Bin jetzt im französischen Team!
Équipe française de ski - es riecht nach Fahnenflucht!
So langsam kann ich einen kleinen Katalog über Norwegen und seine Eigenheiten zusammenstellen, spätestens nach meiner persönlichen Erfahrung mit dem NSB, das norwegische Pendant zur Deutschen Bahn. Es heißt ja, jeder dritte Zug der Deutschen Bahn hat Verspätung. Jeder dritte? In Norwegen schafft der NSB diese Glanzleistung bei fast jedem Zug. Hintergrund dieses Faktums ist meine Heimreise gestern Abend von Geilo nach Oslo. Ich wollte schon gestern Abend nach Hause reisen, um den Sonntag in Ruhe zu Hause verbringen können. Es gab drei Möglichkeiten, mit Hilfe von Straßen- und U-Bahn den Bus abends um 11 zu schaffen. Zuerst kam der Zug mit fünf Minuten Verspätung in Geilo an, wahrscheinlich, weil so viele Skiläufer und wohl auch ein paar Betrunkene in Ustaoset einstiegen, wovon die meisten aber in Geilo wieder ausstiegen, um das Fest auf ihren Hütten fortzusetzen. Nach einer kurzen Weile hatten wir aber schon eine Verspätung von stolzen 15 Minuten. Zwischendurch wuchs diese bis zu einer halben Stunde an, wir hielten minutenlang an und kamen mit rund 15 Minuten in Oslo wieder an. Ich sprintete zur U-Bahn, bekam die letzte der drei Möglichkeiten und verpasste den Bus trotzdem mit weniger als einer Sekunde. Marit hatte mir aber schon Bescheid gegeben, dass mein Gastbruder Steinar sich nicht so früh hinlegt und ohnehin das Auto wieder abliefern muss und er konnte mich dann Gott sei Dank abholen. Während ich wartete, öffnete sich in dem Haus hinter mir das Fenster und eine Frau meinte, wenn ich in einer halben Stunde immer noch dastehe, könne ich reinkommen und mich etwas ausruhen. Genau in dem Moment kam dann Steinar.
Heute habe ich dann schön bis um elf geschlafen, brauchte aber dann doch meine Zeit, um richtig in Gang zu kommen, fühlte mich doch noch leicht durchgeleiert. Der gestrige Tag war ja auch der stressigste gewesen, auch wenn ich das Jurytreffen morgens halb fünf nicht antreten musste. Denn gestern hatte das Skarverennet stattgefunden, das nun wirklich allerletzte Skirennen dieser Saison! Das ist ein 38km langes Tourrennen von Finse nach Ustaoset mit bis zu 12.000 Teilnehmern und auch vielen Leistungssportlern.
Per und ich kamen am Donnerstagabend in Geilo an, wo wir wohnen sollten. Wir mussten etwas auf unsere Zimmer warten, da das Hotel nicht zwei Zimmer, sondern nur eines gebucht hatte. Nach dem Abendessen war das erste Jurytreffen in der Geilohalle, eine große Sporthalle, an der auch das Leistungssportgymnasium (Toppidrettsgymnas) untergebracht ist. Davon gibt es in Norwegen noch welche in Lillehammer, Tromsø, Bærum und Kongsvinger. Sportgrößen wie Ole Einar Bjørndalen (Biathlon), Lasse Kjus (Abfahrt) und Thor Hushovd (Radsport) sind auf diese Schulen gegangen.
Am Freitag sollten wir die Loipe inspizieren, denn eigentlich war es mit dem Schnee etwas bedenklich, wie im Vorfeld reichhaltig von den norwegischen Medien berichtet wurde. 8000m³ Schnee waren aufgefahren worden, um die Loipe zu präparieren, die dieses Jahr aufgrund der besonderen Verhältnisse einen leicht geänderten Verlauf hatte, sich aber wahrscheinlich als Loipe der Zukunft erweisen würde. Wir fuhren die Loipe mit drei Schneemobilen ab, Per (Ass. Techn. Deligierter), Jorunn (TD), ich mit den Fahrern Stein Erik (Rennleiter), Gillard und Erlend. Wir legten ca. 80km an diesem Tag zurück, denn wir fuhren auch mal ein bisschen anders, hielten oft an, usw. Sprachen mit den Sanitätern, der Polizei, die auch da war. Eigentlich war es durch das strahlende Wetter sehr warm, aber ich hatte mich für die Scootertour trotzdem dick eingepackt, was sich als goldrichtig erwies, denn oben in den Bergen kam Wind auf.
