Die letzten zwei Monate
Die neue Leiterin in Freddys Projekt ist ein wenig gewöhnungsbedürftig und so ist die Arbeit in Schottland zurzeit nicht so erfreulich. Vielleicht ist dies aber auch eine gute Gelegenheit für Veränderungen.
„[...]werde ich bestimmt bald neues zu Berichten haben!“
Sobald war es leider nicht, obwohl ich viel zu Berichten habe. Ich fange mal mit einem generellen Rückblick auf die letzten zwei Monate an.
Cath, unsere neue Managerin kam also und es passierte erstmal nichts. Alle hatten große Erwartungen, da wir seit Anfang November keinen Manager mehr hatten und auch nur zwei einwöchige Stays. Wir, die Freiwilligen, haben die Zeit ohne Streit oder größere Auseinandersetzungen untereinander überstanden, was meines Erachtens eine bemerkenswerte Leistung ist!
So kam Cath und das erste was sie sagte war: „Die Priorität für mich ist Geld [für Braendam] zu machen, dann kommt der Staff“. Das hieß für uns erst einmal wieder Nichtstun. Hazel wurde quasi entmachtet und wir hingen den Januar so rum. Sie hat von Tag zu Tag versucht, uns loszuwerden, so hieß es, wir dürfen das Auto nehmen und irgendwo hinfahren, dann hieß es, wir könnten doch alle nach Hause fahren, dann hieß es, es ist ihr total egal, was wir machen, dann hieß es... aber wenn man es dann genau wissen wollte kam nie eine vernünftige Antwort. So haben wir zwar jeden Tag irgendwas gemacht, konnten aber nie planen, da sie dann doch eine kleine Aufgabe hatte und wir nicht wegkonnten. Hazel hatte dann mit ihr gesprochen und wir durften definitiv das Auto nehmen und irgendwo hinfahren. Als wir drei bis vier Tagestouren geplant hatten und von der ersten auf Moffat wiederkamen wurde es doch wieder geändert. Auch das erwartete one-to-one kam nie zustande, da sie wichtige Telefongespräche führen musste. Meiner Meinung nach hat diese Frau in den ersten Monaten alles getan, nicht gemocht zu werden. Als sie sagte, dass es möglich sei, dass wir bis April keine Familien haben, sagte ich ihr, dass ich dann entweder das Projekt wechsle oder abbräche, worauf sie nur erwiderte: „Joa, ist dann halt so“. Ich habe deshalb mit Sabrina von Via e.V. gesprochen und sie meinte, dass ein Projektwechsel sehr, sehr schwierig sei. So musste ich zwischen dableiben und nach Hause gehen wählen. Da ich mir aber dachte, dass ich mir von so einem Menschen nicht mein Projekt verderben lasse und ich zu Hause auch eher rumsitzen würde bin ich geblieben. So habe ich mich weiter durchgeschlagen, Cath befand grundsätzlich alles für schlecht, was wir taten und wie wir mit den Familien arbeiteten und an sich müsste man ja ihrer Meinung nach eh alles ändern. Sie bemerkte auch öfters, dass wir ja auch keine ausgebildete Arbeiter seien und das ja nicht so gut sei. Am 13. Februar kam dann der erste Stay für Cath und sie sah zum ersten Mal, wie wir arbeiten und wie ein Stay funktioniert. Danach hatte sie sich dafür entschuldigt (beim Board, nicht bei uns), dass sie einiges falsch eingeschätzt hatte, zum Beispiel könnte Wendy nicht alles das alleine machen, was Brian, Dee und Hazel vorher getan haben und das wir nicht so grottenschlecht sind, sondern uns die Familien alle eine „excellent“ auf ihren tollen neuen Fragebögen gegeben haben.
Ich will mich auch gar nicht weiter über sie aufregen. Wie man vielleicht merkt, sind ich und Cath nicht die besten Freunde und werden es wohl auch nie werden. Sie hat zwar auch gute Ideen, nur keinerlei Menschenkenntnis oder Personalführungsqualitäten, diese vernünftig zu vermitteln.
Wir haben jetzt zwei neue Mitarbeiter, so dass die Kompetenzen besser verteilt und geteilt werden können. Ich denke, es wird alles besser!
Vielleicht liegt es auch einfach an der Gesamtsituation. Eine innere Stimme in mir sagt, dass es mal wieder Zeit für Veränderungen ist und vielleicht hat sich das hier ausgereizt, vor allem nach dieser langen Durststrecke ohne Familien. Ich habe in den letzten Wochen viel Zeit damit verbracht, über meine Situation und meine Zukunft nachzudenken und habe gemerkt, dass nach Schottland zu gehen eine der besten Entscheidungen meines Lebens war (so viele größere eigene Entscheidungen habe ich ja auch noch nicht getroffen), dass es aber langsam Zeit für etwas anderes wird. Das fängt bei den kleinen Dingen wie der Verringerung der Mitbewohneranzahl von sechs auf ein oder zwei an, geht über wohnen in einer nicht ganz so isolierten Gegend und hört bei der Lust auf ein Studentendasein auf.
