Der Zauber von Taizé unter der Lupe
Von Fröschen, Lavendelsäckchen, spirituellen Erlebnissen, Internationalität und der Erkenntnis, dass man sich öfters Zeit für sich selbst nehmen sollte.
Montag, 29.02.2016
Das aller erste Mal innerhalb einer Woche wage ich mich heute auf die Straße. Einen kleinen Spaziergang machen. Es tut so gut an der frischen Luft zu sein, alle Viren abzuschütteln und das Gesicht in die Sonne zu halten. Warum realisiert man eigentlich immer erst, wenn man krank war, wie schön es doch ist gesund zu sein? Natürlich läuft meine Nase noch, die Nebenhöhlen sind zu, ich huste wie eine Weltmeisterin. Aber ich habe kein Fieber mehr und die Gliederschmerzen sind auch verschwunden. Glücklicherweise. Nach meinem kleinen Gang statte ich A.-M. Einen Besuch ab. Dort darf ich Zeugin eines Kaffeeklatsches mit dem Architekten des neuen Hauses nebenan werden und werde noch mit Ratatouille ausgestattet (O-Ton: „Du brauchst ja momentan ganz viele Vitamine. Da ist Ratatouille perfekt!“ Da sage ich natürlich nicht nein…).
Heute arbeite ich auch wieder. Und nicht nur meine Grippe ist vorüber. Auch die Ferien sind zu Ende, was für uns bedeutet, dass wir heute die erste Stunde bei unserer neuen Tap-Gruppe haben. Bevor wir aber uns mit den Kindern vergnügen dürfen, steht noch eine obligatorische Reunion an. Besonders dabei merke ich, dass ich immer noch nicht so ganz gesund bin. Ich werde immer müder. So müde, dass man es mir scheinbar ansieht. Jedenfalls beschließt mein Chef mit einem Seitenblick auf mich, dass wir die Reunion beenden, da ich nicht mehr aufnahmefähig sei.
Mit den Kindern klappt es gut. Die Gruppe ist nicht so groß. Um genau zu sein variiert die Besetzung von acht bis dreizehn Kindern ständig. Heute starten M. und ich unser neues Projekt. Momentan ist die Hauptthematik – beinahe überall - „semaine contre le racisme“ (Woche gegen Rassismus). Im Rahmen dieser Woche, die aber eigentlich keine einzige Woche ist, sondern sich ein Vierteljahr hinzieht, machen wir mit unseren Tap-Kindern einen Workshop, den wir „Moi – et les autres...“ (Ich – und die anderen…) genannt haben. Dabei wollen wir zum einen die Kinder sich selbst besser kennen lernen lassen, aber auch die Toleranz gegenüber anderen stärken. Da kommt es gerade recht, dass M. und ich mit unserer deutschen Herkunft ein gutes Exempel von Andersartigkeit zeigen können. Gemeinsam mit den Kindern wollen wir darum auch die deutsche Kultur und Sprache entdecken. Mal schauen wie gut sich das alles realisieren lässt.
Dienstag, 01.03.2016
Heute passieren gleich zwei wunderbare Dinge.
Nummer eins: M. Und ich entdecken im Teich Frösche und Laich! Ich kann es kaum fassen. Außer den Fischen, die mir bei einer Säuberungsaktion über den Weg geschwommen sind, habe ich bis jetzt noch keine anderen Lebewesen in unserem Tümpel entdeckt. Der Laich führt mir vor Augen, dass sich der Frühling nähert. Hach, das wird schön, wenn alles grün zu sprießen beginnt.
Numero zwei: Ich bekomme endlich T.s Baby vor Augen. Auch wenn es nur in digitaler Version ist, bekomme ich mich kaum ein. So kleine Geschöpfe sind schon unglaublich niedlich.
Ansonsten ist mein Tag heute aber auch nach der Arbeit noch ziemlich voll gepackt. Ganz in dem Wortfeld „Packen“ bleibend, mache ich mich daran meinen riesigen Trekkingrucksack für morgen zu beladen. Wortwörtlich beladen. Zwar werde ich mit meiner Freundin M. nur für vier Tage weg sein, aber irgendwie brauche ich doch relativ viel. Schließlich möchte ich mich schön dick einpacken können. Das Bedürfnis mich noch einmal zu erkälten, ist nicht besonders groß.
