Der Versuch, die Gefühle von 6 Monaten in Worte zu fassen
Der Titel sagt es eigentlich. Ich werfe einen Blick auf das letzte halbe Jahr und wie ich mich verändert habe.
Unglaublich. Seit einem halben Jahr bin ich nun schon in den Niederlanden im Dienst. Seit einem halben Jahr. Ein halbes Jahr. Ich kann es noch so oft vor mich hin sagen, es fühlt sich fremd an. Letztes Wochenende bin ich zu Hause gewesen und wie immer fragen die Bekannten die berühmte Frage „Und, wie ist es in den Niederlanden?“. Hat irgendjemand von euch darauf eine passende, kurze und vielsagende Antwort gefunden? Ich glaube, so etwas gibt es gar nicht. Ich kann es auch nicht in Worte fassen, selbst wenn ich mehr Sätze zur Verfügung hätte. Die meisten Menschen erwarten eh ein „Gut“ als Antwort und können sich die ganzen Gefühle, das emotionale Auf und Ab und all die Veränderungen gar nicht vorstellen.
Bevor ich anfange...
Man merkt vielleicht, meine Verfassung, in der ich diesen Beitrag gerade schreibe, ist nicht die beste. Mein Wochenende zu Hause war zugleich wunderschön und beschissen. Aber das soll nicht Inhalt dieses Posts werden. Kennt ihr das, dass man plötzlich einen ganz anderen Blick auf die Dinge hat, je nachdem, ob man gerade auf Wolke 7 schwebt oder todunglücklich ist? Ich bin momentan irgendwie nachdenklich und finde das eine gute Gelegenheit, die vergangenen sechs Monate nüchtern ohne rosarote Brille und ohne Trauervorhang zu reflektieren. Dabei möchte ich mehr von mir selbst und meinen Gefühlszuständen erzählen, als von Ausflügen oder Aktivitäten. Davon hab ich ja in vorherigen Beiträgen berichtet.
Der Anfang
Als ich in den Niederlanden angekommen bin, war es August. Es war für diesen Monat ungewöhnlich kalt, aber ich fand meine neue Umgebung trotzdem recht schön. Man gewöhnt sich an alles, dachte ich mir. Ich bin sowieso ein optimistischer Typ, der aus allem das beste macht. Da ich durch meinen Schüleraustausch bereits ein halbes Jahr Auslandserfahrung hatte, kannte ich einige Hürden, die noch vor mir lagen. Ich war 18, fertig mit Schule, bereit für neue Abenteuer und offen für Veränderung. Ich hatte den wahrscheinlich tollsten Sommer meines Lebens hinter mir, deshalb war ich ziemlich gefestigt. Das Gute an meiner Arbeitsstelle ist, dass es eine Eingewöhnungszeit gibt, nach der ich nochmal nach Hause konnte. Meine Mitbewohnerin Leslie und ich haben uns 10 Tage im August alles angesehen, unsere Zimmer begutachtet und das Arbeitsleben kennengelernt. Für mich war das super, ich habe einen ersten Eindruck bekommen und konnte positiv gestimmt nochmal für 2 Wochen nach Hause. Andererseits – wenn es mir in Ysselsteyn nicht gefallen hätte, hätte ich wahrscheinlich noch mehr Angst gehabt, den Dienst anzutreten. Aber ich hatte Glück, beziehungsweise ich habe Glück mit meiner Aufnahmestelle.
Auf ins Abenteuer!
Als ich am 1. September mit dem Freiwilligendienst begann, war es meiner Meinung nach ein einfacher Start. Ich konnte mein Zimmer mit allem Nötigen ausstatten, ich kannte meine Aufgaben und meine Kollegen schon und Leslie natürlich auch. Ich muss zwar zugeben, Liebe auf den ersten Blick war das zwischen uns nicht (überhaupt nicht), aber man muss sich eben mit Allem arrangieren. In meinem Kopf hatte ich den 02. November als erstes „Ziel“, weil mich da anlässlich meines Geburtstages meine Eltern besuchen würden. Der September war ziemlich gut. Wir hatten tolles Wetter und mir ist der Besuch einer Gruppe Bundeswehrsoldaten aus Deutschland im Gedächtnis geblieben. Ein bisschen Kontakt habe ich immer noch zu den Jungs und die 2 Wochen mit ihnen in Ysselsteyn waren echt verdammt lustig. Überhaupt habe ich durch die ganzen Gruppen viel Abwechslung erfahren und über mich selbst gelernt. Da das Wetter so gut war, habe ich viel Zeit draußen verbracht und gelesen. In Ysselsteyn gibt es ja eh nicht viel zur Beschäftigung, wir haben keinen Fernseher und furchtbar schlechtes Internet. Im September habe ich auch zum ersten Mal meinen Schwimmverein besucht. Für mich ist das bis heute die beste Entscheidung, die ich getroffen habe.
Routine kehrt ein
Im Oktober wurde es dann ruhiger. Die Belegungen wurden weniger, Leslie und mir wurde langweiliger und das Wetter wurde schlechter. Immerhin verstanden wir beide uns immer besser und ich konnte die Dinge, so wie sie liefen, annehmen. Ich habe mich angekommen gefühlt. An einem Wochenende im Oktober bin ich auch nach Hause gefahren, es war einfach wunderbar. Ich hatte neue Energie und erstaunlicherweise kam auch kein Heimweh auf. Das ist ja immer so ein Risiko, man weiß nie, was die Dinge mit einem machen. So zogen sich die Wochen vor sich hin, der Besuch meiner Eltern im November war wunderschön und ich fühlte mich wohl. Wir hatten zwar wenig Arbeit, nun, da keine Reisegruppen mehr in die Begegnungsstätte kamen, aber wir verstanden uns super miteinander und machten den einen oder anderen Ausflug. Mit der Sprache wurde ich sicherer und allgemein hatte ich eine Routine entwickelt. Ich kann nicht sagen, dass ich Ysselsteyn als mein „Zuhause“ angesehen habe, das tue ich erst seit Mitte Januar mit Einschränkungen. Aber ich war nicht unglücklich hier.
