Dö Dö Döööö Dö Dö Döööö Dööö Dööö…
Falls ihr euch über den Titel wundert, er ist mit Abstand meine prägnanteste Erinnerung an das Juniorleitertraining, das ich mit vorbereitet, mit durchgeführt und ganz und gar erlebt habe!
Ich schloss meine Augen, um zu testen, ob das die Übelkeit verbessert.
Nein, es wird nur noch schlimmer.
Ich saß, zwischen zwei irischen Freiwilligen und den Vorräten für eine 40-köpfige Gruppe für das dreitägige Juniorleitertraining eingeklemmt in einem winzigen Auto, dass sich gerade die Serpentinen zum Jugendhaus hochkämpfte.
Auf meinem Schoß wurde ein Großteil der Süßigkeitenvorräte für die gesamte Gruppe aufgestapelt.
Mich zu übergeben wäre also ungünstig…
Die Polizei fuhr die gesamte Strecke hinter uns und ich erwarte jeden Moment, dass sie uns wegen extremer Überlastung des Autos heraus winken würde, das tat sie aber (glücklicherweise? Unglücklicherweise?) nicht.
Endlich erreichten wir das Jugendhaus, in dem wir die nächsten drei Tage das Juniorleitertraining abhalten würden.
Das Juniorleitertraining richtet sich an die 15-16-Jährigen Jugendlichen im Jugendzentrum. Es gab schon ein Jugendleitertraining im Mai und es werden verschiedene weitere Trainings im Laufe des Jahres folgen. Die Jugendlichen werden darin ausgebildet, neue Verantwortungen im Jugendzentrum zu übernehmen.
Dafür werden verschiedene Workshops angeboten. Zum Beispiel gibt es Workshops zu Themen wie Kinderschutz, aber auch gruppenbildende Workshops und ähnliches.
Für dieses Training hatte ich mit einer anderen Freiwilligen einen Workshop zum Thema Vielfalt vorbereitet und ich war schon ganz aufgeregt.
Das Auto hielt und ich purzelte aus dem Auto, an die frische Luft und auf den festen Boden.
Ich setze mich auf das nasse Gras.
Immer noch drehte sich alles.
Aufgeregte Jugendliche und andere Freiwillige schnatterten meinen Betreuer zu. Warum waren sie schon da?
Sie müssen doch nach striktestem irischen Gesetz mindestens eine halbe Stunde nach verabredeter Zeit kommen!
Ich wurf einen Blick auf mein Handy.
Oh, wir waren fast eine Stunde zu spät.
Achso…
Langsam gewöhnten sich meine Ohren an die höhere Lage des Jugendhaus und ich konnte wieder hören.
Allerdings sprachen alle Jugendlichen und Freiwilligen so schnell und so gleichzeitig, dass ich sowieso nichts verstehen kann.
Ich betrachtete das Haus. Wirklich einladend sah es nicht aus, es war ziemlich alt, außerdem war ein Fenster eingeschlagen.
Ich beschloss, es mir von innen anzusehen und verstand sofort nach dem Betreten, was das Problem war: Das gesamte Haus war mit einem feinen, aber dicken, weißen Staub bedeckt!
Andere Freiwillige gesellten sich neben mich und alle schüttelten im Gleichtakt den Kopf.
Schließlich fasste sich ein Freiwilliger ein Herz, schnappte sich einen Wischlappen und murmelet, dass es ja nur weißes Pulver ist und schon nicht giftig sein wird.
Aus meinem Chemie-LK wusste ich, dass es ziemlich viele weiße Pulver gibt, die verdammt giftig sind, widersprach aber nicht, weil ich die englischen Namen für die Chemikalien nicht wusste, sondern suchte mir ebenfalls einen Lappen.
Nach und nach folgten uns die anderen Freiwilligen.
Es folgen fünf Stunden Putzen. Trotz meiner Todesangst (ich konnte noch nicht einmal Handschuhe für mich organisieren!) registrierte ich doch einige der unzähligen Putztechniken, die in diesen fünf Stunden entwickelt wurden.
Die Technik, alles unter die Ablagen zu kehren, kollidierte leider mit der Technik, die Tür zu öffnen und alles schnell heraus zu kehren, denn mit einem Windstoß wird jeglicher unter den Ablagen aufgefegter Staub wieder aufgewirbelt (übrigens wird auch der Staub wieder hinein geweht, der gerade eben aus der Tür heraus gefegt wurde).