Abgesehen vom Packen, steht noch ein kleiner Trip nach Thonon an. Der PC-Doktor, den ich vor zwei Wochen mit meinem mysteriösen PC-Problem an den Rand eines Nervenzusammenbruchs gebracht habe, konnte tatsächlich einige Daten retten und muss diese nun über Nacht auf meinen PC überspielen.
Mittwoch, 02.03.2016
Früh aufstehen ist angesagt. Ich muss noch vor der Arbeit meinen Computer in Thonon abholen. Das alles stresst mich etwas. Denn es ist nicht so, dass ich nach der Arbeit heute viel Zeit zum verschnaufen haben werde.
Im Centre bin ich heute das erste Mal mit den Großen (sechs bis zwölf Jahre alt) alleine. Das Thema der kommenden Mittwochen ist „Der Geschmacks- und Geruchssinn“. Für heute habe darum geplant mit den Kindern Lavendelsäckchen zu nähen. Nach ersten Schwierigkeiten – manche Kindern haben linke Hände. Der Umgang mit Nadel und Faden ist schließlich aber auch etwas kompliziert. Es überrascht mich trotzdem, dass einige Kinder es noch nicht einmal hinbekommen einen Faden durch die Nadel zu ziehen. Aber gerade aus diesem Grund mache ich das Ganze. Ich möchte meine Begeisterung fürs Nähen teilen und die Kinder daran teilhaben lassen. An der Erkenntnis, dass man etwas sehr Schönes und Nützliches mit den eigenen Händen herstellen kann. - hat jeder ein Stückchen Stoff vor sich. Nachdem ich meinen Schützlingen mehr als ein Mal eingebläut habe, dass sie die Nadel auf keinen Fall herumliegen lassen dürfen (Ich habe kein großes Bedürfnis, dass ein Kind in eine vergessene Nadel tritt und ich ins Krankenhaus muss…) und der Faden eingefädelt ist, stellt sich heraus, dass ich ein paar Nähtalente habe. Manchen Kindern geht die Arbeit so leicht von der Hand, dass ich total erstaunt bin. Als auch die motorisch etwas Untalentierteren ein Säckchen vor sich haben, beginnen wir die besagten zu füllen. Allerdings nicht mit Lavendel, sondern mit Watte auf die wir Lavendelöl geben. Dieses Öl riecht wirklich sehr intensiv. So intensiv, dass es im ganzen Centre beginnt sehr intensiv nach Lavendel zu duften und ich in unseren Raum lüfte, da der Duft ansonsten zu Kopfschmerzen führt. Nachdem mein Geruchssinn abgestorben ist und alle Kinder abgeholt wurden, machen sich M. Und ich auf den Weg zur Tankstelle, da ich mit dem Camion heute Abend noch nach Genf muss, aber nicht mehr viel Benzin im Tank ist.
Darum finden wir uns vor der Zapfsäule wieder. Normalerweise ist es ja kein Problem zu tanken. Karte rein, bestätigen, Karte raus, Tanken. Der letzte Schritt bereitet uns aber heute Probleme. Um unseren Tank ganz zu füllen, brauchen wir heute knappe zwanzig Minuten. Normal ist das auf keinen Fall. Das Benzin läuft unglaublich langsam in unseren Tank. Warum weiß weder ich, noch M. Was ich aber weiß ist, dass die Wartenden hinter uns in der Schlange, etwas genervt von unserem langsamen Tankprozess sind. Aber was soll man machen? Zaubern habe ich leider noch nicht gelernt. Merkwürdig ist es trotzdem. Zudem kommt mir das nicht vorhandene Tank-Tempo heute auch nicht so gelegen. Meine Freundin M. Sollte in Genf nämlich eigentlich den Bus nach Thonon nehmen. Da ihr Bus nach Genf aber beachtliche Verspätung hatte, hat sie den Anschlussbus dementsprechend verpasst und ich muss sie in Genf abholen. Inständig bete ich, dass es nicht so wie bei meinem letzten Genf-Abenteuer einen Monsterstau gibt.
