Die Leitkulturdebatte - Eine Frage der kulturellen Hegemonie?
Erst kürzlich wurde ein Wort wiederbelebt, welches sofort politische und ethische Diskussionen auslöst: Leitkultur. Thomas de Maiziere verursachte mit seinen 10 Punkten viel Aufruhr, vor allem eine Debatte darüber, was eine Leitkultur für Deutschland bedeutet.
"Wir sind nicht Burka" - Mit diesen provokanten Worten betitelt de Maiziere seine 10 Punkte der deutschen Leitkultur, aber die wichtigste Frage bliebt offen: Wer sind wir denn? Aus diesem Titel lässt sich nur eins schließen, tolerant sollen wir anscheinend nicht sein. Das Patriotismus ein sehr heikles Thema in Deutschland ist, ist der Vergangenheit geschuldete und Flaggen in Schwarz-Rot-Gold sieht man höchstens zur Fußball-WM. Ist es nun, in Zeiten der vermehrten Migration, wieder angebracht, eine Leitkultur zu praktizieren?
Das, was alle Deutschen eint, ist wahrscheinlich die Verfassung und das Grundgesetzt. Unser fester Glauben an das Grundgesetzt wird auch Verfassungspatriotismus genannt, zugegeben, das klingt nicht gerade nach leidenschaftlich zelebrierten gemeinsamen Werten. Innerhalb des Grundgesetzes können sich alle Menschen in Deutschland frei ausleben, ihre Kultur, Religion und politische Meinungen. Die Frage, die sich stellt ist, ob dies zur Integration der Gesellschaft beiträgt oder eine Spaltung begünstigt.
Die Leitkultur-Debatte steht fast immer im Zusammenhang mit der Integration muslimischer Menschen – Und übersieht dabei, dass die Unterschiede zwischen den gleich sozialen Schichten verschiedener Kulturen geringer sind, als die Unterschiede zwischen beispielsweise der Bildungselite in Deutschland und den Menschen, die auf staatliche Unterstützung angewiesen sind. Deswegen würde ich daran kritisieren, dass große gesellschaftliche Gruppen stark verallgemeinert werden und der Prozess der Integration sehr linear und einseitig gesehen wird, wenn doch eine innergesellschaftliche Integration im Sinne eines aktiven Prozesses aller deutschen Bürger anzustreben wäre.
Die Motivation hinter der Leitkultur-Idee ist ein friedliches Zusammenleben der verschiedenen Kulturen in Deutschland- unter geteilten Werten, so hat das jedenfalls der Politologe Bassam Tibi definiert, der mit diesem Begriff die Debatte schon vor 20 Jahren auslöste. Tatsächlich finde ich es aber sehr schwierig, eine verbindliche Kultur einzuführen, schließlich profitieren wir ja auch davon, in unserem Alltag verschiedene Kulturen zu erleben, sie lehren uns Toleranz und geben uns neue Blickwinkle und Impulse.
So wie de Maiziere die deutsche Leitkultur beschreibt, grenzt sie sich ganz klar vom politischen Islam ab, mit seiner flachen "Wir-sind-nicht-Burka"-Rhetorik distanziert er sich aber auch vom Islam im Allgemeinten und setzt christlich-westliche Werte als Normen. Sind also Muslima, die ihre Religion auf ihre Weise ausleben, nicht Teil Deutschlands? Über die Burka und religiöse Kopfbedeckungen kann und muss man diskutieren, sich verschiedene Meinungen anhören, aber letztlich hat jeder Mensch das Recht zur Selbstbestimmung und ist trotzdem als Bürger und Bürgerin Deutschlands ein Teil von uns.
So glaube ich nicht, dass eine Leitkultur die Gesellschaft Deutschlands eint – Vor allem nicht, wenn sie von einem bereits etwas älteren konservativen CDU-Politiker definiert werden, der große Bevölkerungsgruppen politisch nicht vertritt. Die Errungenschaften Deutschlands, zu denen beispielsweise unser Sozialstaat, eine sichere und wohlhabende Gesellschaft und eine stabile Wirtschaft gehören, sollten Grund genug bieten, sich zu Deutschland und seinen Werten zu bekennen – Aber da müssen, gerade wenn es um die Integration von Menschen mit Migrations- und Fluchthintergrund geht, noch viele Fortschritte erzielt werden zu einem demokratischen, innergesellschaftlichen Integrationsprozess.
http://www.zeit.de/politik/deutschland/2017-04/thomas-demaiziere-innenminister-leitkultur/seite-2