Belgien - ein Land, ohne Regierung
Und das bereits seit über einem Jahr!
Das Belgien nun seit über einem Jahr keine Regierung mehr hat, haben sicherlich mittlerweile viele mitbekommen. Die flämische und die wallonische Partei kommen einfach nicht mehr auf einen gemeinsamen Nenner und niemand ist bereit, auf den anderen zuzugehen. Was dabei aber in den Belgiern wirklich vorgeht, wissen wohl nur sie selbst. Oder die Leute, denen sie es erzählen.
Da ich nun seit zehn Monaten in Belgien lebe, ist das Thema natürlich auch an mir nicht vorbeigegangen und ich habe viele verschiedene Meinungen zu hören bekommen.
Der interessanteste Standpunkt ist wohl, dass viele Belgier eine Trennung des Landes befürworten. Ich, und wahrscheinlich alle Deutschen, die die Berliner Mauer und deren Folgen im Kopf haben, können sicherlich nur verständnislos und irritiert den Kopf schütteln über derlei Äußerungen.
Aber man muss schon eingestehen, wenn es so nicht weitergeht, und die flämischen Anliegen nicht mehr mit denen der Wallonier übereinstimmen, welche Möglichkeiten gibt es?
Und die Menschen hier wollen auf jedenfall eine Regierung!
Sie verlangen danach und machen dieses Verlangen mit verschiedenen Aktionen deutlich. So gab es schon mehrere Demonstrationen, ca. 700 Belgier wollen sich nicht mehr rasieren, bis es eine neue Regierung gibt und es gab auch schon den Vorschlag, alle Politikerfrauen sollten auf Sex verzichten, um noch mehr Druck auf ihre Männer auszuüben. Skurril und bisher auch noch ergebnislos.
Je länger dieser Zustand des regierungslosen Belgiens andauert, desto mehr scheint das Thema im alltäglichen Leben der Belgier in den Hintergrund zu rücken. Irgendwo verständlich, denn immerhin läuft alles recht ruhig und ohne größere Katastrophen weiter und man merkt kaum, dass es zurzeit keine legitime Regierung gibt.
Übrigens, solange dies so bleibt, also solange keine neue Regierung zustande kommt, darf die zuletzt abgewählte Regierung stellvertretend weiter die Geschäfte führen. Und obwohl sie eigentlich keine Entscheidungen treffen dürfte, die vor allem die Zukunft betreffen und beeinflussen, beschloss sie dennoch, dass auch das belgische Militär am NATO-Einsatz in Libyen teilnehmen soll. Die Belgier lassen das alles so laufen wie es ist. Mehr, als auf eine neue Regierung zu bestehen und dafür zu protestieren, können sie auch gar nicht tun.
Meine Mentorin und ich reden sehr viel und natürlich auch über dieses Thema. Sie hat noch zu mir gesagt, dass sie sich manchmal richtig für die Parteien schämt und sich denkt, dass die ganze Welt über Belgien lachen müsste, da sie noch nicht mal eine Regierung zustande bekommen. Natürlich ist das irgendwo merkwürdig und man mag sich tatsächlich fragen, was daran so schwierig ist, aber es ist doch auch beachtlich, dass dennoch alles geregelt weitergeht.
Meine Mentorin sagte übrigens auch, dass sie Angst hat, dass nun vielleicht Nazis die Gelegenheit nutzen könnten. Denn hier in Belgien leben eine Menge Ausländer (allein hier in Genk sind von 65.000 Einwohnern 60.000 von ausländischer Herkunft) und es gibt viele Belgier, denen das absolut nicht gefällt.
Das in Belgien so viele Ausländer wohnen, vor allem Türken und Marokkaner, begründet meiner Meinung nach auch, warum die Belgier es so leicht wegstecken, wenn man über die Trennung des Landes redet. Es gibt kein nationales Zusammengehörigkeitsgefühl in diesem Land. Die Marokkaner bleiben größtenteils unter sich, ebenso die Türken. Und selbst die Belgier sind nicht eine Gruppe, sondern teilen sich noch in französischsprachig und flämisch sprechend. Es würde ihnen nichts ausmachen, wenn Belgien so nicht mehr bestehen würde.
Bei der Trennungstheorie gibt es allerdings zwei Probleme. Zum einen wären die beiden Gebiete, Wallonien und Flandern, auf sich allein gestellt viel zu klein, um ein eigenes Land zu bilden und zum anderen, betrachten beide Parteien Brüssel als zu sich gehörend.
Man darf also gespannt sein, wie es hier in Belgien weitergeht und welche Lösung schlussendlich gefunden wird.
Möglicherweise werde ich eines Tages sagen „Ich habe Europäischen Freiwilligendienst in einem Land gemacht, dass es heute nicht mehr gibt.“
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