...der Stille entfliehen...
Arbeitsverbot, Telefonterror und Stress mit der Wohnung: Weniger erfreuliche Ereignisse während einem Freiwilligendienst in der Slowakei...
Die Harmonie, die ich in meinem letzen Beitrag beschrieben hatte, wurde kurz nach dessen Veröffentlichung beendet. Ich erhielt Arbeitsverbot. Ich dachte ich höre nicht richtig, als es hieß, ich würde den Gehörlosen die Arbeit wegnehmen und solle mich anderweitig beschäftigen.
„Wozu habt ihr mich eigentlich geholt?" fragte ich mich im Stillen.
Der Dezember hielt dann noch weiteres lustige Überraschungen bereit. Unter anderem bekam ich nachts anonyme Drohanrufe. In der dritten Nacht des Telefonterrors, habe ich meinen psychopatischen Anrufer mal gefragt, was er eigentlich von mir will. Da hiess es: Ich soll aufhören zu "petzen" und wenn ich mich nicht dafür entschuldige, dass ich mich beschwert habe, würde er mich zusammenschlagen.
Ich habe natürlich gefragt, was er meint. Da sagte die Stimme nur: "Das weisst du ganz genau, wo du gepetzt hast und dafür werde ich dir deine Fresse kaputt schlagen" und er legte auf.
Ich erstarrte vor Angst.
Bis auf meine Organisation, die ich bei der Nationalagentur kritisiert hatte, fiel mir niemand ein.
Ich habe die ganze Angelegenheit der Polizei übergeben wollen, doch die haben mich abgebügelt.
Der Anrufer war anscheinend zu blöd, seine Nummer zu unterdrücken. Also bin ich zur Polente und habe denen das alles erzählt und eben auch die Nummer gegeben.
Der Beamte nickte passiv und meinte: "Ja, wir können da ja gleich mal anrufen". Ich diktierte ihm die Nummer, er wählte und die Zeit schien still zu stehen. Ich wagte nicht zu atmen.
Plötzlich schaute er auf, und sagte: "Kein Anschluss unter dieser Nummer" und seine dämlichen Stielaugen glotzten passiv in mein entsetztes Gesicht. Und in mir nur ein Gedanke: "Ich habe keine Spur mehr!"
Ich hätte mir ja denken können, dass jemand der solche Anrufe tätigt, schlau genug ist, seine Nummer danach zu löschen bzw. den Vertrag aufzulösen. Doch ich gab nicht auf: "In einem solchen Fall, kann man doch bei der Telefongesellschaft fragen, auf welchen Namen die zur Nummer gehörenden Simkarte oder der Vertrag lief", schlug ich vor.
"Nein, nein unmöglich" sabbelte die Stimme des unfreundlichen Polizisten. Ich hasste ihn. Er wollte mir nicht helfen.
Ich hatte keine Chance mehr, ohne Nummer, ohne polizeiliche Hilfe - ich war zum Opfer geworden.
Doch dann geschah etwas Unglaubliches: Mein Handy klingelte und auf dem Display die Nummer des Psychopathen, bzw. das Wort "Psychopath", denn unter diesem Namen hatte ich sie abgespeichert.
Entgeistert hielt ich dem Polizisten das klingelnde Handy vor die Nase und rief aufgeregt: "Er ruft an, er ruft an, nehmen Sie ab"
Dieses Ar***gesicht von Polizeibeamten hingegen erwidert: "Was halten Sie mir das Handy hin, ich geh da nicht ran."
"Aber gerade wollten Sie doch selber noch anrufen", gab ich zurück.
Da fiel mir ein, dass der Polizist mich angelogen haben musste. Dass die Nummer nicht mehr existiert, hatte er sich ausgedacht und mich loszuwerden. Ich wurde wütend, doch ich ließ mir nichts anmerken.
"Er ruft mich doch jetzt gerade wieder an, unternehmen Sie etwas, bitte, ich bitte Sie!" sagte ich verzweifelt.
"Nein, völlig unmöglich, er ruft nicht an, die Nummer existiert nicht" sagte er und ich fragte mich, wie man einen Menschen nur so ins Gesicht lügen kann, wenn doch die Wahrheit so offensichtlich auf der Hand liegt.
