Bayram, Blutbad und mein Leben als Promi
Ein grober Überblick über Woche I. Erwartet pikante Details und – achja, sorry, dass es nicht wie versprochen direkt am nächsten Abend kam. Es passiert hier einfach zu viel.
Über die Ankunft, die Arbeit und die erste Woche Leben in Gaziantep.
06/11/2011 - Gaziantep
"Merhaba! Nasıl sen?" – wo ich auch hinkomme, werde ich hier herzlich empfangen. Dass man sich zur Begrüßung hier (unter Männern) umarmt und auf die Wange küsst, ist normal für mich geworden.
Dienstag, erster Arbeitstag: nach ca. einer Stunde Verspätung bringt uns der „Minibus“ zur Uniklinik am Stadtrand von Gaziantep. Umgeben von Geröll und wüstenartiger, sandgelber Landschaft steht ein Gebäudeklotz, die Onkoloji. Mit den etwa fünf Kindern basteln wir Rasseln aus Klopapier- und Küchenrollen. Den Raum dürfen wir aus Hygienegründen nur mit Plastikhüllen um die Schuhe betreten, ich trage wegen einer akuten Erkältung einen Mundschutz. Via Händen und Füßen mache ich den Kindern klar, wie's gemacht wird – meine rudimentären Türkischkenntnisse reichen hier bisher etwa für den obigen Satz. Schlimm ist das nicht, man versteht sich auch so und den Gesichtern der Kinder ist abzulesen, dass es Ihnen Spaß macht. Etwas desorganisiert läuft das Ganze ab – am Ende halten aber alle eine Rassel in der Hand. Gelungen!
Nach dem Mittagessen geht’s ab zur Primary School, wir bringen Viertklässlern Englisch bei. Je zwei Freiwillige kümmern sich um eine Klasse von ca. 30 kleinen Bengeln und Bengelinen. Szuszanna, Mitfreiwillige aus Ungarn macht das schon länger, alles läuft easy. In der Klasse werden wir mit einem Begeisterungssturm empfangen. Als Ausländer klar erkennbar, sind wir hier Stars, werden von allen Seiten von Kindern umringt und mit großen Augen angeguckt. Auf die Frage, wo im Schulgebäude die Toiletten sind, reißen sich die Kinder darum, wer mir den Weg zeigen darf. Man hat gleichzeitig einen Riesen-Respekt vor uns – ob, das bei Lehrern hier allgemein so ist oder ob es auch unser Promistatus ist, ich weiß es nicht. Wahrscheinlich eine Mischung aus beidem. Sobald einer von uns die Stimme erhebt ist kein Laut mehr zu hören. Irgendwie schaffen wir es, die Kinder unheimlich zu motivieren, in der Englischstunde am nächsten Tag haben ¾ der Kinder, deren Hausaufgaben ich kontrolliere noch mindestens ein, zwei weitere Aufgaben erledigt und zeigen sie stolz vor. Am Ende des Unterrichts wollen die Kinder von den Mädels Autogramme haben, ein kleines Mädchen kommt nach vorne und schenkt uns Kekse. Wahnsinn!
„Iyim. Bomba gibiyim! Sen nasıl sen?“ – Sätze wie dieser, Antwort auf die obige Frage, öffnen mir Türen. Im „Münir Onat“, einer Art Jugendzentrum für Jungs aus schwierigem Familienhintergrund, schaut mich Freitag ein kleiner Junge misstrauisch an. So nach dem Motto „Was will der denn hier?“. „Merhaba. Nasıl sen?“, frage ich, „Hallo, wie läuft's?“, und gebe ihm die Hand. „Sen nasıl sen?“, fragt er, immer noch misstrauisch. „Bombig!“ (s. o.) antworte ich und ein Leuchten geht über sein Gesicht. Schon werde ich über Herkunft, Alter und Lieblings-Fußballteam ausgefragt. Kann man ein paar sprachliche Basics hier, hat man v. a. bei den Kindern schon gewonnen. Natürlich bleibt es nicht bei diesen Basics, drei mal die Woche habe ich Sprachkurs hier in der Einrichtung. Die ersten fünf Seiten meines Moleskine-Notizbuchs sind gefüllt mit türkischen Vokabeln, die ich im Laufe des Tages mitkriege.
Freitag Abend gibt es dann eine Art Begrüßungsabend für den neuen Mentor Sinan und für die neuen Volunteers (Sabrina und mich). Wein, Weib und Gesang wird fleißig zugesprochen. Ca. 24h ist Ende in der Association, danach gehts ab in die WG für den kleinen Absacker. Das Wochenende leitet Kurban Bayramı (allgemein „Bayram“) ein, das islamische Opferfest zum Gedenken an die verhinderte Opferung Ismaels durch seinen Vater Abraham auf dem Berg (na, klingelt da was?). Traditionell schlachtet an diesem Tag jede Familie ein Schaf. Das Fleisch des geschlachteten Schafes wird traditionell zubereitet und an die gegeben, die es sich nicht leisten können, ein eigenes Schaf zu schlachten.
Sonntag morgen wanke ich also um 7:30 mit tiefen Ringen der letzten Nacht unter den Augen mit den Mädels zum nächsten Schlachtplatz (praktischerweise direkt gegenüber) und sehe mir das Schauspiel an. Hier kommen alle gläubigen Menschen Menschen aus der Umgebung zusammen und bringen ihr Schaf mit. Der Schlachter singt vor jeder Schlachtung ein Gebet, bevor ein paar geübte Schnitte das Schafsleben beenden. Blutscheue Zeitgenossen sollten sich das auf jeden Fall ersparen, die Fotos geben auch einen kleinen Eindruck davon.
Es herrscht also überall festliche und freundliche Stimmung und da wir hier als Ausländer natürlich auffallen, werden wir von allen Seiten angesprochen. „Aaah, Almanya“ und fast jeder erwähnt einen entfernten Verwandten in Stuttgart, Essen oder Hannover. Keiner fühlt sich hier gestört oder empfindet uns als Eindringlinge, auch wenn das Fest eines der wichtigsten im Islam ist, von der Bedeutung vergleichbar mit Weihnachten oder Ostern bei uns. Vielmehr wünscht man uns von allen Seiten „Iyi Bayramlar“ (~ „frohes Fest“) und „Bayramın kutlu olsun“ („dein Fest soll gesegnet sein“). Nach etwa einer Stunde machen wir uns auf zum Frühstück.
Ich will niemanden hier überlasten, daher mache an dieser Stelle Schluss und verabschiede mich bis zum nächsten Mal. Ihr werdet auf jeden Fall in den nächsten Tagen einen Überblick bekommen über meine wöchentlichen Aktivitäten, meine Wohn- und Lebegewohnheiten und was mich hier sonst noch so bewegt.
Bis dannsen.
Görüşürüz!
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