Erlend als "linselys" (jemand, der sich aus Bild schmuggelt]
Man fährt von Ustaoset hoch auf ein Plateau, flankiert vom Hallingskarvet (einer Bergkette mit einigen Kletterwänden mit teils leider brüchigem Gestein) und wieder ein Stück runter nach Finse, wo das Rennen eigentlich beginnt. Finse liegt auf genau 1222 Metern über dem Meeresspiegel und ist nur per Zug oder Hubschrauber zu erreichen. Letzteres sollten wir auch mal fliegen, aber daraus wurde dann nur für Jorunn etwas, die während des Skarverennets den Start überwachen sollte. Na ja, fliege ich eben mal bei meinem lieben Freund Karl in Österreich mit. Die Rückfahrt wurde dann sehr holprig, denn der Schnee begann, sehr weich zu werden, mehrmals gab es brenzlige Situationen, umzufallen. Ich wechselte unterwegs von Stein Erik als Chauffeur zu Gillard, bei dem ich mich doch ein Stück weit sicherer fühlte - er fuhr sicher risikoreicher, hatte dadurch aber auch mehr Sicherheit und Erfahrung. Einmal streckte ich mein Bein im Reflex aus und bumm, rammt es beim Zurückziehen volle Kanne gegen das Schneemobil, aber sonst lief alles gut. Ach, und lieber Papa, für so ein Schneemobil brauchst du einen extra Führerschein und das hat seinen Grund! Wie auch der Helm. Vom vielen Festhalten hatte ich dann auch gleich Muskelkater in den Armen. Ich kann schon unumwunden zugeben, dass die Tour zum Haugsetern während der Ridderuka etwas entspannender war, auf dem Schneemobil merkt man den Krach und Benzingeruch eben auch stärker. Trotzdem war es eine schöne Tour, vor allem aufgrund des Wetters.
Nachmittags wieder Jurytreffen und Ausgabe der Startnummern für die "Seeded groupe", also derjenigen, die in den ersten Reihen beim Start stehen dürfen und somit einen Vorteil haben. Ich habe diese Gruppe anhand der FIS-Punkte zusammengestellt. Trotzdem erlebten wir dann noch einige Überraschungen, als plötzlich ein paar Franzosen, wie z.B. Christophe Perillat und Alexandre Rousselet auftauchten, die wir dann noch schnell auf die Liste gesetzt haben. Und Vorjahresgewinner Curdin Perl aus der Schweiz bekam nicht Startnumer 1, das war auch komisch. Eigentlich hätte 2010 auch Petter Northug (der die Nummer 1 bekam) gewinnen müssen, aber da gab es als Sprintprämie ein Auto und als Petter das hatte, hat er sich reingesetzt (es stand direkt an der Loipe) und ließ Curdin Perl vorbeifahren.
Abends war dann ein sogenanntes Sponsorenabendessen, aber es war eher ein Buffet, bei dem auch viele Athleten dabei waren, unter anderem ein ganzer Bunk Franzosen, die mit diesem Rennen Abschied von Vincent Vittoz als aktivem Athlet und Roberto Gaal als Trainer feiern wollten. Mit ein paar von ihnen habe ich auch ein wenig geplaudert.
Die Nachrichten wurden natürlich nur von der "kongelig bryllup" (königlichen Hochzeit) bei den Angelsachsen beherrscht. Ich bin da ein zwiespältiger Mensch, auf der einen Seite gehört so etwas für mich eher ins Märchen oder Mittelalter bzw. in eine Zeit, in der Könige eine andere Stellung in der Gesellschaft hatten, auf der anderen Seite ist es genau aus diesem Grund in einem gewissen Maße faszinierend. Aber ich hätte mir trotzdem noch etwas andere Berichterstattung gewünscht, die Zeit ist an diesem Tag ja auch nicht stehen geblieben.
Die Jury traf sich morgens 04h30, aber ich konnte zumindest bis sieben Uhr schlafen. Danach fuhren Per und ich nach Ustaoset, um Erik Andresen, der eigentlich beim Skikreis Sør-Trøndelag in Trondheim arbeitet, und einen Freund einzusammeln und in Haugastøl abzusetzen, von dort aus startete das kleine Skarverennen, ungefähr 22km lang. Anschließend fuhren wir noch etwas in das Hardangergebirge hinein, welches ja bei Ustaoset beginnt und sahen auf das Hochplateau der Hardangervidda, sehr schön, aber durch seine Regelmäßigkeit auch etwas monoton. Wieder in Ustaoset, ging es zur Loipeninspektion, hochlaufen bis zu der Stelle, an der die Wettbewerbs- von der Tourklasse getrennt wurde, etwa 2km vor dem Ziel. Denn die letzte Abfahrt war zu schmal, um 12.000 Läufer dort hinunter fahren zu lassen und gleichzeitig den Leistungssportlern ein Durchkommen zu ermöglichen.
Warten auf die Skistars
Die Tourläufer mussten den letzten Kilometer zu Fuß laufen, denn dann reichte der Schnee nicht mehr. Machte aber nix, denn die Zeit zählte für die Tourläufer nicht. Sie konnten bis vor Start des Wettkampfes der Leistungssportler starten, wann sie wollten und unterwegs Lagerfeuer machten oder durchrennen und bereits acht Uhr morgens wieder in Ustaoset sein. Dieses Recht haben im Prinzip auch die Leistungssportler, Petter Northug verstand z.B. schnell, dass er nicht in Form war und nahm sich die Zeit, abseits von Medien, die sich nicht in die Loipe gewagt hatten, ein bisschen volksnah zu sein. Im Zielbereich sollten Per, ich und ein paar andere die Reihenfolge der ins Ziel Kommenden überwachen.
