zu sehr herunterziehen würde. Auch das war einer der Gründe für mich ins Ausland zu gehen; mich meiner Angst zu stellen. Und hier bin ich nun.
Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, ein Wochenende lang NICHTS vorgehabt zu haben. Generell bin ich ein Mensch, der seine Zeit gerne verplant, sinnvoll nutzt und mit Menschen verbringt. Nur selten alleine. Aber dieses Wochenende musste ich mich wohl oder übel auch mal mit mir selbst auseinandersetzen. Also verabredete ich mit mir selbst. Freitag schnappte ich mir einen Reiseführer über Breslau und lief mit meiner Kamera ganz alleine durch Breslau. Ich war ganz überrascht, wie gut sich das anfühlte. Ganz bewusst nahm ich jeden Augenblick war, die schönen Häuser, die Gassen, die Menschen, die sich in den zahlreichen Restaurants unterhielten. Ich konnte in Ruhe fotografieren, ohne dass ich darauf Rücksicht nehmen musste, meinen, in diesem Fall nicht vorhandenen, Begleiter zu nerven oder aufzuhalten. Ich konnte selbst entscheiden, wohin ich als nächstes gehe, welches Gebäude ich betrete und welches nicht. Das genoss ich in vollen Zügen. Ich ließ mir sehr viel Zeit, ich bummelte in meinem Tempo.
Schließlich erreichte ich die Sandinsel. Der Weg dort hin führte über den Rathausplatz in der Altstadt, durch verschiedene Gassen, vorbei an der Universität, einer Kirche, einem Kloster, eine Ossoleum und einer Markthalle über eine rote Brücke. Auf der Insel selbst gab es noch mehr Kirchen, eine Bibliothek, Restaurants und so weiter. Dort erblickte ich dann eine große blaugrüne Brücke, die zu einer weiteren Insel führte. An der gesamten Brücke hingen Liebesschlösser. Hunderte! Paare, die keinen Platz mehr fanden, haben ihre Schlössel an andere Schlösser gehängt! Ich blätterte in meinem Reiseführer, diese Brücke muss doch irgendetwas Besonderes sein. Na was meint ihr, wie sie hieß? Die "Brücke der Verliebten" natürlich. An den Enden der Brücke standen Figuren von katholischen Heiligen, die diese Pärchen stärken und beschützen sollen. Ja, Polen ist wirklich seeeehr katholisch. Aber zurück zu mir. Während ich die fahrenden Schiffe auf Oder betrachtete, hörte ich wundervolle, romantische Musik. Ich sah zur Dominsel hinüber und erblickte einen Straßenkünstler, der Flöte spielte. Fasziniert hörte ich ihm zu und genoss die schöne Atmosphäre. Ganz gerührt von der Musik und dankbar für diesen schönen Moment, schenkte ich dem Künstler ein paar Zloty und ein Lächeln. Djiekuje bardzo!
Straßenkünstler gehören fest zu Breslau. Ob Musik, Kunst oder Entertainment, von allem ist etwas dabei. Ein weiterer Grund, diese Stadt zu lieben. Leider ließ mich die Musik auch an meinen geliebten Freund denken, was mir einen leichten Stich im Herzen verpasste. Also entschloss ich, besser weiterzuziehen. Auch auf der Dominsel gab es zahlreiche Kirchen und natürlich den Dom. Langsam dämmerte es schon und die Insel sah im gedimmten Licht der Laternen umso märchenhafter aus. Ich schoss meine letzten Bilder und ging zufrieden nach Hause. Das werde ich auf jeden Fall mal wiederholen!
