Das lineare Fernsehen ist tot? Wie Netflix, Amazon Prime und Co. unser Leben verändern
Pünktlich um 20:15 Uhr mit der Familie auf dem Sofa sitzen, um das Abendprogramm im Fernsehen zu schauen oder hektisch nachhause eilen, um die Lieblingsserie nicht zu verpassen. Für die meisten Jugendliche und jungen Erwachsenen unvorstellbar. Online Mediatheken wie Netflix oder Amazon Prime haben die Film- und Serienbranche revolutioniert und gleichzeitig die Vormacht des linearen, traditionellen Fernsehens auf die Probe gestellt.
Hast du schon die neue Folge Stranger Things geschaut? Wie findest du Tote Mädchen Lügen nicht? Und fandest du die erste Staffel Riverdale auch besser? Sätze, welche die meisten von uns so oder so ähnlich schon einmal mit ihren Freunden gewechselt haben. Netflix haben – oder eher schauen – schließlich weit mehr als 50% der deutschen Jugendlichen regelmäßig. Die Accounts werden dabei verbotenerweise meist von Freundesgruppen geteilt, um Geld zu sparen. Dass das amerikanische Unternehmen mit Sitz in Kalifornien gegen dieses sogenannte Account-Sharing jedoch nicht vorgeht ist allgemein bekannt und daher nicht nur in Deutschland weitverbreitet.
Das teuerste Abonnemente bei Netflix, das Premium Abo, bei welchem das Film- und Serienangebot in HD und Ultra-HD und auf vier Geräten gleichzeitig genossen werden kann, kostet derzeit 15,99 Euro im Monat. Geteilt durch vier Personen macht dies ungefähr vier Euro für jeden. Vier Euro, welche für die meisten Jugendlichen, selbst bei geringen Mitteln, gut investiertes Geld sind. Denn Netflix bietet von Serien der 90er wie Friends über internationale Erfolge wie Walking Dead bis hin zu aufwendigen Eigenproduktionen wie Haus des Geldes eigentlich alles bis auf Game of Thrones. Das Sortiment wird dabei stetig erweitert und ist rund um die Uhr verfügbar, sodass die Nutzer, selbst wenn Pro7 einmal ausfällt, ihre tägliche Portion Big Bang Theory bekommen können.
Austausch der Kulturen
Netflix ist ein internationales Unternehmen, welches weltweit in mehr als 190 Ländern verfügbar ist und erstmalig im Jahr 2012 nach Europa expandierte. In kürzester Zeit eroberte das rote N den gesamten Kontinent und ist heutzutage aus dem Leben der meisten Jugendlichen nicht mehr weg zu denken. Diese Internationalität gibt Netflix die Möglichkeit in verschiedenen Ländern, mit unterschiedlichen Schauspielern, Regisseuren und Kulturen sogenannte Originals, Eigenproduktionen, zu verwirklichen. Nutzer bekommen somit die Möglichkeit durch einen einzigen Streamingdienst in unzählige Kulturen einzutauchen. Ob in die typische und fiktive deutsche Kleinstadt Winden mit den Protagonisten von Dark oder in das spannende Verbrecherleben mitten in Madrid durch Haus des Geldes, Netflix bietet praktisch jede Lebensweise und Kultur. Auch das Interesse an fremden Sprachen wird durch den Streamingdienst langfristig bei den jungen Nutzern geweckt und gefördert. Vielen ist bewusst, dass die vorhandenen Synchronisationen meist nicht das Niveau der eigentlichen Sprecher und Stimmen halten können oder stören sich an Diskrepanzen zwischen Bild und Ton. Mit einem einzigen Klick gibt Netflix daher jedem Nutzer die Möglichkeit auf die originale Vertonung zu wechseln und mithilfe von Untertiteln der Lieblingsserie zu folgen. Sowohl vor der mündlichen Spanischprüfung im Abitur und dem Au-Pair in England, als auch im täglichen Alltag wird diese Funktion von vielen Europäern genutzt. Schlagzeilen machten jedoch verschieden Internetartikel und Praxistipps aus Amerika, welche, nach dem Erscheinen des deutschen Serienhits Dark ihren Lesern erklärten, wie sie die Sprache auf ihrem Netflixaccount ändern könnten. Das Schauen von Serien in anderen Sprachen, was für Europäer beinahe zum Alltag gehört, ist offensichtlich Übersee noch nicht weit verbreitet.