Es kam fast zu einer Prügelei zwischen den Verfechtern der „Wir-fegen-zuerst-den-Boden-damit-der-Staub-nicht-in-andere-Zimmer-getragen-wird-Strategie“ und den Anhängern der „von-den-regalen-auf-die-Ablagen-und-von-den-Ablagen-auf-den-(seltsamerweise frisch geputzten)-Boden-fegen-Technik“.
Ich entsorgte meinen aufgefegten Staub immer im Waschbecken, weil ich durch Löslichkeitsversuche versuchen wollte, dem Geheimnis dieses mysteriösen Pulvers auf die Schliche zu kommen.
Endlich wurde das letzte Korn aufgefegt, doch leider wusste ich immer noch nicht, ob ich jetzt sterben musste, weil ich das Pulver aufgefegt hatte (ich wusste nur, dass es nicht wasserlöslich war. Nicht das kleinste bisschen.)
Ich suchte nach einem Feuerzeug, um die Flammenfärbung zu beobachten, wenn man das Pulver hineinstreut, beziehungsweise um zu sehen, ob es überhaupt brennbar ist. Vielleicht würde mich das weiter bringen.
Ich konnte aber keines finden, deswegen begann ich, dass bestaubte Geschirr zu spülen.
Ein anderer Freiwilliger stellte sich neben mich um mir beim Abtrocknen zu helfen.
„Glaubst du, dass das Pulver brennbar ist?“, versuchte ich ein Gespräch zu beginnen.
„Feuerlöscherpulver?“, fragte er mich erstaunt.
Anscheinend wussten alle, dass jemand eingebrochen ist und aus Spaß den Feuerlöscher ausgelöst hatte.
Hätte ich doch nur einmal nachgefragt, dann wären mir fünf Stunden Todesangst erspart geblieben…
Pünktlich zum Schluss unserer Putzarbeiten kam der Besitzer des Hauses, um uns seine Hilfe anzubieten.
Die konnten wir jetzt nicht mehr gebrauchen.
Schnell bereitete jeder sein Abendessen zu. Es gab am ersten Tag kein gemeinsames Abendessen, sondern jeder brachte sich etwas mit.
Da in Irland das Abendessen die Hauptmahlzeit ist, kämpfte eine Masse Jugendlicher um den Herd und die Mikrowelle, um ihr Fastfood zuzubereiten.
Glücklich wärmte ich meine selbstgemachten Gemüsebratlinge im Backofen auf.
Natürlich bot ich sie den Jugendlichen an, jedoch wurden sie meist mit zweifelnd ablehnenden Blicken abgelehnt.
Es wäre ja eigentlich gar nicht so schlimm, ein paar Minuten warten zu müssen, bis man seine Pasta aufwärmen könnte.
Noch glücklicher verwahrte ich die restlichen Bratlinge im Kühlschrank. Ich konnte mir sicher sein, dass keiner sie stibitzen würde.
Am Abend fand noch ein Workshop statt, dann plumpste jeder todmüde in sein Bett.
Jeder?
Nein, Betten gab es nur für die Kinder, nicht für die Freiwilligen.
Ich baute mir aber ein Kissenbett auf dem Boden, das mindestens genauso bequem wie ein richtiges Bett war.
Am nächsten Morgen wurde ich liebevoll durch den Saxophon-Song, der auf höchster Lautstärke aus dem CD-Spieler dröhnte, geweckt.
Eigentlich ist der Song furchtbar, aber auf dem gesamten Training wurde er zu einem richtigen Hype und wenn er gespielt wurde, fing jeder an, zu tanzen, zu hüpfen und zu singen.
Dazu war ich allerdings noch zu müde.
Ich suchte mir mein Frühstück zusammen und mümmelte mich auf ein Sofa. Wieder gab es kein gemeinsames Frühstück, irgendwie haben es die Iren nicht so mit gemeinsamen Mahlzeiten…
Danach gab es wieder einen Workshop, dann Mittagessen (wieder irgendwie jeder für sich.)
Nach dem Mittagessen gab es einen Outdoorworkshop, den vier irische Freiwillige organisiert hatten. Draußen war es kalt und regnerisch, aber mit dem legendären Saxofonsong konnten wir die Jugendlichen (und uns!) motivieren. Dö Dö Döööö Dö Dö Döööö Dööö Dööö…
Wir wurden in Gruppen eingeteilt und mussten verschiedene Übungen in der Gruppe durchführen, zum Beispiel eine Brücke aus Steinen über einen Bach zu bauen, ohne ins Wasser zu fallen oder einen Luftballon mit einem Rechteck aus Fäden aus einem Tümpel fischen.