Der Winter beginnt – es geht nach Hause!
Gegen Ende November habe ich mich immer mehr auf meine vier Wochen Weihnachtsurlaub gefreut, ich war voller Vorfreude und konnte es kaum erwarten. Und in der Tat war die Zeit zu Hause großartig. Ich habe so viel unternommen, habe die Tage genutzt und so schöne Erinnerungen gesammelt. Eine Sorge, die ich immer hatte, war, dass die Zeit im Ausland meine Freundschaften kaputtmachen könnte. Aber ich kann jetzt, nach einem halben Jahr Ausland, sagen, dass ich mich meinen Freundinnen noch nie so verbunden gefühlt habe und dass wir irgendwie noch näher zusammengerückt sind. Und auch weil das vergangene Wochenende so traurig war, merke ich, dass ich sie brauche und nicht ohne sie kann. Das ist doch wahre Freundschaft; genügend Menschen verletzen dich, aber echte Freunde sind immer für dich da (jetzt wirds hier aber sentimental).
Neuanfang mit Schwierigkeiten
Die Tage nach Weihnachten waren für mich ganz anders und wunderschön. Es ist schwierig, hier von dieser Sache zu schreiben, ohne von dieser Sache zu schreiben, aber sie hat mich in den letzten zwei Monaten eben sehr verändert und wird immer zu meinem Jahr in den Niederlanden dazugehören. Als ich Anfang Januar wieder zurück nach Ysselsteyn musste, war alles scheiße. Ich habe alles zu Hause vermisst, ich war unglücklich wie nie. Wir hatten kaum Arbeit und uns dementsprechend zu Tode gelangweilt. Wenn man dann noch Heimweh hat, ist es aussichtslos. Nach Feierabend waren Leslie und ich vom Nichtstun so müde, dass wir auch nachmittags nichts mehr unternommen haben. Dass es draußen kalt und dunkel war, kam auch noch dazu. Die Gesamtsituation war niederschmetternd und wir waren mitten im Motivationstief, vor dem uns viele ehemalige Freiwillige und unsere Organisation gewarnt hatten. Das ging mehrere Wochen so.
Aber im Nachhinein kann ich sagen, wir haben eigentlich das Beste daraus gemacht. Ich habe mir viel vorgenommen, ich bin in den letzten sechs Wochen an zwei Wochenenden in Amsterdam bei Edina (auch eine Freiwillige) gewesen und habe noch mehr Freiwillige getroffen. Außerdem habe ich mich über mein Wunschstudium und Kram wie Bewerbungsfristen informiert. Leslie hat mir das Stricken beigebracht und ich habe mehr Sport gemacht. Allgemein habe ich mich gut auf mich konzentriert, auf meine Ziele und meine Wünsche. Mein Zimmer habe ich zum Beispiel auch umgestaltet und neue Sachen gekocht, die ich zuvor noch nie gemacht habe. Ist das nicht der Sinn? So haben Leslie und ich uns unser Motivationstief eigentlich ganz gut vertrieben.
Der Winter geht – es geht nach Hause!
Als mein Bruder letzte Woche zu Besuch kam, war alles perfekt. Der Frühling zeigte sich ganz langsam, ich war voller Vorfreude auf Zuhause und meinem Bruder konnte ich tolle Sachen hier zeigen. Wir hatten Tage mit schönen Unternehmungen, und ich konnte ihm die Niederlande präsentieren, als wären sie mein Heimatland. Da habe ich gemerkt, wie viel ich schon kennengelernt habe.
Und nun bin ich auch in der Gegenwart angekommen. Auch wenn die letzten Tage zu Hause nicht gerade Premium waren, bereue ich nichts und bin mit dem Lauf der Dinge, was mein Auslandsjahr betrifft, zufrieden. Ich habe alles genutzt, was in meinen Möglichkeiten stand.
Durch den Dienst habe ich mich auch verändert. Ich fühle mich irgendwie reifer, als könnten mir viel weniger Dinge Angst machen. Ich habe neue Stärken und neue Leidenschaften entdeckt und blicke positiv in die Zukunft. Übermorgen fahre ich zur Zwischenreflexion und treffe alle Freiwilligen wieder. Ich glaube, die zweite Hälfte vergeht viel schneller als die erste. Das Wetter wird nun immer besser und ich finde mich in den Niederlanden zurecht. Ich habe meine Urlaube geplant und schon Tickets für ein geliebtes Festival mit meinen Freunden im August. Und ich weiß, was ich nach dem Dienst tun möchte.
So scheint es doch, als könnte ich positiv in die Zukunft schauen! Das vergangene Wochenende hat mir sehr wohl gezeigt, dass man sich einer Sache nie zu sicher sein sollte. Das behalte ich immer im Hinterkopf – man weiß nie, was passiert. Der beste Plan kann durch unvorhersehbare Umstände scheitern. Aber der beste Plan gibt Hoffnung. Und so hoffe ich, dass die bevorstehenden Monate schön werden. Die Dinge, die ich beeinflussen kann, werde ich, so gut ich es kann, angehen. Denn darum geht es doch; ich will am Ende nichts bereuen müssen oder mir sagen: „Hättest du mal...“.
Und so bin ich mit mir im Reinen und zuversichtlich, dass die zukünftigen Monate mich glücklich machen. Und nur das zählt.