Die Sache mit den Vorurteilen
Ich glaube, wenn wir ehrlich sind, dann hat sie jeder von uns: Vorurteile. Zwei von ihnen sind mir direkt in den ersten Tagen hier begegnet, zwei weitere hab ich schon viel zu oft gehört und darf sie nach einer Woche in Spanien endgültig widerlegen.
"Wie du siehst: Du bist sozusagen das perfekte Klischee einer deutschen Freiwilligen!", sagte mein Mentor an meinem ersten Tag in einem gebrochenen Mix aus Deutsch und Englisch zu mir, als wir darüber sprachen, welche Freiwilligen in den Jahren vor mir schon in meinem Projekt waren und wie der Bewerbungsprozess in diesem Jahr aussehen wird, wenn wir Freiwillige mithelfen, die beiden Freiwilligen für nächstes Jahr auszuwählen. Klischees, Vorurteile, typische Merkmale - wer in ein anderes Land geht, dem bleibt nichts anderes übrig, als darüber nachzudenken, inwiefern sie stimmen und inwiefern wir ihnen vielleicht selbst entsprechen.
Auf meinem deutschen Vorbereitungsseminar haben wir uns einen ganz tollen Tedx Talk angesehen, indem es in der Kurzfassung darum geht, wie hinter jedem Vorurteil vermutlich auch etwas Wahrheit steckt - aber eben nur etwas. Vor allem zeigen sie aber nur eine einzige Seite von einer viel komplexeren und abstrakteren Sache. Warum ich angeblich dem perfekten Klischee einer deutschen Freiwilligen entspreche, wie Vorurteile zustande kommen und welche ich hier nis jetzt widerlegen konnte - all das habe ich in der letzten Woche erfahren. Da waren Vorurteile, von denen ich gar nicht wusste, dass es sie gibt, und andere Vorurteile, die ich so oft gehört habe und die hier mal so gar nicht der Wahrheit entsprechen.
Deutsche Freiwillige haben meist gerade erst Abi gemacht.
Ich bin im Mai 18 geworden, meine französische Projektpartnerin einen Monat später 24. In meinem Projekt sind wir nicht die ersten mit der Länder- und Alterskombination: Mein Mentor konnte mir so erzählen, dass die französischen Bewerber meist bereits einen Uniabschluss haben, während die deutschen Bewerber eher direkt von der Schule kommen. Das schließt natürlich nicht aus, dass im nächsten Jahr ein deutscher Freiwilliger mit Uniabschluss genommen wird, aber dennoch glaube ich schon, dass etwas Wahrheit dahinter steckt: In Deutschland ist so ein "Gap Year" ja immer üblicher gewesen - egal ob Work & Travel, Praktika, FSJ oder eben EVS - und zwar eher nach dem Abitur als nach dem Bachelor und Master.
Deutsche Freiwillige sprechen meist gut Englisch.
Mit meiner Projektpartnerin spreche ich noch einen Englisch-Spanisch-Mix, der manchmal nicht über mehr Themen als Essen und Wetter hinausgeht, weil es dafür einfach noch nicht reicht. Ich hatte Englisch-Leistungskurs, mein Englisch ist recht gut und bedeutend besser als mein Spanisch, meine Vorgängerin in meinem Projekt hat mir mal erzählt, dass sie ein englisch-spanisches Sprachtandem gemacht hat. Ich vermute, dass es auch ein wenig daran liegt, dass es für meine französische Projektpartnerin beispielsweise mitunter einfacher ist, Spanisch zu verstehen, weil die Sprache ihrer Muttersprache ähnelt - was man bei mir eher weniger sagen kann.
In Spanien und Frankreich wird selten Englisch gesprochen.
Wenn ich in Deutschland erzählt habe, dass ich noch gar kein Spanisch spreche, war die Reaktion darauf meist, dass ich mit Englisch hier wohl nicht so weit kommen würde. Hier habe ich aber eher das Gefühl, dass die Spanier so gerade Englisch für sich entdecken: Viele in meinem Projekt sprechen entweder wirklich gutes Englisch oder belegen jetzt noch einen Kurs. Unter den Jugendlichen habe ich auch eher das Gefühl bekommen, dass sie sich freuen, mal Englisch sprechen zu können: Wenn ich bei Vorstellungsrunden auf Englisch zurückgreifen muss, dann findet sich meist auch jemand, der für ein geplantes Erasmussemester noch einen englischen Sprachtest machen muss, oder jemand, der mal eine Zeit lang in England gelebt hat, und sich freut, die Sprache mal wieder zu sprechen. Auch wenn das für mich nicht immer ganz super ist, bin ich doch hier, um Spanisch zu lernen, bin ich dann manchmal doch heilfroh, einfach mal drauflos reden zu können.
In Deutschland ist alles so bürokratisch.
Wie oft regt man sich in Deutschland darüber auf? Nach einer Woche in Spanien habe ich bereits das Gefühl, in meinem ganzen Leben noch nicht so viele Papiere unterschrieben zu haben wie in Deutschland. Die unnötigsten Dinge müssen hier noch einmal ausgedruckt, eingetragen und unterschrieben werden, stundenlang darf vor Büros auf Unterschriften von Vorgesetzten gewartet werden. Deutschland ist vielleicht bürokratisch, aber nach einer Woche in Spanien weiß ich auf jeden Fall, dass dies für mich bis jetzt das Land mit dem meisten Papierkram ist.