Der ärztliche Alltag in Norwegen – Klinik im Entspannungsmodus
Drei Wochen „clinical teaching“ für die Internationalen Studenten
Nachdem ich nun eine Woche das Leben in Dänemark mit einer Menge an gutem Essen, Sight seeing und der allerbesten Gesellschaft genossen hatte, war ich bereit für etwas unibezogene Arbeit. Für die Internationalen Studenten unter uns wurde speziell ein dreiwöchiges klinisches Programm auf die Beine gestellt, wobei je 1,5 Wochen Pädiatrie und Gynäkologie/Geburtshilfe auf dem Plan standen. Ich hatte mir das ähnlich wie eine Famulatur vorgestellt, bei der wir die Ärzte bei ihrer täglichen Arbeit begleiten und viel lernen würden. Doch das stellte sich leider größtenteils als Trugschluss heraus. Die Tage bestanden aus zweistündigen Seminaren am Nachmittag, die sich (außer von der Tatsache, dass wir als kleine Gruppe in irgendwelche Besprechungsräume im Krankenhaus gequetscht wurden) kaum von normalen Vorlesungen unterschieden…wir besprachen mit mehr oder weniger motivierten Dozenten verschiedene Themen, manchmal gab es etwas fallbezogene Arbeit, um das Ganze „praxisnäher“ zu machen und jeder Student musste eine Präsentation halten.
An insgesamt vier Vormittagen bekam jeder von uns dann doch noch etwas Krankhausalltag zu sehen – und das war zum Großteil auch recht spannend. Meine erste Schicht hatte ich in der hämatologischen/onkologischen Abteilung der Pädiatrie: nach einer ausgedehnten Morgenbesprechung mit Kaffee und Keksen, in der insbesondere die einzelnen Therapiepläne der Chemotherapien besprochen wurden, durfte ich eine Oberärztin bei ihrer Runde auf Station begleiten. Wieder einmal ärgerte ich mich, dass ich so geringe Norwegischkenntnisse besitze, die Ärztin war zwar sehr bemüht mir im Anschluss an die Gespräche das Wesentliche zu übersetzen, dennoch bekam ich vieles nicht mit und hätte bestimmt mehr gelernt, wenn die Kommunikation auf Deutsch oder Englisch stattgefunden hätte. Es war schön zu sehen, wie fürsorglich die krebskranken Kinder behandelt wurden, aber natürlich auch traurig, insbesondere ein siebenjähriger Junge mit einem therapieresistenten Rhabdomyosarkom, der selbst zu seinen Eltern gesagt hatte, er möchte die Therapie abbrechen, da er ja sowieso sterben werde, ging mir und auch der Ärztin nahe. Sie erklärte mir, dass solche Entscheidungen immer sehr schwer zu treffen seien und sprach von der enormen Belastung, die die Familien der Kinder ertragen müssen: in diesem Fall standen die Eltern kurz vor einer Trennung und die ältere Schwester war selbst in psychischer Behandlung – alles Auswirkungen der Krankheit des Jungen. An einem anderen Tag hatte ich die Möglichkeit ein kleines Mädchen mit Lungenentzündung abzuhören und lernte etwas über die Behandlung von Atemwegserkrankungen, ich führte einen Ultraschall bei einer Schwangeren durch und übte mich in der Ambulanz an einigen gynäkologischen Untersuchungen an den Patientinnen. All das gab mir zumindest einen kleinen Einblick, was es bedeutet, in Tromsø als Ärztin oder Arzt tätig zu sein.
Als sehr angenehm empfand ich den Umgang des Personals: hier in Norwegen herrschen im medizinischen System (und gefühlt eigentlich in allen Bereichen des Lebens) sehr flache Hierarchien: jeder wird geduzt und mit Vornamen angesprochen und wenn man nicht auf das Namensschild der Person schaut, kann man nicht unterscheiden, ob man sich mit dem Pfleger, dem Oberarzt oder Chefarzt unterhält. Jeder ist freundlich zu den anderen und Stress existiert praktisch nicht. Ein junger Gynäkologe aus Italien, der hier seit einigen Jahren arbeitet und auch als Dozent bei uns tätig ist, erklärte uns, dass sie oft nur etwa drei Patienten pro Tag zu betreuen hätten und manchmal sei so wenig los, dass die Ärzte sich die Zeit mit Kaffee trinken und Facebook vertreiben müssten. Nach 15:00 sei das Krankenhaus dann prinzipiell „wie eine Wüste“ und jeder Mitarbeiter ginge heim oder ins Fitnesscenter. Auf jeden Fall scheint es ganz anders zuzugehen, als ich es bisher aus den deutschen Krankenhäusern kenne und das hat sicherlich seine Vor-, aber auch Nachteile. Wer als Mediziner eine gute „Work-Life-Balance“ sucht, ist auf jeden Fall in Norwegen gut aufgehoben.
Um diesem Grundsatz während meiner Zeit hier auch treu zu bleiben, gestaltete ich meine großzügige Freizeit natürlich auch wieder aus: mit Wanderungen, Geburtstagsfeiern, gemeinsamen Koch- und Game-of-thrones-Abenden, Yoga und einem Selbstverteidigungskurs, der kostenlos für Frauen von einem Kampfsportverein, der Krav Maga praktiziert, angeboten wurde. Dies ist eine ursprünglich aus Israel stammende Verteidigungstechnik, die speziell auf bestimmte Situationen vorbereitet: wie verteidige ich mich bei einem Messerangriff, wie, wenn mich jemand würgt, wie schaffe ich es auf dem Boden liegend einen auf mir sitzenden Angreifer abzuwehren? Mit einem Partner gingen wir einen Sonntag lang die verschiedenen Techniken durch, übten Tritte und Schläge, aber auch verbal „Stopp“ zu signalisieren und durften am Ende unsere Energie an einem der Trainer auslassen, in dem er sich im Ganzkörperschutzanzug von uns attackieren ließ. Der Kurs war wirklich gut und die Trainer sehr nett und ich war am Ende erschöpft, aber froh teilgenommen zu haben – auch wenn ich in Norwegen als einem der sichersten Länder für Frauen höchstwahrscheinlich nie etwas davon anwenden werden muss!