Am Samstag nahm ich mir vor, schwimmen zu gehen. Dafür braucht man kein Polnisch, dachte ich. Maryna hatte mir ungefähr beschrieben, wo das Schwimmbad ist, also lief ich einfach drauf los. Ich wusste weder den Namen, noch die Hausnummer, wo sich das Schwimmbad befinden sollte. Ich lief die Straße herunter. Ein Mal, zwei Mal, drei Mal...aber ich sah kein Schwimmbad. Es musste ja so kommen. Fast eine Stunde irrte ich in der Gegend herum, entdeckte dabei noch einen schönen Park und die Oper, aber kein Schwimmbad. Dann endlich traute ich mich, mit meinen Brocken Polnisch, jemanden anzusprechen. Die Frau verstand mich nicht, also musste Pantomime herhalten und schwups, der Groschen fiel. Aaaah "basen"! Das heißt also Schwimmbad. Sie forderte mich auf, ihr zu folgen. Tatsächlich führte mich diese super nette Frau bis zum Schwimmbad, welches von außen eher an eine Bibliothek erinnerte. Die Empfangsdame sprach sehr schlecht Englisch, aber ich irgendwie schaffte ich es, ein Ticket für eine Stunde zu bekommen. Dann begab ich mich auf die Suche nach einer Umkleide, sah aber weit und breit keine. Ich suchte, bis ich einen Mann beobachtete, der einfach straight ins Schwimmbad ging, mit Klamotten. Aha! Die Umkleiden waren da drin. Doch vorher musste ich erstmal ein spezielles Armband einfordern und durch ein Drehrad (oder wie heißt das nochmal?). Endlich drin, sah ich überall Schilder, dass eine Badekappe Pflicht sei und ich hatte natürlich keine. Shit. Ich entschloss mich einen auf armen unwissenden Ausländer zu machen, falls mich jemand darauf ansprach. "Entschuldigen Sie, aber ich spreche kein Polnisch. Die Schilder? Nie widze. Nie widze. (Nicht gesehen!) Tut mir sooo leid."
Glücklicherweise war das nicht nötig. Doch als ich fertig geschwommen war erwartete mich das nächste Problem. Es gab zwei Duschen, rechts und links. Doch welche war die Richtige? Ich meine, keine Schilder mit "Mann" oder "Frau" gesehen zu haben. Also Augen zu und durch. Und natürlich lag ich falsch. Pissoirs begrüßten mich, immerhin besser als hämische duschende Männer. Ziemlich verzweifelt (warum ist das Leben als Ausländer nur so schwer?!), ging ich zum Bademeister und fragte ihn fast flehend, wo ich denn jetzt bitte duschen darf. Gott sei Dank konnte er Englisch. Total abgehetzt stürzte ich aus dem Bad. Ein Glück hatte ich die Stunde nicht überzogen. Nochmal über drei Euro zahlen für Bahnen schwimmen? Nein, danke. Trotz aller Schwierigkeiten ging ich glücklich und ein wenig stolz auf mich nach Hause.
Ich hatte meinen Mitbewohner Mattis gefragt, ob er mit mir kochen möchte und er war einverstanden. Also gingen wir gemeinsam einkaufen. Es stellte sich heraus, dass Schmand und Sahne das gleiche auf Polnisch heißt. Na super. Doch nach einer Schüttelprobe gelangten wir dann doch noch an unsere Sahne. Auch beim kochen konnten wir gut im Team arbeiten und uns gut unterhalten. Es ist schön jemanden hier zu haben, der das gleiche durchmacht und mit dem man sich über die Menschen in seiner Arbeit austauschen kann. Das Ergebnis war sehr lecker. Ein Dank geht auch an meine beste Freundin, die mir das Kochbuch geschenkt hat. Es ist einfach klasse! *-*
Abends hatte uns Lilla, die alte Dame aus der Tagesgruppe, eingeladen in die Evangelische-Deutsch-Polnische-Gemeinde zu einem Chor-Konzert. Warum es hier so eine Gemeinde gibt? Nun, aufgrund der Geschichte gibt es in Schlesien noch Deutsche Minderheiten. Auch Deutsch-Polnische Ehepaare besuchen hier Gottesdienste. Die Kirche ist sehr klein und ist mitten an der Straße. Doch davon bekommt man drinnen nichts mit. Sie hat eine tolle Akustik und ist bescheiden eingerichtet, aber stilvoll. Evangelisch eben. Das Konzert war ganz nett und erinnerte mich an meine Mama, die auch im Chor singt. Ein kurzer Moment der Traurigkeit und schnell wische ich den Gedanken wieder weg. Hilft ja nichts. Eigentlich hatte ich vor allem darauf gehofft, hier in der Gemeinde junge Leute zu treffen, mit denen ich mich anfreunden könnte. Doch leider Fehlanzeige. Naja, ich war dennoch dankbar, den Abend nicht alleine zuhause verbringen zu müssen und genoss die Musik. Jede Ablenkung ist eine gute Ablenkung.