Des Weiteren bewahrt diese Internationalität von Netflix, wie ich schon selber während meines Freiwilligendienstes erfahren konnte, seine Nutzer auch vor peinlicher Stille zwischen Personen aus verschiedenen Ländern. Politik? – ein eventuell zu heikles Thema. Fußball? – in anderen Nationen eher weniger beliebt. Geschichte? – umgeht man als deutscher sowieso bestmöglich. Netflix? – immer sicheres Terrain. Den Gegenüber einfach nach seinen Sehgewohnheiten oder seiner Lieblingsserie fragen und schon findet man sich in einem angeregten Gespräch wieder. Denn auf Netflix können, anders als auf die klassischen deutschen Fernsehsender, praktisch Personen jedes Landes zugreifen.
Und das gute alte Fernsehen?
22,7 Millionen Deutsche verfügen über ein Abonnement bei einem Video-On-Demand Anbieter wie beispielsweise Netflix oder Amazon Prime, nur noch 54% der 14 bis 29-jährigen schauen täglich lineares Fernsehen. Zahlen, die den klassischen Fernsehsendern wie ARD, ZDF oder auch Pro7 und RTL vermutlich weniger gefallen. Der Fernseher ist bei der jüngeren Generation nicht mehr die Nummer eins, sondern wurde unlängst von Internet und Streaming abgelöst. Einige der Sender reagieren auf diese Entwicklung mit Liveumfragen und Abstimmung im Internet, welche Einfluss auf das Fernsehprogramm haben können oder eigens angelegten Mediatheken. Denn um das junge Publikum zu erreichen, muss das Fernsehen innovativer, interaktiver und offener bezüglich der Zeitgestaltung werden. Das lineare Fernsehen stößt allmählich an seine Grenzen, was sich auch an stagnierenden Einnahmen mit Werbespots erkennen lässt. Derzeit nehmen die deutschen Fernsehsender knapp 4,5 Milliarden Euro für Reklame im Fernsehen ein, ein ähnlicher Wert wie vor fünf Jahren. Unternehmen entscheiden sich vermehrt für Werbung im Internet, um eine möglichst große Masse an Menschen zu erreichen. Einzig und allein Großereignisse wie die Fußballweltmeisterschaft oder der Eurovision Song Contest schaffen es heutzutage noch Generationen übergreifend das deutsche Publikum vor dem Fernseher zu versammeln, ähnlich wie es vor einigen Jahren auch noch Thomas Gottschalk mit Wetten, dass… getan hat. Das klassische Medium Fernsehen, wie wir es heutzutage kennen, ist vielleicht tot, doch lebt der Konsum von Film, Serien und Videos auch in der jüngeren Generation weiter. Die Art dieses Konsums ist jedoch einem starken Wandel unterlegen, nach welchem sich weder an Programm- noch an Zeitvorgaben gehalten wird, sondern über Streamingportale die filmische Unterhaltung selber gestaltet wird. Es liegt an den Fernsehsendern, diesen Wandel entweder bestmöglich mitzugehen und Netflix den Kampf anzusagen oder stattdessen nach und nach die jungen Zuschauer und damit auch die langfristige Zukunft zu verlieren.
Quellen:
https://en.wikipedia.org/wiki/Netflix
https://www.focus.de/digital/experten/mediennutzung-streaming-wie-nutzer-tv-sender-netflix-und-amazon-zum-umdenken-zwingen_id_7751533.html
https://www.zeit.de/campus/2016/02/tv-internet-fernsehen-streaming-zuschauer
https://meedia.de/2018/07/20/10-jahre-meedia-10-jahre-medienwandel/
https://www.heise.de/newsticker/meldung/TV-im-Umbruch-Streamingdienste-immer-beliebter-klassisches-Fernsehen-verliert-4155162.html
https://decider.com/2019/06/21/dark-on-netflix-dub-subtitle/