Und noch immer klingelte das Handy, ich wurde panisch, mir wurde klar, dass ich vor den Augen eines Polizisten von einem anonymen Anrufer tyrannisiert und dennoch einfach nicht ernst genommen wurde. Der Polizist warf mich raus. "Hau ab!" sagte er und in dem Moment verstummte das Klingeln und eine quälende Stille trat ein. Ich sagte: "Und wenn ich jetzt raus gehe und vor der Polizeiwache zusammengeschlagen werde, dann werden Sie sicher auch wieder sagen: "Nein, völlig ausgeschlossen, diese Körperverletzung hat nicht stattgefunden".
Ich war am Limit. Ich fühlte mich total hilflos und meinem Anrufer schutzlos ausgeliefert. Jetzt wusste ich auch, warum er seine Nummer nicht unterdrückt hatte: Weil ich einem Land war, in dem man keine Konsequenzen zu fürchten hat, wenn man anderen Menschen Angst macht, sie verletzt und quält. Einem Land, wo man als Opfer keinen Schutz erhält und der Willkür des Stärkeren ausgeliefert ist.
Ich wollte nur noch weg. Ich habe meinem Mentor dann davon erzählt, der meinte nur "Ja, ja, versuch mal unbeleuchtete Strassen und unbelebte Gegenden zu meiden".
Wirklich ein 1A Ratschlag, wo er mir doch vor einem halben Jahr eine Unterkunft im absoluten Outback besorgt hatte, wo man nachts ohne Taschenlampe praktisch gar nicht hinfindet.
In den nächsten Tagen hatte ich Angst vor die Tür zu gehen. Ich war ein Nervenbündel, die Angst war immer bei mir, doch dann wurde mir klar, dass es genau das war, was der Anrufer wollte.
Hätte er mich wirklich zusammenschlagen wollen, wäre er nicht so blöd gewesen, das vorher anzukündigen. Er wollte mich nur quälen und diesen Gefallen wollte ich ihm nicht tun.
(Mittlerweile ahne ich, wer hinter diesem ganzen erbärmlichen und feigen Spuk steckt, und da die Person zu den Frequentierern meines Blogs gehört, schreibe ich an dieser Stelle: Wenn du das liest, dann wisse, dass du ein ganz mieses, verlogenes Stück bist und dass du mir eigentlich nur leid tust, dass du unfähig bist, Freude am harmonischen Miteinander zu finden, sondern Befriedigung daraus ziehst, andere zu peinigen. Dass ich unter deinen Anrufen tatsächlich gelitten habe, verbuchst du wahrscheinlich als Erfolg und ich scheue mich nicht davor, meine Angst vor dir zuzugeben und dir damit wahrscheinlich auch noch eine Freude zu machen. Du solltest dich was schämen)
Aus diesen und anderen Gründen bin ich vorzeitig in die Weihnachtsferien gegangen.
Ich war die letzen drei Wochen bei meiner Familie in Deutschland und erlebte eine Renaissance. Auch wenn ich hier im youthreporter, immer alles ganz lustig und unterhaltsam beschreibe, kann ich nicht leugnen, dass ich real unter der Situation wie sie hier nun mal ist, leide. Das wurde mir aber erst durch den Kontrast mit meinem Leben in zu Hause richtig bewusst.
Ich bin mit großen Erwartungen in die Slowakei gekommen, die ich nach und nach alle abhaken musste. Schrittweise bin ich in eine lähmende und ermüdende Enttäuschung und Passivität verfallen, deren schleichende Wirkung ich kaum wahrnahm.
Zurück in Deutschland erlebte ich einen Kulturschock. Ich habe ich plötzlich alles mit einem geographischen wie emotionalen Abstand betrachtet und musste erschrocken feststellen, dass ich hier in der Slowakei eigentlich nur vor mich hin lebe. Klar, ich habe persönlich unglaublich profitiert, doch alle meine Träume, Pläne, Ambitionen und vor allem mich selbst aus den Augen verloren.
Mein EVS hat etwas derart dämpfendes, dass ich mich selbst ganz vergessen hatte und mich nur noch wie ein Roboter in diesem Teufelskreis um mich selbst gedreht habe.
In den drei Wochen zu Hause bin ich aufgeblüht. Ich habe mich erinnert, was ich wirklich wollte, wonach ich strebe, dass ich mich anstrengen möchte, dass ich etwas bewegen und erreichen möchte, dass ich das Leben und die Menschen und Begegnungen und die Vielfalt meiner Möglichkeiten in allen Facetten genießen möchte. Nichts davon habe ich hier in auch nur annähernd würdigem Umfang umsetzen können.