Als ich es schließlich nach Genf geschafft habe und mich an M. Von hinten anschleiche (leider sieht sie mich vorher…), ist die Freude groß. Wir haben uns an Weihnachten nur kurz gesehen. Es gibt viel zu erzählen. So wird die Rückfahrt, auf der wir über einen sehr zweifelhafte Umleitung fahren müssen (die Beschilderung setzt plötzlich aus), sehr kurzweilig. Es ist für mich das erste Mal, dass jemand von zu Hause zu mir kommt. Als wir schließlich bei mir ankommen bin ich müde. Die PC-Geschichte, die Krankheit, das viele Fahren, das Wiedersehen. Das alles ist ziemlich viel. Zwar schön, aber auch viel. Relativ spät geht es schließlich ins Bett.
Donnerstag, 03.03.2016
Als um halb fünf der Wecker klingelt, kommen Zweifel auf, ob es wirklich einen gute Idee gewesen ist, so lange wach zu bleiben. Um kurz nach fünf finden wir uns unten in Thonon am Bahnhof wieder. Ich frage mich, was für einen Eindruck wir machen. Zwei Mädchen mit großem Trekkingrucksack, Isomatten, Schlafsäcken. Gemeinsam fahren wir nach Taizé, einem katholischen Orden, der seinen Sitz in Frankreich hat. Es handelt sich um eine klosterartige Gemeinschaft, in der Mönche zusammen leben. Aber auch Außenstehende können mehrere Tage oder Wochen bei ihnen verbringen und an ihrem Alltag teilhaben.
Um genau zu sein, führt uns unserer Reise in das gleichnamige Örtchen zwischen Lyon und Dijon. Ich weiß noch nicht genau, was ich von der Reise zu erwarten habe. Viele Bekannte waren schon einmal in Taizé und immer und immer wieder wurde mir von der einzigartigen Taizé-Erfahrung vorgeschwärmt. Als im Sommer letzten Jahres dann klar wurde, dass ich ein Jahr in Frankreich verbringen würde, habe ich mir im Kopf die Notiz „Taizé besuchen“ gemacht. Da M. Sowieso noch einmal dorthin wollte und sie momentan Semesterferien hat, hat sich das angeboten. Alleine wollte ich nämlich nicht nach Taizé. Zumindest eine Person wollte ich kennen. Ohne besonders große Erwartungen, aber mit einer großen Neugierde, sitze ich nun also mit M. Erst im Zug, dann im Bus. Wir reden viel und es tut einfach gut Zeit mit ihr in „live“ zu verbringen. Natürlich bleibe ich mit vielen via Whatsapp oder Skype in Kontakt, aber die Person im wahren Leben vor sich zu haben, ist doch immer noch das Beste.
Als wir in Taizé schließlich aus dem Bus steigen, regnet es etwas. Zum einen der Regen, zum andern aber auch die Tatsache, dass wir keine Menschenseele antreffen, führt bei mir zu einem Gefühl des Unwillkommenseins. Hm, ob Taizé wirklich so toll ist, wie mir alle gesagt haben? Es kommen Zweifel auf… Und wenn wir bei diesem Wetter draußen in Zelten schlafen müssen, ist die nächste Erkältung schon vorprogrammiert.
Da der Empfang erst um halb fünf aufmacht, laufen M. Und ich etwas herum und nutzen die Zeit um in den Meditationsgarten zu gehen. Dort beginne ich trotz des Regens aber langsam den Zauber von Taizé zu begreifen. Hier ist es still – mal von der Autobahn abgesehen. Im Herzen des Meditationsgartens liegt ein See, über den eine Brücke führt. Ich weiß nicht genau wie lange wir auf der Brücke stehen. Zeit wird an diesem Ort irgendwie relativ. Vergessen ist der Alltag. Vergessen ist jegliche Art von Stress oder Hektik. Hier kann ich durch atmen, hier kann ich runter kommen. Und diese Entspannung tut gut. So schön es auf der Brücke ist, der Regen wird irgendwann ziemlich stark, sodass wir beschließen unser Glück noch einmal an der Anmeldung zu versuchen.
Dort werden wir von einem der Brüder empfangen und unterhalten uns mit ihm. Da M.s Englisch besser als ihr Französisch ist, sprechen wir mit ihm Englisch. Das führt mir schmerzlich vor Augen, welche Folgen es hat, wenn man ein halbes Jahr kein Englisch gesprochen hat. Mein Englisch ist eingerostet. Anfangs habe ich leichte Wortfindungsstörungen. Nach zwei, drei Sätzen geht es aber glücklicher Weise wieder.
