Dehnübungen aus dem Leben eines Aupairs
Paolino sitzt seit über einer halben Stunde in der Badewanne und will partout nicht heraus kommen. Jegliches gutes Zureden ist gnadenlos gescheitert. Wenn mein verzogener Mini-Italiener nicht will, dann will er nicht.
Paolino sitzt seit über einer halben Stunde in der Badewanne und will partout nicht heraus kommen. Jegliches gutes Zureden ist gnadenlos gescheitert. Wenn mein verzogener Mini-Italiener nicht will, dann will er nicht.
Ich habe versucht, ein Spiel daraus zu machen, ich habe versucht, ihn mit zwei Gute-Nacht-Geschichten zu locken, ich habe versucht, ihm mit Fernsehverbot zu drohen, aber er stellt auf stur und hält sich die Ohren zu, sobald ich etwas sage. Meine Geduld droht zu reißen. Dieser Zwerg von drei Jahren schafft es alle Tage wieder, mein Vertrauen in meine Fähigkeiten mit Kindern aufs Tiefste zu erschüttern.
Mir bleiben also zwei Möglichkeiten. Erstens: Ich kann ihm seinen Willen lassen und meine eigene, hart erkämpfte Autorität untergraben, was sicher stellen würde, dass er das nächste Mal, wenn ich ihn darum bitte, auch nicht aus der Badewanne kommt. Zweitens: Ich kann ihn gegen seinen Willen aus der Badewanne heben, woraufhin er um sich schlagen und lautstark nach seiner Mutter schreien wird. Diese käme angerannt, um ihn zu trösten und würde ihm sagen, dass er auf das hören müsse, was ich ihm sage. Sie würde mir aber gleichzeitig einen Blick zuwerfen, der besagt, dass sie mich nicht dafür bezahlt, das Kind zum Weinen zu bringen.
Ein Aupair-Dasein ist kein Honigschlecken. Täglich renkt man sich fast die Beine aus im Spagat den Kindern eine große Schwester zu sein, Freundin und Autoritätsperson zugleich. Das Aupair hat in der Regel schlechte Karten, sowohl ihre Zuneigung als auch ihren Respekt zu gewinnen, da es unfreiwillig, aber unausweichlich in Konkurrenz zur Mutter steht.
Meine Anwesenheit bedeutet ihre Abwesenheit oder zumindest ihr Keine-Zeit-oder-keine-Lust-Haben. Ich konnte und wollte nicht mit ihr konkurrieren, so blieb ich immer zweite Wahl.
Ein weiteres Problem ist: Wohnort gleich Arbeitsort. Als Aupair hat man nie wirklich Feierabend, weil man auf der Arbeit zu Hause ist. Die Arbeit, die Kinder, sind immer da. Wenn sie in mein Zimmer stürmten, konnte ich schlecht sagen: „Lasst mich in Ruhe, ich arbeite gerade nicht.“ Auf einen anstrengenden Tag folgte oft ein anstrengendes Abendessen mit der ganzen Familie, und das Aufräumen der Küche danach machte sich auch nicht von allein.
Noch ein Spagat begleitet das Aupair-Dasein: Gasteltern gleich Boss. Nicht jedem fällt es leicht, mit einer Person befreundet zu sein, zu der er auch im Arbeitsverhältnis steht. Wenn es Auseinandersetzungen bezüglich der Arbeit gibt, verschwinden diese nicht plötzlich am Abendbrottisch. Und wenn meine Gastmutter mich fragte, wie mein Tag war, musste ich zwischen Ehrlichkeit und Unterlegenheit abwägen und habe ihr meistens nicht erzählt, wie mich ihre verzogenen Bälger um meinen Verstand gebracht hatten.
Trotzdem, für jemanden, der wie ich wirklich gerne Kinder um sich hat und mit ihnen die kleinen und großen Krisen durchsteht, kann ein Aupair-Aufenthalt eine tolle und einzigartige Erfahrung sein. Jeder kennt die Aupair-Horrorgeschichten, die immer gerne wieder in den Medien breit getrampelt werden. Aber man muss bedenken, dass es eben solche Geschichten sind, die die Öffentlichkeit interessieren. Die vielen positiven Beispiele gehen dabei leicht unter, obwohl sie sicher die Mehrheit darstellen.
Trotz meiner verrenkten Beine möchte ich das Jahr in Italien mit Paolino und seinem älteren Bruder nicht missen. Letztendlich überwog für mich immer das Positive. Auf keine andere Weise hätte ich die italienische Kultur näher erfahren können, als in einer italienischen Familie zu leben. Nirgends hätte ich Italienisch so gut gelernt wie im täglichen Umgang mit meinen zwei kleinen Teufeln. Und wenn Paolino mich umarmte, dann wusste ich wieder, warum es sich lohnte seine große Schwester auf Zeit zu sein.
Genau ein Jahr später fand ich mich erneut als Aupair wieder, dieses Mal an der Cote D’Azur mit drei kleinen Franzosen. Julia wollte erst gar nicht in die Badewanne gehen. Wenn sie dann drin saß, wollte auch sie nicht herauskommen. Sie tat immer gern das Gegenteil von dem, was ich ihr sagte. Der Sommer mit ihnen war kaum weniger konfliktreich, aber immerhin hatte ich schon gut trainierte Beinsehnen.