Ich habe während den drei Wochen daheim viele neue Bekanntschaften gemacht und alte Bekanntschaften neu kennen gelernt. Ich habe tausend neue Eindrücke, Inspirationen fuer eine innovativere Lebensgestaltung gesammelt, eine neue Sensibilisierung für die Fülle der Möglichkeiten und des Lebens erfahren.
Es war wie eine Wiedergeburt, zu Hause zu sein und mir wurde bewusst, dass ich hier in meinem EVS in eine totale Parallelwelt abgerutscht bin. Ich bin dankbar für diese Erfahrung, denn jetzt weiß ich wieder, dass ich reich an Chancen und Gelegenheiten bin, mein Leben zu gestalten. Das habe während der ersten Monate EVS vergessen. Ich weiß jetzt auch, dass ich frei bin- frei zu gehen, wohin ich will und frei diesen Reichtum voll auszuschöpfen.
Vor meiner Abreise zurück in die Slowakei hatte ich beschlossen, diese frische, die lebensbejahende Haltung und meine Dynamik hierher mitzunehmen und mich nicht vom langweiligen Alltagstrott, der Inhaltslosigkeit und der öden Stille meines EVS dämpfen zu lassen.
Gestern früh kam ich mit dem Nachtzug an und fiel nach 14-stündiger Reise erstmal in meiner Unterkunft ins Bett und dämmerte ein.
Ich war zufrieden. Ich hatte noch ein paar Stunden Zeit bis Arbeitbeginn und war voller neuer Ideen und Anstöße.
Ein aufgeregtes Gehämmer an der Tür riss mich aus meinen Träumen. Ich schrak hoch und der Gedanke an den anonyme Anrufer schoss mir durch den Kopf. Jemand schien mit aller Gewalt gegen die Tür zu bollern, dass alles in der Nähe befindliche nur so bebte.
Feueralarm, Banküberfall, Sondereinsatzkommando schossen mir durch den Kopf doch dann eine krächzende Stimme:
"Open immedeately the fucking door" und ich wusste, dass es Natalia war, was mich allerdings keineswegs beruhigte.
Wie ich ja bereits letztes Jahr geschildert hatte, musste ich in ihr Zimmer ziehen, in dem ich mich jetzt immer noch befand, während sie und ihr Gestank nun schon mein altes Zimmer bezogen hatten.
Es war ausgemacht, dass es jetzt so bleibt, doch ihre Brutalität gegen Tür und Schloss, ließ eine andere Annahme zu.
Ich war am Ende.
Ich habe wirklich tausend gute Vorsätze gehabt für die beiden ersten Monate des neuen Jahres und die beiden letzten meines EVS.
Natalia hat binnen 5 Sekunden alles kaputt gemacht. Meine gesamte, 3 Wochen lange Regeneration von diesem abscheulichen Ungeheuer sind zunichte.
Sie stand vor meiner Tür und verlangte, dass ich nun schon das vierte Mal während meines Projekts den Wohnort wechseln sollte.
Ich war zermürbt von ihrer Gestörtheit und erschöpft von der langen Fahrt.
Als ich mit zitternden Händen den Schlüssel im Schloss herum drehte, brüllte sie schon wie von Sinnen, "what are you doing in my room"
Ich riss die Tür auf und sagte ihr mal sowas von die Meinung, und dass ich mir das nicht ausgesucht hatte, und dass ich schon allein wegen ihres Geruchs nicht freiwillig da rein gezogen bin. Sie stockte.
Erst jetzt bemerkte ich, dass dort wo man bei normalen Geschöpfen ein Gesicht vermuten wurde, ein angeschwollener, mit Schwitzwasser beschlagener grün-blauer Fladen klebte. Sie war offensichtlich nicht ganz gesund aus Indien zurückgekommen.
Wenn man Natalia so anschaut, kann man sich ganz gut vorstellen, was damit gemeint ist, wenn es manchmal in den Nachrichten heißt, dass in Indien noch Fälle von Pestinfektionen beobachtet werden.
Der Gesichtsfladen jedenfall machte Anstalten zu einem Lächeln und aus ihrem Mund quollen die Worte " oh, I was just kidding" ich entspannte mich und dachte man könnte vielleicht verhandeln, doch kaum erwiderte ich ihr Lächeln, versteinerte sich ihre Miene erneut und sie brüllte wie unberechenbar: Get out of my room within 24h, otherwise i will kill you! Ich knallte die Tuer und ärgerte mich, an diesen Ort zurückgekommen zu sein.
