Das Lächeln des Straßenmusikers
Ein Stück weniger graue Anonymität
Wenn ich morgens im Bus zur Arbeit fahre, passiert selten etwas ungewöhnliches. Ich erkenne einzelne Gesichter von Leuten, die immer mit mir einsteigen oder später zusteigen und weiß, bis wohin sie fahren: die Schulkinder in ihren Uniformen, die dünne Frau mit den Augenringen, der Mann, der die Schulmädchen immer auffällig mustert, die Helikopter-Mutti, die mit ihrer Tochter zur Schule fährt und im Bus gemeinsam Modezeitschriften durchblättern, die Polin, die bis zur Endstation fährt. Ich glaube, keiner von ihnen würde mich wieder erkennen oder sich fragen, warum ich einen Tag nicht den Bus genommen habe.
Die Rückfahrt ist nie gleich, weil ich oft nicht sofort von der Arbeit nach Hause fahre oder an einer anderen Station einsteige, mal mit der Metro fahre. In der Metro kann man gar nicht alle Leute ansehen, so viele sind das. Ich mag Leute gucken, das hab ich manchmal mit meiner Mama gespielt, wenn wir Langeweile beim Warten hatten. Wenn man sich gegenüber sitzt, lässt man schon öfter den Blick schweifen. Knutschende Paare, Leute, die auf ihr Smartphone gucken oder in die Luft, neulich hatte jemand Wasserschildkröten in einer Tupperdose dabei. Man hört chinesisch, englisch, französisch, deutsch. Und dann sind da die, die durch die U-Bahn laufen und die Leute um etwas bitten. Oft sind es Bettler, die eine Krücke dabei haben und einen zerknautschten Pappbecher und Münzen sammeln. Wenn man diese Leute beobachtet, sieht man, dass sie wunderbar ohne Krücke laufen können, wenn sie zur nächsten U-Bahn gehen. Es gibt wenige Bettler, die einfach arm sind und wirklich authentisch wirken. Es gibt Latinos und Osteuropäer, die Taschentücher oder Feuerzeuge verkaufen wollen. Ich habe noch nie gesehen, dass jemandem etwas abgekauft worden wäre.
Und es gibt Straßenmusiker, die in der U-Bahn spielen. Die meisten spielen allerdings in den Unterführungen, an einem Ort, mit Notenständer und allem. Man hört traditionelle Musik, Reggae zum Mittanzen, Geige, etwas zaghaft oder auch jemanden, der einfach am Boden saß und lustlos in eine Flöte pustete, ohne jegliche Melodie und offenbar auch ohne Hut zum Sammeln. Oft muss ich im Vorbeigehen schmunzeln, habe aber kaum Zeit stehen zu bleiben und zuzuhören (oder ich nehme mir nicht die Zeit).
Heute war es anders. Ich war nach dem Bier mit den anderen Praktikanten in der Linie 1 unterwegs. Die nehme ich eigentlich nicht so gerne, weil sie so einen Schlenker macht und ich dann länger nach Hause brauche. An einer Station stieg ein Musiker ein, den ich schon einmal gesehen hatte: er ist klein und hat graue, halblange Locken, trägt Kleidung, die eigentlich etwas zu groß ist und er trägt einen Verstärker mit Lautsprecher und eine E-Gitarre bei sich. Er stellt die Musik ein und spielt seine Akkorde dazu, das Ganze klingt ziemlich gut. Beim letzten Mal dachte ich das auch schon, habe ihm aber aus irgendeinem Grund nichts gegeben. Diesmal bringt er mich sofort zum Lächeln, weil ich ihn schon kenne. Ich stelle die Musik am Handy ab und gucke ihm zu. Einen Moment guckt er hoch und lächelt auch in meine Richtung. Es ist als würde er mich wiedererkennen. Vielleicht gibt er mir auch einfach nur das Lächeln zurück.
Als das Lied zu Ende ist und bevor die Türen aufgehen, geht der Rocker mit einem Becher rum, ich werfe eine Münze ein. Er steigt an der gleichen Station aus wie ich und im Vorbeilaufen muss ich ihn einfach nochmal anlächeln und ganz schüchtern lächelt er zurück. Als wollte er sagen, Ja, ich weiß, du hast mich schon mal gesehen und ich weiß es zu schätzen, dass du jetzt meiner Musik zugehört hast.
Vielleicht ist auch die Metro ein Ort, an dem man die gleichen Menschen wieder treffen kann und wo die Stadt ein wenig kleiner wird, als sie sich abends zur Rush-Hour anfühlt.