Bilder vom Leben
Auf einer Zugfahrt von Sarajevo nach Zagreb begegnet Theresarajevo einem Künstler, der sie zum Nachdenken bringt: über Heimat, andere Nationen und darüber, was Frieden wirklich bedeutet.
Seine Glatze glänzt und Schweiß steht ihm auf der Stirn. Das Leben hat Falten in sein Gesicht gezeichnet. Mit seinen silbergrauen Augen fixiert er meinen Blick und fragt, ob er sich mir gegenüber setzen darf. Als ich bejahe stapelt er schon mit zittriger Hand sein Gepäck auf den Nebensitz, um sich kurz darauf mit einem Stöhnen plumpsen zu lassen. Er reist, entgegen der Fahrtrichtung, mit mir im Bus von Sarajevo nach Zagreb.
Unaufhörlich klickt er sich durch die Bilderdatei seiner Kamera, während ich versuche Buchstaben zu Wörtern und Zeilen zu Sätzen als Abenteuer zusammenzufassen. Doch das Klicken stört mich zu sehr beim Schmökern meines Romans. Ich lege mein Buch zur Seite und schon habe ich den Fotoapparat auch unter meiner Nase. Ich sehe das Bild im Bild, denn offensichtlich war er Besucher einer Kunstausstellung. Meine Vermutung bestätigt sich, als er einen Bildband aus seiner Tasche zieht und erklärt, dass sein ehemaliger Professor Schöpfer dieser Fertigkeiten war.
Mit meiner Eingebung, dass wohl auch er Künstler ist, sehe ich wie sein Antlitz mit voran streitender Fahrt zunehmend an Farbe verliert. Sein schon gedrungenes Erscheinungsbild, welches unweigerlich dem eines Triebtäters oder Serienmörders gleicht, wird dadurch nur betont.
Plötzlich fängt er zu Würgen an, tupft sich mit einem Tuch die Stirn, hält es dann vor den Mund und bittet mit dumpfer Stimme, sich neben mich setzen zu dürfen. Offensichtlich verträgt er das Reisen nur, wenn er in Richtung des Ziels sitzen kann. Deswegen sage ich aus Höflichkeit ja, bete aber innerlich, dass er nicht zu kotzen beginnt.
Neben mir sitzend atmet er dreimal tief durch und versucht dann die bisherige Kommunikation fortzuführen. Er stellt sich mir vor, doch ich verstehe seinen jugoslawischen Namen und auch den Rest des Satzes nicht. Für die anfänglich oberflächliche Gesprächsbasis reichten meine bis dato gesammelten Bosnisch-Serbisch-Kroatisch-Vokabeln noch vollkommen aus. Mittlerweile bin ich jedoch an die Grenze meines Sprachgebrauches angekommen, wechsle ins englische und stelle mit Erstaunen fest, dass mein Gegenüber die Weltsprache nicht beherrscht.
Nachdem ich ihm entschuldigend erzähle, dass ich ursprünglich aus Deutschland und dem Speckgürtel von Berlin komme, zeichnet sich ein sanftes Lächeln auf seinem Gesicht ab. Nicht wegen meiner Sprachkenntnisse, sondern wegen von ihn gefunden Gemeinsamkeiten, wie er sie mit Bleistift in mein Notizbuch malt. Er abstrahiert erst mich und dann einen Umriss von Berlin, teilt die Karte mit einem Strich und setzt einen Kompass daneben. Wir kommunizieren über Zeichnungen und offensichtlich will er wissen ob ich west- oder ostdeutsch bin. Ich überlege, offenbare ihn dann aber doch, dass ich aus dem Osten komme. Sein Lächeln wird zu einem breiten Grinsen und die Skizzen auf dem Papier werden zu Gedanken in meinem Kopf.
Er ist in Jugoslawien und ich in der Deutschen Demokratische Republik geboren. Unsere Geburtsländer, zwei sozialistische Staaten, sind auf keiner aktuellen Karte mehr zu finden, weil es sie einfach nicht mehr gibt. Doch wir beide, er aufgewachsen in Südosteuropa und ich in Ostdeutschland, sind Ossis auf Lebenszeit.
Er tippt mit dem rechten Zeigefinger auf das Papier, den Strich durch Berlin, während er mit seinem linken Arm nach draußen deutet. Gerade fährt der Bus von der Föderation Bosnien-Herzegowina in die Republika Srpska. Blitzartig sind die Straßenschilder nicht mehr in lateinischer, sondern in kyrillischer Schrift. Bosnien-Herzegowina besteht seit dem Friedensvertrag von Dayton aus zwei autonomen Teilstaaten. Wie Deutschland infolge des Zweiten Weltkriegs entzweit, zerteilte der Balkankrieg Jugoslawien und entzweite dessen Teilrepublik Bosnien-Herzegowina. Ein Land in dem nunmehr keine Mauer wie in Berlin geziegelt, sondern in den Köpfen geschmiedet wird. In Bosnien-Herzegowina leben ethnische Gruppen getrennt mit Vorurteilen sowie unterschiedlichen Schriftarten und ich begreife, dass Frieden mehr ist, als die bloße Abwesenheit des Krieges.
Inzwischen müde geworden ziehe ich eine Decke über den Körper und bette meinen Kopf auf meiner zusammengeknüllten Jacke am Busfenster. Ich döse vor mich hin und merke, dass der mir noch immer unbekannte Kunstliebhaber aus Zagreb weiterhin malt und stetig meinen durch die Fahrt verrutschten Überzug richtet bis wir schließlich die Endstation in Kroatien erreicht haben.
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