Die Wintersonne von Nieborow
Johannson muss mal raus. Das Chaos von Lodz ist nichts schlechtes, aber er sehnt sich nach etwas harmonischem, ländlichem. Deswegen steht am Sonntag ein Ausflug auf dem Programm.
Es ist ein Drama. Seit einem Monat bin ich hier und habe weder Wohnung noch eine einzige Reise vorzuweisen. Ich mag das Chaos von Lodz, aber ich muss mal raus, habe Lust auf Land, auf etwas kleines, übersichtliches, harmonisches, harmloses, einen Tag nur. Auf meinem ersten Besuch vor eineinhalb Jahren war ich mal in Lowicz, einem hübschen Städtchen nördlich von Lodz. Ich weiß, in der Nähe sind noch ein Schloss und ein toller Park, heute soll es mal ersteres werden.
Frühe Vögel
Es ist Sonntag, ich muss früh raus und habe nichts zu essen im Haus. Nur los. Ich jage die leeren Hauptstraßen hinunter, von der Kälte bekommt man Kopfschmerzen. Am Busbahnhof bin ich viel zu früh, aber kann noch etwas die Gegend erkunden. Durch Zaunlöcher zum Eisenbahnhof, auf dem ich damals umsonst auf den Zug nach Lowicz wartete, dafür aber diese Kunststudentin kennen lernte. Hier stehe ich oberhalb des Busbahnhofs; sein Dach strahlt. Die Stadt ist noch leer, aber die Sonne scheint bereits und erleuchtet den Morgendunst. Hinter dem Bahnhof, am Stadion, finde ich einen Markt. Für den muss man sogar Eintritt zahlen. Vor dem Tor werden Welpen verkauft, innen nur Kleidung, die Gänge nehmen gar kein Ende. Warum wird Goralen-Käse immer nur an Schuhständen verkauft? Mit nur einem Baguette im Magen kehre ich um. Wie vor anderthalb Jahren klingt am Busbahnhof immer noch Vogelgezwitscher aus den Lautsprechern.
Das Schloss von Nieborow
Das Baguette weckt nur den wirklichen Hunger, erst in Lowicz finde ich offene Läden. Dafür fahren alle Busse viel schneller als erwartet und ich kriege auch gleich den Anschluss, sodass ich weit früher in Nieborow ankomme, direkt vor dem Schloss (http://www.nieborow.art.pl/). Viel mehr ist da auch gar nicht, außer einer Tankstelle und einem in die Wiese geknallten Fertigbau-Hotel, im Plastiklook auf historisch gemacht, wie so vieles hier.
Das Schloss ist echt. Ein wunderbar friedlicher Anblick, eine klare Fassade mit Türmchen auf jeder Seite, umgeben von viel Grün. Die alten Bäume werfen ihr buntes Laub auf den noch immer grünen Rasen entlang des Weges. Innen haben die ehemaligen Besitzer ihre Kunstsammlungen aus zwei Jahrtausenden untergebracht, römische Büsten, alte Globusse, Bibliothek, das Treppenhaus voll verkleidet mit holländischen Kacheln. Das unvermeidliche Hochzeitspaar zieht mit Fotografen durch die Räume, grüner Salon, blauer Salon, weißer Salon, rotes Schlafzimmer. Alles so schön harmonisch, so ruhig, und aus jedem Fenster der herbstliche Park in der Sonne.
Schlosspark mit Prinzessin
Mittendrin erfahre ich, dass die große Monika nebst Eltern selbst grad im Park ist, die wohnen in der Nähe. Ein Nachmittag im Grünen mit Menschen. Die Wintersonne scheint aus einem blassblauen, wolkenlosen Himmel auf den englischen Landschaftspark. Vom der Mitte des Schlosses führt ein gerade Schneise durch die Bäume und leitet den Blick auf die Felder dahinter, wie damals auf Gibside. Wir spazieren langsam zwischen den Teichen, unter den Bäumen, zur Orangerie, zurück zum Schloss. Dann werde ich zum Essen eingeladen und zu guter letzt natürlich nach Lowicz zum Bus gefahren. Der ist bereits voll und ich muss die gesamte Rückfahrt stehen, während ich merke, dass ich morgen krank sein werde.
Die Straßen von Lodz
In Lodz ist es dunkel und noch kälter. Trotz meiner Gesundheit kann ich einer Kirche auf dem Weg nicht widerstehen. Ein Mann in weißem Seidenleibchen hält einen rosa Rosenkranz hoch, an der Seitenkapelle steht ein offenbar wandernder Mönch... sind das Franziskaner? Später erfahre ich, heute ist Pilgergottesdienst. Die Stimme des Pfarrers hallt durch das Schiff, so muss das sein. Ein Mädchen tritt in schwarzem Mantel ans Pult und singt eine wunderschöne Stimme durch die kalte Kirchenluft.
Ich halte noch kurz im Cafe Hort. Das war mir nicht umsonst im Gedächtnis geblieben. Sehr lecker, sehr grün; Bäume wachsen direkt durch die Decke. Dazu unbeschreibliche Musik der Marke Sinatra auf Keyboard. Nur die Mitarbeiter sind so kühl wie beim ersten Besuch. Auf der leeren Straße spielt ein einsamer Musikant in der Kälte. Manchmal scheint sich Lodz überraschend viel von seiner Herkunft im brutalen Kapitalismus des 19. Jahrhundert erhalten zu haben.
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