M. und ich haben Glück: Wir dürfen in den sogenannten Baracken schlafen. So negativ sich das Wort auch anhört, sind wir beide froh. Die Alternative lautet nämlich Zelt. Und bei Regen wird es darin – auch wenn man nah zusammenrückt – etwas kalt werden. Da momentan aber nur um die 120 Menschen in Taizé sind (Das erklärt im Übrigen auch, warum wir bei unserer Ankunft niemanden gesehen haben. Da normalerweise um die 6.000 Besucher in Taizé sind, haben wir beide fast gedacht, dass Taizé aus unergründlichen Gründen geschlossen sei), ist in den Baracken genügend Platz.
Nachdem wir unser Gepäck in unserem 12-er Zimmer abgeladen und direkt Bekanntschaft mit unseren nicht sehr motivierten Zimmernachbarn gemacht haben (eine Gruppe Schweizer Mädchen, die vermutlich mehr oder weniger gezwungen wurden mit ihrer Konfi-Gruppe hier her zu kommen. Zumindest schließe ich das aus der Tatsache, dass ich sie die ganzen vier Tage über nur in unserem Zimmer und immer vor ihren Handys antreffe. Eigentlich ziemlich traurig. Die Realität ist doch viel interessanter als die digitale Scheinrealität.), wagen wir uns in den Gemeinschaftsraum, der gleichzeitig als Speisesaal fungiert. Dort treffen wir direkt eine sehr lustige deutsche Gruppe an (Im Übrigen sind hier sehr viele Deutsche. Warum kann ich mir nicht so ganz erklären. ), mit der wir Werwolf spielen. Wie das so ist, erfindet man mit jeder Gruppe eine neue Person in diesem Spiel. Passend zum Ort, an dem wir uns momentan befinden, wird die Figur des Bruders eingeführt. Langsam werde ich für unsere etwas unglückliche Ankunft entschädigt.
Abends erlebe ich meinen ersten Taizé-Gottesdienst. Hier sollte am Rande erwähnt sein, dass alles freiwillig ist. Wenn man zum Gottesdienst möchte, dann geht man hin. Wenn man zu einem Workshop möchte, dann geht man hin. Wenn nicht, dann halt nicht. Das finde ich sehr angenehm. Hier ist nichts verpflichtend. M. Und ich sind ja aber hier um Taizé zu erleben und dazu gehört unserer Meinung eben auch der Gottesdienst.
Ich bin überwältigt. Wir kommen in die Kirche und entgegen meiner Erwartungen stehen aber keine Stühle im Mittelschiff. Stattdessen ist die Kirche mit Teppich ausgelegt, sodass man sich auf den Boden setzt. Da wir momentan nicht sonderlich viele sind, ist die Kirche nicht besonders voll. Aber ich kann mir sehr gut vorstellen, wie eindrucksvoll der Gottesdienst mit tausenden von Menschen sein kann. Dadurch, dass wir so wenige sind, hat man aber wirklich Platz sich hinzusetzen. Am Eingang der Kirche, kann sich jeder ein Liederheft nehmen. Über eine digitale Tafel wird während des Gottesdienst dann die Nummer des Liedes, das gesungen wird, angezeigt. Apropos Lieder: Der Gesang ist genial. Die Lieder bestehen zwar nur aus ein bis zwei Zeilen, die immer und immer wieder wiederholt werden. Aber dadurch prägt sich der Text schnell ein und man kann sogar die Augen schließen und seinen Gedanken freien Lauf lassen. Anfangs stellt die Internationalität noch eine Schwierigkeit dar. Der gesamte Gottesdienst wird auf mindestens vier Sprachen abgehalten. Englisch und Französisch ist eigentlich immer dabei. Dazu kommt dann wahlweise Deutsch, Spanisch, Italienisch, Polnisch,… Auch die Lieder sind auf verschiedenen Sprachen. Schließlich bin ich von der Internationalität aber berauscht. Ich habe das Gefühl, dass durch die verschiedene Sprachen viel mehr Menschen Zutritt zum Gottesdienst haben.
Mein Highlight Taizés ist die Schweigezeit im Gottesdienst. Keiner sagt etwas, alle schweigen. Anfangs lasse ich die Augen offen, irgendwann schließe ich sie aber. Als ich sie am Ende wieder öffne, bin ich überrascht, wie viele Leute doch um mich herum sitzen. Die ganze Zeit war es nämlich – abgesehen von meinem unterdrückten Husten – still. Mucksmäuschenstill.