Schlafen konnte ich nicht mehr, da ich aber trotzdem ziemlich müde war, ging ich in die Küche um mir einen Kaffee zu kochen. Weit kam ich allerdings nicht, denn ich fand die Tür verschlossen vor. Ich schaute an meinem Zimmerschlüssel nach dem Küchenschlüssel, der dort die letzte Zeit mit dran war, doch nun war er weg.
„Natalia du Biest" schoss es mir durch den Kopf und in weniger als 10 Sekunden war ich bei der Rezeption unserer Unterkunft.
„Wo ist mein Küchenschlüssel?" fragte ich panisch.
Die matte Stimme der Rezeptionistin säuselte: „Ja, also Natalia ist ja gestern wieder gekommen und wollte in ihr altes Zimmer und deswegen habe ich ihr den Schlüssel mit der Nummer 1 gegeben"
„Wie bitte?" ich erstarrte zur Salzsäule, „Sie haben ihr den Schlüssel zu meinem Zimmer gegeben?"
„Na, Natalia hat doch gesagt, dass es jetzt wieder ihr Zimmer ist, aber als sie festgestellt hat, dass dort jetzt andere Sachen sind, hat sie den Schlüssel freiwillig wieder hergegeben"
hielt die Rezeptionistin ihr zugute.
Ich konnte es nicht fassen, Natalia hatte von meinem Zimmerschlüssel den Küchenschlüssel abgeluchst um ein Druckmittel zu haben, mich zum Umziehen zu bewegen.
Ich machte ich mich auf den Weg zur Arbeit - ohne Kaffee getrunken zu haben.
Als ich ankam, war Natalia schon da, sie stand mit unserem Mentor in der Küche und erzählte, dass sie krank war. Unser Mentor schien nicht ganz zu verstehen, obwohl ein Blick in ihr Gesicht eigentlich genügt hätte.
"Also alles beim Alten" dachte ich bei mir und gesellte mich zu den beiden um mir einen Tee zu kochen.
Plötzlich fing sie an zu husten. Stark. Laut. Brutal. Erst tat sie mir leid und ich sah ein, dass Gesundheit ein Geschenk ist und dass man ja nichts dafür kann, wenn man krank ist, doch das was dann folgte, entbehrte jeder Nachvollziehbarkeit.
Natalia fiel "vor Husten" auf die Knie und ruderte mit den Armen in der Luft bis sie die Tischkante erreichte sie simulierte, sich daran festhalten zu müssen. Mein Mentor schaute besorgt, ich sah einfach nur jemanden, der vor einem Tisch kniet und hustet.
Als sie sich dann auch noch hustend auf den Boden warf und sich dort vor unseren Füssen winden musste, war mein Mitgefühl endgültig aufgebraucht. Sie blubberte zwischen den Hustern Wörter wie "Hilfe" und "ich kann nicht mehr" aber selbstverständlich so verhustet, dass der Eindruck entstand, sie könne nicht mal mehr um Hilfe rufen, so stark sei ihr Husten.
Ich verachtete sie.
Nachdem sie aus der Küche gekrochen war, habe ich sofort auch vor den Tisch gekniet und übertrieben rumgehüstelt. Mein Mentor fand das gar nicht witzig, weshalb ich mir dann sparte, die Nummer mit dem Fußboden auch noch nachzustellen.
Es war doch lächerlich, aber ihre Methode hatte Erfolg:
Für den Rest des Tages wurde ihr freigegeben, um zum Arzt zu gehen. Danach sollte sie, sofern es ihr Zustand zuließ, wieder kommen.
Ich wurde ins Büro gesetzt und sollte dort auf sie warten. Ich weiß nicht, ob ich erwähnt habe, dass ich seit Dezember PC-Verbot habe. Jedenfalls durfte ich mich dort nicht beschäftigen. Ich dachte, ich werde veräppelt.
Ich habe dann zwei Stunden bis zur Mittagspause in der Totenstille gesessen und mir irgendwann gedacht: Entweder ich werde an diesem EVS grundlegend etwas ändern oder ich werde verrückt.
Ich habe mich für die zweite Möglichkeit entschieden und mich für einen Stadtbummel entschlossen.
Als ich allerdings nach einer halben Stunde feststellte, dass ich zum zweiten Mal im Kreis gelaufen war und die so genannte "Stadt" immer noch so öde war wie vor meinem Besuch zu Hause, begann sich, Enttäuschung in mir breit zu machen. Ich wollte etwas erleben, nicht einsam durch diese Trostlosigkeit irren und meine Zeit totschlagen.
