Das andere Ende der Welt - China. Ein Resumee
Zwei Wochen China. Das reicht nicht, um ein Land in allen seinen Facetten kennen zu lernen. Um einen Einblick zu bekommen, aber schon.
Wenn China Gestalt annimmt
Als ich vor der Chinafahrt an China dachte, assoziierte ich damit automatisch Begriffe, wie Menschenrechte, Kommunismus oder Tibet, war der Meinung, das Leben dort sei einfach komplett anders. Nun, nachdem wir Chinareisenden für zwei Wochen da gewesen sind, haben wir uns einen Eindruck von der Situation in China machen können.
Für mich persönlich hatte der Chinabesuch zwei Seiten. Es fängt schon damit an, dass die chinesischen Schüler kein Mitbestimmungsrecht bei der Programmgestaltung für uns hatten, die führende Partei, die einzige übrigens, hat bestimmt, was wir wann, wo und wie erlebten. Natürlich wurden wir nur in den besten Hotels einquartiert, bekamen Audienzen bei dem Bürgermeister einer 4,9 Millionen-Stadt und aßen nur in Spitzenrestaurants. Der Preis dafür war aber, dass wir kaum Freizeit hatten und jede Minute des Tages durchgeplant war. Und was wir zu sehen bekamen, waren dann z.B. ein Kunstmuseum mit Bronzefiguren. Allerdings kein ganz normales - Die Büste von Lenin stand neben der von Marx, der als Nachbarn Engels hatte.
In der Schule durften wir mehrmals dem Englischunterricht beiwohnen. Die Stunden, die extrem natürlich herüberkommen sollten, waren offensichtlich einstudiert, das Gesagte war auswendig gelernt worden. Ich finde es ja schön und gut, wenn man sich von seiner besten Seite zeigen möchte, das ist toll, aber häufig hatte ich das Gefühl, dass das, was uns geboten wurde, mehr Schein war als Sein. Und für mich ist das nicht Sinn der Sache, ich möchte ja das Land mit seiner Kultur kennen lernen und nicht nur das Schöne und Makellose sehen.
Das Gefühl, dass vieles sich nur an der Oberfläche abspielte, wurde auch durch die hochgradige Formalität, mit der sich alles abspielte, verstärkt. Immer wurde sich höflich begrüßt, eine Rede gehalten, auf die eine Gegenrede folgen musste, um Anstand zu zeigen und höflich zu sein. Natürlich sieht das schön aus, aber wirklich ehrliche und aufrichtige Freundschaft ist das nicht, wenn man dauernd seinem Gegenüber huldigt, wie toll und wunderbar doch alles sei. Denn das ist die wichtigste Handlungsmaxime: Niemals verursachen, dass jemand sein Gesicht verliert. Also lieber freundlich lächeln und schlucken, als zu kritisieren. Wie aber soll man denn dann ehrlich miteinander sein und sagen, was man denkt? Für mündige, gebildete und meinungsstarke deutsche Jugendliche war diese chinesische Eigenart schwer zu akzeptieren. Doch nach außen hin schwiegen wir und lächelten.
Denn, zu diesem Schluss bin ich persönlich gekommen, die Freiheit der Meinung ist in China wirklich eingeschränkt. Und noch mehr, die Bildung einer echten eigenen Meinung wird in meinen Augen schwierig gemacht. Anstatt uns also z.B. in Interviews zu fragen: "What do you think about this?", bekamen wir häufig nur "Isn't it wonderful?" zu hören. Was soll man darauf schon antworten?
Und trotzdem war die Zeit in China ganz wunderbar und unglaublich spannend und interessant. Denn wie so ziemlich alles, so hat vor allem China, ein Land, welches über Jahrtausende weitgehend autonom und abgetrennt vom Rest der Welt gelebt hat, mehr als nur eine Seite.
Fangen wir doch einfach beim Essen an: Zwar ist es für uns Deutsche ungewöhnlich, Enten komplett zu essen, oder Eier etwas reifen zu lassen (ca. 50 Tage, bevor man sie isst), trotzdem war das chinesische Essen häufig auch sehr lecker. Auch Essen gehört zu der Kultur eines Landes und so sind wir China schon ein Stückchen näher gekommen. Während wir in Deutschland halt Massenzuchtanlagen bauen, um halbe Hähnchen oder Chicken Nuggets essen zu können, wird in China alles von einem Tier verwertet, selbst das Blut wurde manchmal gegessen - soll die Gesundheit stärken. Was ist denn schlimmer?
