Die Erschaffung der Welt
Aus französischer Feder über die Tschechoslowakei in die Welt
Neben allen religiösen oder wissenschaftlichen Theorien verbindet wohl auch mancher, zumeist der älteren Generation angehörig, mit dem Titel dieser Reportage eine weitaus kurzweiligere Auseinandersetzung mit dem Ursprung der uns bekannten Welt. Vor gut 60 Jahren kam in der damaligen Tschechoslowakei der Zeichentrickfilm „Stvoření světa“ in die Kinosäle. In den Lichtspielhäusern der DDR feierte der Streifen unter seinem deutschsprachigen Titel „Die Erschaffung der Welt“ im Jahre 1959 Premiere.
In einem Wartezimmer in meiner Gaststadt Náchod fielen mir zwei Zeichnungen aus jenem Werk als Wanddekoration auf. Ich kannte sie von Zuhause und kam darüber mit einer Tschechin ins Gespräch. Sie berichtete mir, dass das Material hier recht bekannt sei. Daraufhin begann ich zu recherchieren und war durch einen herausragenden Umstand speziell interessiert: Der Film ist eine besondere internationale und sogar die politischen Systeme der Entstehungszeit übergreifende Zusammenarbeit. Uns mag es, auch in Zeiten eines zumindest ideell grenzenlosen Zusammenlebens in der Europäischen Union, nicht auf den ersten Blick auffallen: Im historischen Kontext der Blockstaaten kapitalistisch, westlicher bzw. kommunistisch, östlicher Systeme stellte die Entstehungsgeschichte des Streifens einen Brückenschlag über ideologische Klüfte hinweg dar. Mehr dazu im Verlauf dieser Auseinandersetzung.
Grundlage des Zeichentrickklassikers ist das Schöpfungswerk Gottes. Sowohl im Film als auch in der zugrundeliegenden fünfbändigen Serie „La Création du Monde“ (1945) wird der Himmelsvater als ein alter, aber gütiger Mann dargestellt, der mit Hilfe seiner drei Engelchen in einem „Sechs-Tages-Plan“ die Erde mit all ihren Oberflächen, Witterungen, Pflanzen, Tieren und schlussendlich auch dem Stammelternpaar Adam und Eva kreiert. Dabei versuchen ihnen der Teufel und dessen Helfer permanent in die Quere zu kommen, bereichern das Werk mit ihren Taten am Ende aber eher. Die Basis bilden die bereits erwähnten Bildergeschichten des Franzosen Jean Effel. Hinter diesem Pseudonym verbirgt sich der Illustrator und Cartoonist François Lejeune, der den Künstlernamen aus seinen Initialen F. L. entwickelte. Nach einigen Startschwierigkeiten gelangte er besonders in seinem Heimatland zu Bekanntheit, seine Karikaturen wurden unter anderem auch im Hamburger Abendblatt abgedruckt.
Für die Filmversion kam es zu der bereits erwähnten staatenübergreifenden Zusammenarbeit in Zeiten ideologischer Trennung, zwischen dem französischen Zeichner und dem tschechischen Regisseur Eduard Hofman. Kennengelernt hatten sich die beiden in Prag, wo der tschechoslowakische Künstlerverband einige Karikaturen Effels ausstellte. Dort erkannte der gebürtige Pole Hofman das Potential jener szenischen Entwürfe. Sofort hatte er ganze Episoden auf Grundlage der Bildchen im Kopf und nahm auch gleich die Erheiterung des Publikums ob der humorvollen Darstellungen in der Ausstellung wahr. In den Jahren 1953 bis 1957 feilte das Künstlerduo gemeinsam in den Prager Trickfilmstudios an der Umsetzung der heiteren und wenig religiösen Schöpfungsgeschichte. Dem tschechoslowakischen Debüt folgte kurz darauf die deutsche Fassung aus dem DEFA-Studio für Synchronisation im östlichen Teil Deutschlands. Dort feierte das Werk einigen Erfolg. Zudem war es beispielsweise an Feiertagen fester Bestandteil des Fernsehprogramms des DDR-Staates, in dem die Säkularisierung eine solch ausgeprägte Rolle spielte. Anders verhielt es sich jedoch mit dem westlichen Teil des Landes: Hier kam es quasi erst 1994 richtig zur Veröffentlichung, mit einer Synchronisierung des NDR und der Unterzeile „Eine heitere Schöpfungsgeschichte für fröhliche Erdenbürger“. Der Spiegel hatte in einem Artikel der Ausgabe 49/1958 selbst eingeräumt: „Ob sich nämlich ein couragierter Verleiher finden wird, der den Film […] in sein Programm übernimmt, erscheint mehr als fraglich, seit das Trick-Opus vom Bannstrahl des päpstlichen Hausorgans getroffen […] wurde“. Hiermit zielte das Blatt auf die Ächtung „[des] ganze[n] Trickspiel[s]“ als „groteske Verhöhnung der heiligen Schrift“ durch den Vatikan in seiner amtlichen Tageszeitung L’Osservatore Romano ab. Weiterhin wurde der Cartoon als „gotteslästerlich, ironisch und propagandistisch“ bezeichnet, der religiöse Gefühle verletze und nicht zuletzt Atheismus verbreite. Allgemein hatte der Trickfilm in den westlicheren Ländern mit größeren Schwierigkeiten, die Publizierung betreffend, zu kämpfen. So erschien er im Heimatland des Zeichners erst 1962, in Italien gar 1976 (und das trotz erneuter Einwände seitens des Vatikans). Verwunderlich erscheint an dieser Stelle nur, dass den Schwierigkeiten der bewegten Bilder zum Trotz der die Grundlage darstellende Bildband zu den größten Büchererfolgen im vorwiegend katholischen Frankreich gehörte.
Unterstützung erhielt Effels Werk dagegen beispielsweise bei den Dokumentar- und Kurzfilm-Festspielen in Venedig in Form eines Sonderpreises. Auch die Sowjetunion ehrte den Künstler: Im Jahre 1968 erhielt Effel den Lenin-Orden, die höchste Auszeichnung des Einparteienstaats. Im September 1976 schließlich erfolgte seine Ernennung zum Ehrenmitglied der Akademie der Künste der UdSSR.
Ob nun unter dem strengen Gesichtspunkt moralisch-religiöser Korrektheit oder einfach zum müßigen Zeitvertreib und der Erheiterung: Der eineinhalbstündige Zeichenfilm dürfte in jedem Falle eine Betrachtung wert sein, für Jung und Alt. In seiner Originalfassung in tschechischer Sprache möchte ich ihn daher keinem Leser vorenthalten. Eine vollständige Version findet sich unter: https://www.youtube.com/watch?v=NBD1JJ3M7m0
Quellen:
https://de.wikipedia.org/wiki/Jean_Effel
http://www.universal-music.de/jean-effel/diskografie/detail/product:194436/die-erschaffung-der-welt-defa-fassung-1959
https://www.welt.de/kultur/kino/article123134187/Dieser-Gott-war-Weihnachtsfolklore-in-der-DDR.html
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-42620995.html