Am Ende des Gottesdienst bleiben wir noch in der Kirche sitzen und singen mit den anderen, die auch noch geblieben sind, noch weiter.
Vor dem Gottesdienst geht es zum Abendessen. Vor jeder Mahlzeit werden freiwillige Helfer zum Austeilen der Mahlzeit, Tisch abwischen und Spülen gesucht. M. Und ich sind jedes Mal beim Austeilen mit dabei. Das macht unglaublich viel Spaß. Man kommt mit allen Leuten in Kontakt, hilft dem Gedanken der Gemeinschaft und Unterstützung und macht die Leute glücklich. Das Essen ist nichts Herausragendes. Schmecken tut es trotzdem sehr gut. Einzig und allein das Wasser ist gewöhnungsbedürftig. Es ist nämlich stark gechlort. Mit genügend Instantmilch- oder Kaffeepulver lässt es sich aber aushalten. Ich glaube hauptsächliche habe ich meine Kalorien in diesen Tagen von dem Instantpulver abgedeckt…
Freitag, 04.03.2016
Es regnet. Ob immer noch oder schon wieder kann ich nicht sagen. Schade eigentlich, ich würde den Meditationsgarten auch sehr gerne mal bei Sonnenschein sehen. Aber gut, man kann nicht immer alles haben. Nach dem Gottesdienst und dem Frühstück habe ich meine erste „Bibelintroduction“ (Bibelkunde). Ich bin etwas kritisch. In Kleingruppen diskutieren wir über eine Bibelstelle. Es ist aber erstaunlich interessant. Ich bin mit M., zwei anderen deutschen Mädchen, mit denen wir uns sehr gut verstehen, und einer Chinesin zusammen. Was mich aber die ganze Zeit über nicht loslässt ist die Tatsache, dass der Bruder, der den Bibelworkshop leitet, einen Ring trägt. Aber Mönche dürfen doch gar nicht verheiratet sein. Ich bin verwirrt. Allerdings wage ich es nicht ihn zu fragen (Kleine Notiz am Rande: einen Tag späte frage ich einen anderen Bruder diesbezüglich. Es wird mir einiges klarer: Der Ring ist ein Symbol dafür, dass er sich Gott verpflichtet hat. Warum bin ich nicht selbst darauf gekommen?).
Mittags vor dem Mittagessen haben wir wieder einen Gottesdienst, danach verbringen M. Und ich mit den anderen den Nachmittag im Gemeinschaftsraum. Es regnet wieder, sodass die Alternative draußen spazieren zu gehen nicht sonderlich verlockend ist. Stattdessen haben wir viele interessante Unterhaltungen. Ich lerne Psychologie-Studenten aus Münster kennen, die ich erst einmal ausquetsche, unterhalte mich mit einem Mädchen, das ein halbes Jahr in Israel war und spiele viele Runden Riesenromme. Außerdem lerne ich noch, dass man bis zu einem Jahr hier einen Dienst ableisten kann (Das könnte ich mir aber nicht vorstellen. Besonders im Winter wird es hier sicherlich ziemlich kalt werden. Und Privatsphäre sucht man auch etwas vergeblich.) und treffe zufällig ein Mädchen, dass M. Und ich vor zwei Jahren auf einer Uni-Veranstaltung kennengelernt haben. Zunächst bin ich mir nicht sicher, ob sie es wirklich ist. Irgendwann halte ich es aber nicht mehr aus und frage sie. Und siehe da: In Taizé, mitten in Frankreich, treffe ich ein Mädchen aus Deutschland, dass ich vor zwei Jahren schon einmal gesehen habe. Zufälle gibt es…
Es ist doch immer wieder interessant und lehrreich ein scheinbar einfaches Spiel mit anderen zu spielen. Da kommen Varianten auf, an die man vorher noch niemals gedacht hat.
Nach einer Meditationsschweigeminute im Gottesdienst beginne ich mich zu fragen, warum ich erst an einen Ort wie Taizé kommen muss, um mir Zeit zu nehmen um meine Gedanken kreisen zu lassen. An sich könnte man sich zu Hause ja auch immer Zeit nehmen um runter zu kommen. Zeit, um in sich hinein zu hören. Aber man macht es dann doch nicht. Fest nehmen ich mir vor, jeden Abend fünf Minuten für mich zu reservieren. Zwar habe ich viel Zeit. Aber ich nutze sie nicht aktiv um zu meditieren. Das möchte ich zu Hause mal probieren.