Als ich an einem Geschäft vorbeikam und durch das Schaufenster Natalia beim Begutachten eines Kleides erspähte, ging mir die Hutschnur hoch. Auf krank machen und shoppen gehen. Ich muss allerdings zu ihrer Verteidigung sagen, dass sie ganz doll auf das Kleid gehustet hat, also ihre Krankheit nicht total erfunden ist.
Ich war so wütend, dass ich zurück zur Organisation gesprintet bin und mit allen Türen geknallt habe.
Bis auf meinen Mentor hat das niemand wahrgenommen.
Er meinte zu mir, ich darf ausnahmsweise den PC im Logopädieraum benutzen.
Ich also mit juckenden Fingern und neuen Gedanken fuer meinen Blog, steuere optimistisch auf den Logopädieraum zu, öffne die Tür und denke ich bin im zoologischen Garten: Dort saß eine Spezies, die man als Walross nicht treffender hätte bezeichnen können. Das was sich da bräsig vor dem Schreibtisch räkelte, gab sich als neue Mitarbeiterin aus und chattete bei Facebook mit deinen Artgenossen.
"Nein" sagte das Walross, unter dessen Hintern der Chefsessel bedenklich zur Seite geneigt war, "du kannst jetzt hier nicht ran, ich muss arbeiten".
Ich dachte, ich drehe total am Rad. Nicht mal was Privates schreiben durfte ich. Aber das Walross.
Ich bin zu meinem Mentor zurück und der meinte, dass gleich die Schüler fuer die Hausaufgabenbetreuung kommen, ich aber dort tendenziell nicht unbedingt sein muesste - Klartext: unerwünscht bin.
Stattdessen sollte ich lieber mit Natalia ein Konzept für einen Image- oder Werbefilm fuer meine Organisation ausarbeiten.
"Einen Film?" fragte ich "worüber denn?"
"Na über deine Arbeit hier" sagte er verunsichert.
"Na dann stellen wir einfach eine Kamera vor einen der ausgeschalteten Bildschirme im Büro, drücken um 9 Uhr morgens Record, um 16 Uhr nachmittags Stop und fertig ist ein Film über meine Tätigkeit hier, wie er authentischer nicht sein könnte" strahlte ich.
Das fand er nicht so witzig und bat mich, mir doch wenigstens was auszudenken, was man hier machen könnte, allerdings nur mit Natalia.
Ich also wieder zurück ins Büro und den Rest der Arbeitszeit totgeschlagen. Ich fühlte mich elend. Diese Verschwendung meiner Lebenszeit und Energie macht mich krank. Ich halte diese Leere und Stille und Ödnis nicht aus, ich ertrage es nicht mehr tagtäglich in der Stille meiner Organisation zu versumpfen.
Natalia ist es schon und hat sich heute geweigert, zur Arbeit zu gehen. Weil sie zu geizig ist, ihr Handyguthaben aufzuladen, hat sie gefordert, von meinem Handy eine SMS an unseren Mentor zu schicken und abzusagen. Dafür musste sie natürlich wieder in ihrer zärtlichen Art an meine Tür pochen.
Das mit der SMS habe ich dann aber lieber übernommen, woraufhin unser Mentor mich anrief und meinte, Natalia müsste das telefonisch mit der Chefin klären.
Dass das darauf hinaus lief, dass ich ihr nun doch mein Handy geben musste, verärgerte mich und ich erlaubte mir, das meinem Mentor zu zeigen. Mir war eh klar, dass ich mich fügen musste.
Also gab ich Natalia schweren Herzens mein Handy, auch wenn jetzt deutlich weniger Guthaben (keine Ahnung, wie lange die damit telefoniert hat) dafür aber ein paar Pesterreger mehr drauf sind.
Hauptsache, ich muss sie heute auf der Arbeit nicht ertragen, das ist schon mal ein Gewinn.
Heute war der Logopädieraum wieder frei.
