Die Türkei und Europa – Wie wahrscheinlich ist ein EU-Beitritt noch?
Die Beziehung zwischen der Türkei und Europa, besonders Deutschland, verschlechtern sich täglich, und Politiker beider Seiten drohen mit dem Abbruch der Verhandlungen – Aber warum zieht es niemand durch? Und was bedeutet das für junge Deutsch-TürkInnen?
Im Fernsehduell zwischen Angela Merkel und Martin Schulz zur kommenden Bundestagswahl kam es kürzlich zu harten und klaren Aussagen: Mit Schulz als Kanzler werden die Verhandlungen mit der Türkei abgebrochen, zu viele Deutsche seien in letzter Zeit willkürlich inhaftiert worden, die Situation gerät außer Kontrolle. Spannungsreich waren die europäisch-türkischen Beziehungen seit langem, und trotzdem hat bislang nur Österreich auf einen Abbruch der Beitrittsverhandlungen gedrängt und steht damit –bis jetzt- alleine dar. Wird sich die deutsche Politik anschließen?
Ein kurzer Rückblick: Seit 1999 ist die Türkei offizieller Beitrittskandidat und seit 2005 laufen konkrete Beitrittsverhandlungen, doch die gemeinsame Geschichte reicht viel weiter. Die Türkei gehört historisch zu Europa, das Osmanische Reich reichte in seiner Blütezeit bis nach Wien und umfasst den heutigen Balkan und Griechenland, auch in der neueren Geschichte wurden durch die Gastarbeiter die Beziehungen intensiviert. Unter der Präsidentschaft von Recep Tayyip Erdogan hatte sich die Türkei in ihrer Politik und Wirtschaft stark den europäischen Normen angepasst, was zu einer großen Liberalisierungswelle führte und demokratische Rechte stärkte.
Dass die Beitrittsverhandlungen sich allerdings dermaßen in die Länge zogen lag hauptsächlich daran, dass es immer noch viele Konfliktpunkte (Zypern, Kurden, Griechenland) gab, deren Lösung nicht zu leicht zu erreichen war. Die widersprüchliche und zögerliche Haltung der Europäischen Union in den Verhandlungen sorge für großen Unmut auf türkischer Seite, gerade auch weil andere Länder viel schneller aufgenommen wurde, die auch nicht allen Kriterien entsprachen. Der Kurswechsel des türkischen Präsidenten ist aber sicherlich noch durch andere Faktoren zu erklären: Vielleicht hat er auch die EU-Annäherung instrumentalisiert, um sich Unterstützung größerer Gruppen im Land zu sichern und so eher aus politischen Kalkül als aus idealer Überzeugung gehandelt.
Die Türkei heute zeichnet sich eher durch einem neo-osmanischen, stark religiösen und repressiven Kurs aus. Politische Oppositionelle, Minderheiten und Journalisten werden unterdrückt, unrechtmäßig verhaftet und verurteilt und ist die Situation der Menschenrechte in der Türkei mehr als alarmierend. Den Grundwerten der Europäischen Union, welche in den Kopenhagener Kriterien festgehalten sind, entspricht das nicht mehr – Werten wie Achtung der Menschenrechte, Schutz von Minderheiten und die Einhaltung demokratischer und rechtsstaatlicher Prinzipien.
Die Beitrittswahrscheinlichkeit wird immer geringer, und trotzdem brechen die Gespräche offiziell nicht ab, warum?
Zu einem Abbruch der Beitrittsverhandlungen benötigt es die Zustimmung aller Mitgliedsstaaten – Ein sehr unrealistisches politisches Szenario, weil viele Länder von der Beziehung mit der Türkei profitieren. Vor allem im wirtschaftlichen Sinne: Die Türkei ist neben Russland und China einer der größten Export/Import-Partner der EU, und da sich immer noch viele Länder, gerade die südeuropäischen, in einer schwierigen ökonomischen Lage befinden wollen sie den großen Absatzmarkt Türkei nicht verlieren.
Ein weiterer großer Punkt ist das Interesse Europas in Fragen von Flucht, Migration und Terrorprävention: Durch den Türkei-Europa-Deal 2016 dient die Türkei mehr oder weniger als "Türsteher" Europas, der Flüchtlinge aus dem Nahen Osten aufhalten soll. Ein Bruch des Abkommens wäre vor allem nicht im Interesse der Balkanstaaten, die dann wieder mit massiven Fluchtwellen über den Landweg rechnen müssen.
Auch die Einbindung der Türkei in die NATO, die intensiven Beziehungen zu den USA und jetzt auch zu Russland machen das Land auf zwei Kontinenten zu einem gewichtigen Spieler in der internationalen Politik- Und so können die Verhandlungen nicht einfach abbrechen. Auch ist es Konsensus unter europäischen Politiker, dass Verhandlungen immerhin noch eine Art Dialog darstellen und so ein Abbruch nicht förderlich, sondern eher im Gegenteil einen politischen Eklat verursachen würden.
Aber eine der Hauptursache für die anhaltenden Gespräche sind die Menschen, die Europa und die Türkei verbinden: Europäer mit türkischen Wurzeln. Gerade in Deutschland mit circa 3 Millionen türkischstämmigen Menschen und einer ganzen Generation von jungen Deutsch-TürkInnen wäre ein Abbruch ein fatales Zeichen: Es würde auch das Ende einer Perspektive für diese jungen Menschen bedeuten, nämlcih der, beide Nationaliäten ausleben zu können und überall akzeptiert zu sein. In vielen Fällen ist dies nicht gelungen, wie mir Freund mit deutsch-türkischem Hintergrund zeigen: Gerade für die Jugend ist es wichtig, Integration vorlebt zu bekommen und eine ehrliche Annäherung an die muslimische Türkei wäre der Beginn eines Dialoges. Auch wenn die momentane politische Lage in der Türkei sehr schwierig ist, darf der menschliche Kontakt nicht abbrechen und vor Allem darf eine deutsch-türkische Generation nicht in eine moralische Entscheidungsfrage gedrängt werden.