Samstag, 05.03.2016
Die Bibelintroduction verlagern wir heute mit unserer Gruppe nach draußen. Es ist ein Wunder geschehen: Es hat aufgehört zu regnen! Dementsprechend liegen wir sehr bald auf den Bänken und lassen uns von der Sonne bescheinen. Sehr bald schweift das Gespräch auch ab. Da das Wetter gut ist, machen wir uns auf den Weg in den Meditationsgarten. Ich finde wieder auf der Brücke stehend meine innere Mitte und bin froh zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein.
Beim Mittagessen sind M. Und ich ganz mutig und melden uns heute zum „Washing up“. Unsere Aufgabe ist es dementsprechend alles zu spülen. Ein bisschen wird das ganze glücklicher Weise erleichtert. Es gibt nur Becher, Schüsseln und Löffel. Hier wird alles mit Löffeln gegessen. So wird ein bisschen Besteck gespart. Außerdem zieht sich dann der Abwasch nicht so in die Länge. Gut, momentan sind ja nicht so viele Besucher hier. Im Sommer kann ich mir aber gut vorstellen, dass das Spülen dann mehrere Stunden dauern kann.
Glücklicherweise ist jetzt ja aber noch kein Sommer. Wir zwei spülen gemeinsam mit einer Gruppe Schweizer. Ich bin mit F. Am zweiten Spülbecken. Als er herausfindet, dass ich Deutsch bin, werde ich erst einmal gefragt, was ich als Deutsch von Schweizern denke. Erst nach meiner Antwort kann ich ihm aus der Nase ziehen, dass er Schweizer ist – allerdings mit deutschen Wurzeln. Aus diesem Grund testet er dann sein Deutsch an mir um dann „Schatzi, schenk mir ein Foto“ zu schmettern. Singend erledigen wir den Abwasch. Niemals hätte ich gedacht, dass ich in Taizé singend beim Abwasch landen würde.
Nachmittags entschließen sich M. Und ich zu einem Workshop namens „Love in art“ zu gehen. Dieser Workshop wird von einem Bruder geleitet. Es geht um eine Theorie von fünf verschiedenen Arten der Liebe. Der Liebe zwischen Mutter und Kind, zwischen Geschwistern, zu Freunden, zur großen Liebe und zu Gott. Ich bin positiv überrascht wie wenig religiös der Workshop ist. Zu jeder Liebesart stellt er uns eine Frage, dessen Antwort wir am Ende tanzend zu Musik darstellen. Darstellendes Spiel lässt grüßen. So merkwürdig sich das Ganze vermutlich anhört, es macht Spaß. Insbesondere seine erste Frage, regt mich zum Nachdenken an. Sie lautet: „Was ist deine erste Erinnerung an deine Mutter?“. Je mehr ich darüber nachdenke, desto schwieriger wird es, diese Frage zu beantworten. Ich glaube, dass man im Kindesalter keine chronologischen Erinnerungen hat. Vielmehr handelt es sich um ein Puzzle aus Erinnerungsfetzen, welches immer mal wieder aus vermeintlichen Erinnerungen gespeist wird. Scheinerinnerungen. Solchen, die man sich einbildet. Beispielsweise, wenn man Fotos gezeigt oder eine Situation immer und immer wieder erzählt bekommen hat. Irgendwann ist man sich nicht mehr sicher, ob man die Situation selber erlebt hat, oder nicht. Der Workshop ist total interessant. Am Ende nutze ich noch meine Chance und unterhalte mich etwas mit dem Bruder.
Der Abendgottesdienst ist etwas anders als die bisherigen Gottesdienste. Jeder bekommt eine Kerze. Am Ende des Gottesdienstes werden die Kerzen nach und nach angezündet. Es breitet sich ein Kerzenmeer in der Kirche aus. Ein wunderschönes Bild, das ich nicht so schnell vergessen werde.