Soviel zu meiner gegenwärtigen Situation, nun ein weiterer kleiner Rückblick auf die letzten zwei Monate:
Am 17.01.06 wurden wir das erste Mal abgeschoben, diesmal nach Inveraray. Jing und Soner waren auf ihrem Mid-Term-Training, so begab es sich, dass Ale, Sarah und ich das Auto nehmen sollten, um uns Inveraray Jail anzugucken, mit der Begründung, dass man dort auch das heutige Gefängnisleben sehen kann. Inveraray liegt westlich vom Loch Lomond, somit hatten wir eigentlich eine Fahrt durch wunderschöne Landschaft vor uns, leider war es neblig. Angekommen war das Gefängnis echt interessant (der Eintritt sogar von Braendam bezahlt) und Inveraray ist ein niedliches Städtchen am Meer, sogar mit Schloss. Auf der Rückfahrt haben wir beschlossen, Loch Lomond nördlich zu umfahren, leider hat es geregnet und es wurde schnell dunkel, so dass es auch diesmal nichts mit der Aussicht wurde.
Am 26.01.06 wurden wir nochmal weggeschickt, diesmal ging es nach Moffat, der Geburtsstadt von Hazel. Nach kurzem Aufenthalt in Moffat, sind wir der A708 nach Norden gefolgt und hatten einen wunderschönen Ausblick in ein Tal.
Vom 27.01. bis zum 29.01. hieß es dann endlich wieder volles Haus, BTCV (British Trust and Conservation Volunteers) waren zu Besuch, um den Garten auf Vordermann zu bringen. Wir waren mit 18 Mann und Frau eineinhalb Tage lang damit beschäftigt, gefällte Bäume und Sträucher zur Lagerfeuerstelle zu bringen und zu verbrennen.
Am 30.01. sahen wir zum zweiten Mal ein Fahrzeug, diesmal ein weißer Van, in der Kurve kurz vor der Zufahrt zu Braendam im Zaun und als wir genauer hinsahen, war da ein zweites Auto, welches über den Zaun ungefähr 40 Meter aufs Feld gefahren ist und einen Totalschaden hatte. Das erste Auto, ein Geländewagen, hatte neben einem riesigen Stein die Warnschilder mitgenommen, daher sah der Minibus die Kurve nicht und ist hinterher. Ich bin dann runter zu David und durfte diese nette Nachricht überbringen. Die Geländewagenfahrerin war schon bei ihm gewesen, der Minibus war ihm neu. Zur Vollständigkeit ist am 06.03. mal wieder ein Auto im Zaun gewesen. Den Stein, der mit zum Totalschaden am Auto beigetragen hat, hat David auch nicht ohne Grund dahingelegt. Er erzählte mir, dass die Autos früher auch durch seinen Zaun auf sein Feld gefahren sind, dann aber noch weiterfahren konnten und einfach abgehauen sind und er auf den Kosten sitzen geblieben ist. Jetzt können sie es normalerweise nicht. Wofür so ein 800 Kilogramm schwerer Stein doch alles gut sein kann.
Den nächsten Tag hatten wir frei und Soner und ich beschlossen, die nähere Umgebung zu erkunden. So verschlug es uns zu den Bracklinn Falls, einem Wasserfall in der Nähe von Callander. Angekommen mussten wir über eine Brücke um dem Pfad folgen zu können, da die Brücke aber nicht da war, meinte ich selbstbewusst, die müsste dann ja etwas flussaufwärts liegen. So sind wir den Fluss gefolgt und nach zwei Kilometern zweifelten wir daran, dass da noch eine Brücke kommt. Zum Glück war der Fluss halb zugefroren, so haben wir es mit einigen Sprüngen doch noch auf die andere Seite geschafft. Wie wir später erfuhren, wurde die Brücke im Frühling bei einem Unwetter weggespült.
Das BTCV-Wochenende hatte mir so gut gefallen, dass ich mich gleich als Freiwilliger eintragen ließ und so ging es vom 17. bis zum 19. nach Moffat. Wie der Zufall es will, in genau das Tal, welches wir mit Hazel zuvor besucht hatten. Wir waren diesmal nur acht Leute und mussten uns mit einem bedingt warmen Holzhaus zufrieden geben, eigentlich war es mehr eine mittelgroße Halle, wo uns der Holzfußboden als Schlafplatz zur Verfügung stand, was uns vorher keiner gesagt hatte. Also mussten die Sitzkissen als Isomattenersatz herhalten. Ferner hatten wir nur zwei sch***kalte Toiletten, keine Duschen oder ähnliches und eine Küche. Vier Heizstrahler sorgten für Wärme. Da aber keiner auf die Idee kam, die vor unserer Ankunft schonmal anzustellen hatten wir zunächst zwei Stunden Eiseskälte im Haus, bis wir ohne unsere Winterjacken im Haus sitzen konnten. In der ersten Nacht hatte Andi zwei Heizstrahler ausgestellt, damit es in der Nacht nicht so heiß wird. Leider wurde es stattdessen eiskalt und ich bin frierend aufgewacht, um die Strahler wieder anzustellen.