Da war es noch eine Norwegerin... :)
Bei diesem Skarverennen war es erstmals so, dass es im Ziel nur einen Gewinner geben konnte, keine Unterscheidung zwischen Mann und Frau, nur bei den Sprintpremien (ähnlich der Tour de Ski) unterwegs gab es das. Die Damen hatten einen Vorsprung von zwölf Minuten auf die Herren und hatten erstaunlich viel Vorsprung eine ganze Weile lang. Erst als die Schneeverhältnisse zum Ende schlechter wurden, konnten die Männer aufholen. So lieferten sich Frode Andresen (eigentlich Biathlet), Chris André Jespersen und Jean Marc Gaillard ein Kopf-an-Kopf-Rennen, das Gaillard für sich entscheiden konnte, worüber ich mich sehr gefreut habe, ich finde ihn sehr sympatisch. Zeiter wurde Jespersen vor Andresen. Gaillard gewann nicht nur die 100.000 NOK Prämie für den ersten ins Ziel Kommenden, sondern auch ein Auto von Hauptsponsor Subaru für ein Jahr. Die Franzosen waren vollkommen aus dem Häuschen und verließen den Zielbereich nicht, bevor alle ins Ziel gekommen waren. Dabei war ich wieder ein bisschen mit ihnen ins Gespräch gekommen und wurde dann von ihnen in Beschlag genommen. Alex Rousselet kam dann auf die verrückte Idee, wir könnten doch unsere Jacken tauschen. (Alexandre läuft jetzt größtenteils Tourrennen, nachdem es im Weltcup eher mittelprächtig lief, einmal konnte er u.a. mit der Staffel siegen, bewegte sich ansonsten in den 20er-Rängen.) Und das haben wir dann auch getan, ich bekam seine blaurote französische Trainingswindjacke, etwas groß, aber witzig ist es allemal gewesen. Per hat es auch ruhig aufgenommen (Gott sei Dank...:) ), aber das musste einfach gemacht werden! Bin doch sonst so brav, da muss ich auch mal was Verrücktes machen. Vielleicht organisiere ich mir eine dünnere Ausgabe meiner früheren Traingsjacke aus dem Lager unter unseren Büros in Oslo. Wie auch immer, zusammen mit Alexandre suchte ich vorher noch nach seinem Rucksack, der unter vielen anderen an der Zugstation Ustaoset zu finden war, an der dann nach und nach der Rest der Franzosen auftauchten, alle übrigens aus dem Alpenraum stammend, von Anecy bis Pontarlier. Keiner wusste, wann die Siegerehrung war, ich auch nicht, es waren zwei verschiedene Zeiten gesagt worden und der Sprecher (WM-Sprecher Kjell-Erik Kristiansen) hat es nicht auf die Reihe gekriegt, das Ganze auf Englisch zu sagen, wo er doch sonst alle möglichen Sprachen spricht; wobei es auf Finnisch auch nicht viel genützt hätte. Gaillard stand jedenfalls alleine auf dem Podest, da Andresen und Jespersen anscheinend schon prämiert worden waren. Perillat meinte etwas verwirrt zu mir, wie das denn in Norwegen sei, kämen die Frauen zuerst und dann die Männer, denn als wir kamen, war ein Teil der Damensiegerehrung absolviert worden, aber nach Gaillard wurde noch die Damendritte ausgezeichnet. Schließlich vergaßen sie noch die Siegergeschenke für Gaillard, denn das war ja nicht nur das Auto, sondern auch lokale Geschenke, die dann eben noch nachgereicht wurden.
Potenzielle Kletterwand?
Bei diesem Rennen waren alles zufrieden, aber die Siegerehrung ist stark verbesserungswürdig. Direkt nach dem Zieleinlauf würde ich sie aber auch nicht machen, denn Gaillard wurde z.B. schnell kalt, für ihn war es sehr notwendig, sich umziehen zu können. Es muss einfach deutlich für alle gesagt werden.
Nach Rennschluss gab es noch ein abschließendes Jurytreffen, Per und ich fuhren danach zum Hotel, um zu Duschen und bevor ich mit dem Zug nach Oslo fuhr, gab es noch Tapas zum Mittagessen, bestehend aus Tsatsiki, spanischer Salami und französischem Käse mit Salat, Schafskäsesalat sowie einem etwas merkwürdig aussehendem französischem Etwas.
In dieser Woche steht für mich Arbeitseinsatz im Garten an, denn der Garten hat bis dato kein Gras, da er letztes Jahr komplett umgegraben werden musste. Am Freitag fahren Marit und Familie dann zu einer Konfirmation nach Dale (Sunnfjord), während ich mich am Sonntag nach Madrid zu meinem herzallerliebsten Brüderchen aufmachen werde, da freue ich mich schon sehr sehr drauf! Aber ich wünsche etwas sommerlichere Temperaturen, wie es sich für "den Süden", wie man in Norwegen sagt, gehört.
Kenavo (tschüss),
eure Henni