Deshalb komme ich auch endlich dazu, meinen Blog weiter zu schreiben, allerdings im Hotmail, denn Word gibt es hier nicht. Das Walross kam dann aber reingeplatzt und meinte, es müsste an den PC. „Jetzt nicht", setzte ich mich zur Wehr. „Ist nur kurz" gab es zurück, und drängte mich vom Bildschirm weg. Kaum hatten seine gierigen Klauen die Maus ergriffen, drückte es im geöffneten Hotmailfenster zielsicher auf X und mein Blogbeitrag war weg. Ich stand daneben und konnte es nicht fassen. Das Walross robbte sich nach ein paar Minuten weg und ich stand wieder da, einsam in der Stille. Ich war fast fertig gewesen. Ich hätte schreien können, um mich schlagen, etwas zerdeppern, doch ich blieb angepasst: Still und stumm. Ich setzte mich zurück an den PC und schrieb alles noch mal.
Verständlich, dass ich nur noch weg will. Dieses blöde Projekt hat meine Bereitschaft, meine Energie und Dynamik zu investieren, nicht verdient.
Ich frage mich, für wen ich das hier eigentlich mache. Ich sitze hier gerade mal einen Tag und merke, dass sich von meinen Vorhaben und Ideen nicht der kleinste Deut realisieren lassen würde.
Ich hatte immer den Ergeiz gehabt, das durchzuhalten. Doch wofür? Weder meine Organisation noch ich haben auch nur den geringsten Nutzen davon, dass ich hier seit bald einem halben Jahr Tag fuer Tag sitze und meine Zeit vergeude. Ich möchte mich doch entwickeln und entfalten, doch die Stille meines EVS betäubt alles. Lähmt mich.
Auch der Gedanke an Natalia ist nicht gerade motivierend.
Sie redet, seit sie hier ist, von nichts anderem als hier abzubrechen. Sie hat dem Projekt nicht mal eine Chance gegeben und dennoch kriegt sie es nicht hin, sich was anderes zu suchen.
Das wirft in mir die Frage auf, wie viel ich eigentlich besser als sie bin.
Ich schäme mich bei dem Gedanken, dass ich mich eigentlich auf die gleiche Weise verar***en lasse wie dieses ätzende Scheusal, dass ich genauso wie sie nicht die Entschiedenheit habe, mich nach etwas anderem umzuschauen. Besonders demütigend empfand ich ihr gespieltes Mitleid, als sie etwa soviel sagte wie : "Oh poor Alex, du hast es ja immer noch nicht geschafft was anderes als dieses EVS zu machen"
"Und ob", hielt ich dagegen und war fest entschlossen, mein langes Schweigen zu brechen, "ich werde die nächste sich bietenden Gelegenheit nutzen, hier weg zu kommen"
Daraufhin war sie verdutzt und begann, mich schlecht zu machen und das Projekt zu loben und zu behaupten, dass es im Gegensatz zu ihr an mir liege, dass ich hier nicht drin aufgehe - alles nur um sich selbst besser zu fühlen.
Ich weiß, dass sie genauso todunglücklich ist und auch nur weg will, aber eben nichts anderes hat. Und deswegen kann sie es mir auch nicht gönnen und kriegt Angst bei dem Gedanken, die nächsten sechs Monate hier allein zu verbringen. Deshalb hat sie plötzlich angefagen, mir zu erzählen, wie toll hier alles ist. Aber ich lasse mich nicht beeindrucken, ich buche das als "Pfeiffen im Keller" ab, und bemitleide sie nicht mal. Ich habe jetzt genug Stärke gezeigt und Energie rein gegeben, die ein anderes Projekt/Praktikum/Auslandsprogramm viel mehr verdient hätte.
Niemand hat etwas davon, dass auf meiner EVS-Bescheinigung oder wo auch immer mal stehen wird:
"Projekt bis zum geplanten Ende wahrgenommen"
Diesen Satz will ich nirgendwo lesen, weil das nämlich gar kein Projekt ist, weil da nämlich eigentlich stehen würde:
"Unverschämtheiten und Zeitverschwendung bis zum letzen Tag tatenlos ertragen"
Ich habe es immer als meine Herausforderung empfunden, das hier durchzuhalten. Jetzt empfinde ich es als meine Herausforderung hier abzubrechen, das Schweigen zu brechen, aus der Stille auszubrechen und zu sagen: "Stopp! Nicht mit mir, nicht mit meiner Lebenszeit"
Das erfordert nämlich vielmehr Rückgrat und Stärke als hier schweigend vor sich hin zu vegetieren und sich krank zu stellen, um sich vor der Arbeit zu drücken.
Ich verurteile es dennoch keineswegs und bewundere es sogar, wenn jemand sein Projekt mit Geduld und Durchhaltevermögen bereichert.
Doch ich sehe keine Perspektive mehr, nicht für mich und auch nicht für mein Projekt.
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