Über den Tag wollten wir Bäume pflanzen, das ganze war ein größeres Projekt, das seit 2000 läuft und einen „natürlichen“ Lebensraum erstellen möchte. Nachdem wir zuerst eine Brücke gebaut hatten, sollte jeder Spaten und Sack mit Bäumen nehmen um „nur mal kurz da um die Ecke“ zu gehen, da pflanzen wir die dann schon. Diese Ecke lag drei Kilometer bergauf und als wir da waren, haben wir 15 Minuten lang unsere Bäume eingepflanzt und dann meinte unser Leiter, dass es das für heute war, es war 15 Uhr am Nachmittag.
Etwas enttäuscht sind wir zurück zu unserem Holzhaus. Nach einem Besuch in Moffat haben wir den Abend mit feuchtfröhlichen Spielen gestaltet. In der zweiten Nacht ließen wir die Heizstrahler an, leider fing ein Freiwilliger an zu schnarchen und wenn ich eines hasse, wenn jemand schnarcht. So bin ich nach einer Stunde wachliegen in die Küche umgezogen, wo es ruhig war. Ich bin leider wieder um fünf Uhr vor Kälte zitternd aufgewacht, da die Küche eiskalt war und bin wieder in die Halle umgezogen.
Am Sonntag haben wir mit örtlichen Freiwilligen doch noch ein paar mehr Bäume gepflanzt und somit unseren Kohlenstoffdioxidausstoß für die nächsten 20 Jahre gerechtfertigt. Am 10.02. hieß es dann Abschied nehmen von Hazel und sie hatte uns alle in den Pub eingeladen und es kamen alle außer... ratet mal.... Cath! Sie war verhindert. Da der 10.02. ja bekanntermaßen auch mein Geburtstag ist, haben wir den Tag zusammen verplant, so hatte ich ein Frühstuck organisiert, mit allem was dazugehört (Aldi sei dank) und Hazel und Wendy haben etwas zum Mittag gezaubert.
Vom 23.02. bis zum 26.02. habe ich meiner Dekadenz mal wieder freien Lauf gelassen und mich mit Moritz und Morris bei Berti in London getroffen. Berti macht da seit Anfang Februar ein Praktikum bei DHL und da haben wir sofort beschlossen, ihn uneigennützig zu besuchen. Donnerstag und Freitag haben wir die Stadt noch ohne Berti unsicher gemacht und am Wochenende sind wir dann zu viert von Touriaktion zu Touriaktion gelaufen wobei uns nur das London Eye Eintritt wert war.
Am 05.03 hatte Jing dann ihre Abschiedsparty und es waren alle da außer... ratet mal.... Cath! Sie war verhindert.
So, das waren - etwas sprunghaft - die letzten zweieinhalb Monate.
Ich komme gerade von einem spontanen Heimatbesuch. Das Gesicht meiner Eltern, als ich auf einmal vor der Tür stand, werde ich auch nicht so schnell vergessen! Mein Bruder hatte mich morgens vom Flughafen abgeholt und da stand ich dann einfach... kann ich jedem nur empfehlen!
Während des Heimatbesuches hatte ich kurz mit Sarah hier in Schottland geschnackt und sie erzählte, das sie und Ale gerade zu Cath ins Büro geordert wurden, sie hatten am Frühstückstisch gelacht und rumgealbert und das gehe ja laut Cath gar nicht und danach sprach sie noch mit Ale allein. Ihm erzählte sie, dass sich Wendy und Christopher bei ihr beschwert hatten, das er nie arbeite und er nach Hause gehen könne, wenn er wolle. Zwar hatten Wendy und Christopher bemerkt, dass Ales Arbeitsmoral nicht die Beste ist, aber nur damit Cath mit ihm redet und einen Weg findet, Probleme zu lösen. Cath hat das natürlich ausgenutzt und Ale gedroht, wenn er ihn noch einmal nicht arbeitend sehe, könne er seine Koffer packen.
Mein persönlicher Plan sieht so aus, dass ich Braendam Anfang Juni verlasse, wobei das noch keiner weiß, ich muss mal mit Via e.V. absprechen, wem ich das alles mitteilen muss. Und wer weiß was sich Cath noch leistet, vielleicht bin ich auch früher zu Hause.
Manchmal ist es echt schwer, sich hinzusetzen und die letzten Wochen Revue passieren zu lassen, wenn man dann aber von Freunden hört: „Ich weiß zwar nicht warum, aber ich lese mir deine Berichte immer durch“ hört, dann weiß man wieder, wofür man es tut, setzt sich dran und tut sein Bestes.
Bis zum nächsten Bericht - die Spannung bleibt, alles ist möglich!
Viele Grüße
Freddy