Auch wohnten wir einer traditionellen Teezeremonie bei und lernten, wie in China seit Jahrtausenden aromatisiertes heißes Wasser genossen wird. Die Ruhe und Ausgeglichenheit, die mir dabei vermittelt wurde, ist kaum vergleichbar mit einem Bier vor dem Fernseher. Die Ausgewogenheit spürte ich auch, als wir einen Nachmittag in den "heißen Quellen" verbrachten, wo verschiedenfarbige und -temperierte Wasserbecken waren und wo man sich einfach nur entspannte. Mehrfach wurde uns die Kunstfertigkeit der Chinesen unter Beweis gestellt, sei es im Umgang mit Porzellan und seiner traditionellen Verarbeitung, oder bei Kalligrafie, dem Zeichnen der unzähligen chinesischen Schriftzeichen mit einem Pinsel. Wir wurden Zeuge von traditionellen chinesischen Tänzen in wunderbaren bunten Gewändern und lauschten der Musik von uns unbekannten Instrumenten. Deutschland hingegen würde ich nun wirklich nicht als besonders traditionsbewusst bezeichnen.
Und wirft man den Chinesen auch gerne mal vor, sie verpesteten die Luft zu sehr, so hat man damit bestimmt nicht unrecht, vor allem bei dem dortigen Verkehr. Nanchang allerdings bemüht sich zum Beispiel sehr, eine grüne Stadt zu sein. Überall gibt es kunstfertige Grünanalagen, wellenförmig angeordnete rote und grüne Büsche und Bäume säumen die Straßen. In den Wohnungen, die eigentlich allesamt in Hochhäusern sind, findet man oft liebenswertes Dekorationsmaterial, das bedeutet: Ich bin Chinese und stolz darauf. Aber Kommunisten sind sie doch allesamt, nicht? Was ist denn überhaupt Kommunismus? Was in China passiert, das ist auf keinen Fall Kommunismus im eigentlichen Sinne, auch wenn wir es vielleicht so nennen.
Erstaunlich sind neben dem Traditionsbewusstsein auch der Zusammenhalt und die Gemeinschaft in China. In dem Land der Einkindpolitik spricht man bei Cousins von Brüdern und Cousinen von Schwestern. Beim Essen ist man selten alleine, alle essen zusammen und nie hat man einen einzigen Teller voll mit Essen. In der Mitte des Tisches stehen viele bunte Schüsseln mit den unterschiedlichsten Gerichten und jeder isst, wonach ihm grad ist. Das Essen ist mehr als nur eine Nahrungsaufnahme, das Essen ist ein Erlebnis: Alle reden durcheinander, lachen zusammen und der Kampf zwischen mir und meinen Stäbchen hat den Mahlzeiten immer noch eine besondere Würze gegeben.
Und obwohl ich auf Chinesisch genauso wenig sprechen konnte, wie meine Gasteltern auf Englisch, haben wir uns gut verstanden. Mit großem Interesse begegneten sie uns Fremden aus Europa und ließen uns teilhaben an ihrem Leben und ihrer Kultur. Wo die Sprache versagte, da half ein Lächeln weiter und die Gastfreundschaft und Herzlichkeit meiner Gastfamilie haben die Barriere Sprache mühelos überwunden.
Wieder in Deutschland bin ich sehr glücklich, an der Reise teilgenommen zu haben. Ich habe viele neue Erfahrungen gemacht, von denen mir einige gut und andere weniger gut gefallen haben. Ich habe viel gesehen, viel gelernt und habe mir ein eigenes Bild von dem großen, unbekannten China machen können. Mit vielen Chinesinnen habe ich Fotos gemacht, viele Kilometer haben wir im Bus zurückgelegt, viele Male habe ich mich über Kulturen ausgetauscht und viele chinesische Gerichte habe ich gekostet und eine Sache ist für mich jetzt klar: Es geht nichts über ein schönes Vollkornbrot mit Käse.
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