Müde kehrten wir ins Jugendhaus zurück, jeder bekam einen Teller voll Pasta (und nein, wir haben uns nicht alle um einen Tisch gesetzt und sie gemeinsam gegessen).
Danach sollte Graces und mein Workshop stattfinden.
Die Jugendlichen schauten uns zweifelnd an, als wir sie aufforderten, nach draußen zu gehen.
Also: Dö Dö Döööö Dö Dö Döööö Dööö Dööö… Jubelnd hüpften die Jugendlichen in einer langen Polonaise nach draußen und bildeten einen großen Kreis .
Dann lasen wir verschiedene Eigenschaften und Aktivitäten vor, zum Beispiel: Alle, die Linkshänder sind, gehen bitte in die Mitte des Kreises und singen „Happy Birthday“.
Danach gingen wir wieder in das Haus und sprachen kurz darüber, wie es sich angefühlt hat, in der Minderheit oder in der Mehrheit zu sein.
Danach habe ich ein Quiz in der Art von „Who wants to be a millionaire“ vorbereitet. Die Jugendlichen traten in zwei Teams gegeneinander an. Besonders die Fragen, bei denen sie Bilder von (deutschen, also den Jugendlichen unbekannten) Prominenten und bestimmte Eigenschaften wie „ist schwul“, „kommt aus Polen“, „hat Diabetes“, „ist blind“, zueinander zuordnen sollten, erregten Überraschung und erstaunen. Viele wollten gar nicht glauben, dass Balian Buschbaum transgender ist!
Dann teilten wir die Jugendliche in verschiedene Gruppen ein, denen wir jeweils ein Thema (z.B. Transsexualität) oder eine Situation (z.B. ein Jugendlicher im Rollstuhl schaut euch beim Fußballspielen zu) gaben, die sie irgendwie kreativ darstellen mussten.
Die Jugendlichen hatten tolle Ideen und wir haben uns schöne, lustige, aber auch traurige und bewegende Rollenspiele, Tagebucheinträge, Texte und Poster ansehen und anhören dürfen.
Ich war begeistert, wie sehr sich die Jugendlichen auf die Themen eingelassen haben, obwohl sie ihnen zu Anfang häufig so fremd waren.
Danach brachen wir zu einer Nachwanderung auf. Es war eiskalt und leider war es auch bewölkt, aber trotzdem war es wunderschön.
Wir legten uns auf die Wiesen und es war sehr windig, weshalb die Wolken geradezu über den Himmel brausten. Wir hatten sogar sehr tiefgehende Diskussionen darüber, ob es nur wegen den dahinziehenden Wolken so aussieht, als ob sich die Sterne bewegen würden oder ob sie es wirklich tun (wir waren wirklich sehr müde…)
Als wir wieder in der Jugendherberge ankamen, sahen wir uns noch einen Film an.
Naja, das war wohl gelogen, die meisten von uns sind innerhalb der ersten paar Minuten auf irgendeinem Sofa oder sogar auf dem Boden eingeschlafen…
Am Mittwoch war noch ein kurzer Workshop, dann reisten wir ab. Davor mussten wir natürlich wieder putzen und spülen…
Das Waschbecken war irgendwie ständig verstopft und ich hoffe sehr, dass das nicht an meinen Löslichkeitsversuchen liegt!
Im Auto kam es mir so vor, als ob es noch voller wäre als auf der Hinfahrt, obwohl wir doch so viel gegessen haben…
Als wir endlich zuhause ankamen, plumpste ich nur noch ins Bett. Ich hatte in beiden Nächten zusammen genommen nur etwas mehr als vier Stunden Schlaf bekommen. Eigentlich wollte ich nur kurz einschlafen, aber ich schlief bis spät in den Abend hinein, sagte dann kurz meiner Gastmutter Bescheid, dass ich noch lebe, und legte mich dann wieder ins Bett, um am nächsten Morgen mit
einem furchtbaren Ohrwurm aufzuwachen. Der Saxofonsong!
Ich werde ihn wohl nie mehr aus meinen Ohren heraus bekommen…
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