Sonntag, 06.03.2016
Diese Nacht habe ich das erste Mal durchgeschlafen. Keiner hat in der Nacht gehustet oder kam auf die Idee das Fenster zu öffnen. An sich habe ich nichts dagegen, wenn das Fenster auf ist. Wenn ich aber genau im Zug liege, ändert sich meine Meinung etwas…
Noch vor dem Frühstück packen wir unsere Sachen zusammen und räumen zusammen auf. Das Saubermachen der Zimmer läuft genauso ab, wie an den andern Tagen das Reinigen der Toiletten und Aufenthaltsräume auch. Jeder packt mit an. In Taizé ist der Gemeinschaftsgedanke wichtig.
An unserem letzten Tag in Taizé scheint sogar die Sonne. So sehr, dass wir mit S., die wir hier kennengelernt haben, eine kleine Wanderung wagen.
Schließlich heißt es Abschiednehmen. Abschiednehmen von netten Menschen, dem Ort der Entspannung, den Gottesdiensten, den lustigen Romme-Runden.
An der Bushaltestelle warten wir gemeinsam mit A. Aus Korea auf den Bus. Generell ist die Internationalität Taizés unglaublich. Es kommen Leute von überall auf der ganzen Welt hier her.
Im Zug verarbeiten M. Und ich bei Orangen die ganzen Eindrücke und verpassen aufgrund einer Verspätung unseres Zuges den Anschlussbus. Glücklicherweise gibt es einen Ersatzbus.
Wieder zu Hause angekommen bedauern wir, dass das Wasser nun nicht mehr chlorig schmeckt und lassen es uns bei Bratkartoffeln gut gehen.
Montag, 07.03.2016
M. schläft lange. Sehr lange. Und obwohl sie mir eingebläut hat, dass ich sie wecken soll, wenn ich aufwache, lasse ich sie schlafen. Schließlich hat sie Semesterferien. Das muss sie doch genießen.
Trotz alle dem schaffen wir es sogar noch einkaufen zu gehen und beim Centre vorbeizuschauen bevor ich anfangen muss zu arbeiten. Als wir vor dem Centre stehen, ist M. Ganz aus dem Häuschen. Die ganzen „Laufenden Meter“ (gemeint sind die Kinder in der Krippe, die sich links neben dem Centre befindet) versetzen sie in höchste Verzückung.
Als ich Abends von der Arbeit wieder komme, ist N. Auch schon da. Er und M. Werden morgen weiter zum Skifahren weiter fahren. Es ist kalt und beginnt sogar zu schneien. Da M. Noch einbisschen lernen muss, lassen N. Und ich sie in Ruhe lernen und toben uns etwas bei einer Schneewanderung aus. Wir enden vor meinem Fenster und erschrecken M., die vertieft über ihrem Makro-Skript hängt.
Abends starten wir eine große Kreuzworträtsel-Asiapfannen-Aktion, bei der wir uns über die Sojasoßenfrage den Kopf zerbrechen. Wir können uns nicht einigen, ob man wirklich so viel Sojasauce, wie ich hinein gekippt habe, hätte reinmachen sollen… Ein schöner Abend geht zu Ende.
Dienstag, 08.03.2016
Ich mache mich morgens auf den Weg zur Arbeit. Das bedeutet gleichzeitig Abschied nehmen. Ein letztes Mal nehme ich M. Und N. In den Arm, dann nehme ich den Schlüssel des Camions und mache mich schweren Herzens auf den Weg zur Arbeit. Wie gerne hätte ich die beiden noch ein bisschen hier bei mir behalten. Aber gut, man soll bekanntlich dann aufhören, wenn es am Schönsten ist. Von der letzten Woche nehme ich die Erkenntnis mit, dass man sich in seinem Alltag immer mal wieder Auszeiten nehmen sollte. Und das ich meine Kreuzworträtsel mal wieder lösen sollte.
Auf der Arbeit erhalte ich heute endlich die Einladung zu meinem Mid-term Seminar mit den anderen Freiwilligen. Dieses Mal allerdings nicht in Narbonne, sondern in der Nähe von Bordeaux. Na, wenn sich das nicht gut mit einer Nacht in Bordeaux verbinden lässt, dann weiß ich auch nicht.
Abends hätte ich eigentlich ein Badminton Turnier. Aber ich bin zu müde. Und ein paar Energiereserven würde ich dann doch ganz gerne noch für die kommende Zeit haben. Morgen kommt nämlich schon F., eine andere Freundin. Darum geht es früh ins Bett.
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