Am Sonntag besuchte ich das 750-jährige Jubiläum der Gemeinde. Ein neuer Versuch, Leute kennenzulernen. Wie immer, war ich spät dran. Als ich ankam, sang ein wundervoller Chor, bestehend aus JUNGEN (Jipiiie!) Menschen, schon vor dem Gebäude. Schüchtern ging ich hinter ihnen in die volle Kirche. Überall waren Fotografen und Kameramänner, die Besucher waren schick angezogen. Angemessen zum 750-jährigen Jubiläum. Der Gottesdienst war sehr schön, was vor allem am Chor und den Liedern lag. Die Predigt war leider nur auf Polnisch und Gottesdienst auf Polnisch bedeutet ständiges Aufstehen, Hinsetzen, Aufstehen, Hinsetzen...nach ganzen zwei Stunden war er dann vorbei.
Unschlüsslich stand ich auf und sah mich um. Plötzlich sprach mich ein Herr auf Polnisch an und ich antwortete mit dem meinem Standard-Satz: "Ja mowie troche po polsku!" Sofort wechselte er in Deutsch, stellte sich mir als Torsten (ja, so wird der Name hier geschrieben) vor und wollte sofort meine Nummer haben, um mich mit anderen Leuten in Kontakt zu bringen. Es stellte sich heraus, dass er eigentlich in Deutschland lebt, aber mit Leuten in dieser Gemeinde befreundet ist und sie hin und wieder besucht. Er stellte mich mehreren Leuten vor, unter anderem seiner Freundin Sylwia aus Oppeln, deren Nummer ich auch sofort bekam, sie wollte mich mit ihrer Freund in Breslau in Kontakt bringen. Beide baten mich, unbedingt zum Festessen mitzukommen. Also lenkte ich ein und begleitete sie.
Das Essen fand in einem großen Saal in einem Hotel statt. Am Eingang bekam ich eine Kerze geschenkt und ich wurde der Tochter des Diakonen vorgestellt. Leider hat die Gemeinde keine Jugendgruppe, aber der Diakon hat jetzt ebenfalls meine Nummer und wollte mich kontaktieren, wenn es Veranstaltungen in der Gemeinde gibt. Das Essen war sehr gut und ich war glücklich, in Gesellschaft zu sein. Torsten erzählte mir von dem schönen Weihnachtsmarkt in Breslau und dass die Polen keine Feuerzangbowle kennen. Er will aber mal so einen Abend veranstalten und mich einladen. Gerne! :D Von Sylwia erfuhr ich mehr über die Deutsche Minderheit in Oppeln und dass es in Breslau einen Deutschen Stammtisch gibt. Nach vielen gehaltenen Reden und den leckeren Nussecken zum Nachtisch ging ich zufrieden nach Hause.
Dort traf ich noch meine zweite Metorin, Iza. Sie hat zwei Kinder und möchte, dass wir mit ihnen etwas unternehmen. Sie fragte uns nach unserem Befinden und gab uns gute Tipps für die Stadt Breslau. Eine sehr liebe Frau, die ebenfalls sehr gut Deutsch kann.
Ich bin sehr dankbar für so viele gastfreudliche Menschen, die mir das Einleben hier erleichtern wollen. Mein erstes Wochenende in Breslau war vielleicht nicht super spektakulär, aber für mich trotzdem ein Erfolg. Und ich bin gespannt darauf, wie es weitergehen wird!
Hier der Link zu meinen Fotos von dem schönen Breslau: https://www.flickr.com/gp/97906113@N02/27jhL6