Auf und Davon
Während hier bei Youthreporter viel über das Wiederkommen geredet wird, drehten sich meine letzten drei Tage um das Auf und Davon. Ein kleiner Bericht aus dem linksgrünen Kulturkosmos Witzenhausen.
Soundtrack für diesen Eintrag: http://vimeo.com/26510897
Am vergangenen Montag war es so weit. Sechs Uhr morgens mit Vorfreude aus dem Bett raus, Zähne putzen, in ein Müdes Gesicht blicken, Cornflakes anrichten, Wasser einpacken, Auto, Bahnhof, Zug, Abteil, Kopfhörer auf und ab dafür. Musik aufdrehen, leiser machen, Abteil wechseln, umsteigen, eher halbherzig nach bekannten Gesichtern umschauen. Dafür endlich mal wieder Zeit für gute Platten und die eigenen Gedanken. Dann Regionalexpress, Richtung: Witzenhausen Downtown.
Jetzt schaue ich mich schon genauer um. Keine Person im Abteil, die mir verdächtig vorkommt. Wie sieht der klassische EVS-Teilnehmer denn aus? Am Bahnhof zumindest so: pralle Rucksäcke, Zettel mit Wegbeschreibungen in der Hand und meistens ein (vor-)freudiges Lächeln im Gesicht. Schnell die Unterführung entlanggesprintet um noch Anschluss an genau eine solche Gruppe zu bekommen. Der Weg läuft sich von selbst, weil unmittelbar interessante Gespräche die Sinne einnehmen. Und ich hatte direkt das Gefühl, diese Menschen schon eine ganze Ewigkeit zu kennen. Abgesehen davon: Wetter herrlich, Witzenhausen kleinstädtisch schnuckelig, ein Tal mit Fluss.
http://www.flickr.com/photos/63441250@N03/sets/72157627354449576/
Was dann folgte, war fantastisch. Ich hatte ein paar Berichte über die Seminare gelesen, meine Erwartungen waren eher groß als klein. Dank wunderbaren Menschen, Sonnenschein, tollen Diskussionen, fruchtbarer Seminararbeit sollte ich nicht enttäuscht werden. Außerdem hat zumindest mir keiner gesagt, dass ich im August noch mal Urlaub machen kann! Gefühlt auf jeden Fall.
Wieso ich so begeistert bin, lässt sich auf der anderen Seite doch nicht so ganz einfach zusammenfassen. Im Vorfeld, wie auch auf dem Seminar selbst, wurde immer wieder gesagt: es ist toll, mit Gleichgesinnten unterwegs zu sein, denen man höchstens erklären muss wo man herkommt und hingeht. Aber nicht weshalb, wie genau und überhaupt. Einfach sehr erfrischend, zumal EVSler auch erschreckend ähnlich ticken (müssen?). Offen, diskursfreudig, engagiert, politisch, selbstbewusst und neugierig, jedenfalls immer ansatzweise. Denn auch das war für die meisten klar: da wo das herkommt, da gibt es noch mehr! Und da möchte auch ich herankommen.
Und warum wie Urlaub? Wenn es keine internen Spannungen oder persönliche Differenzen gibt, dann ist das erst mal wie mit guten Freunden ans Meer fahren. Und da ich gerade zwei Wochen Freunde-Ferienkommunismus hinter mir hatte, war ich platt über die Info, dass wir uns selbst verpflegen müssen und allgemein sehr frei und selbstverwaltet klar kommen sollen. Wahrscheinlich eine der wichtigsten Grundlagen, denn viel sollte sich zwischen den Zeilen, den Seminareinheiten und was sonst noch im klassischen Sinne auf dem Plan steht, abspielen. Aber das erfährt man am besten selbst!
Diese Devise gilt natürlich für die ganzen drei Tage, deshalb auch zu den Seminaren inhaltlich nur so viel: ich für meinen Teil habe mehr über mich selbst und andere gelernt, als so manchen Monat in der Schule. Zwei hervorragend ausgebildete Teamer haben mit uns (zumindest) für mich neue und bereichernde Theater- und Verhaltensspiele durchgeführt, Organisatorisches sehr einfach vermittelt und uns ohne jeglichen Stress eine tolle Zeit bereitet.
Geht offen und ohne groß Nachdenken in diese Veranstaltungen und lasst euch mitreißen. Lernt, wie sich andere Moralvorstellungen, Kulturen und unbekannte Problemsituationen anfühlen. Und natürlich wie man sich ihnen stellt, das beste daraus macht und sie hoffentlich auch überwinden kann. Wie man eine fremde Sprache lernt. Oder einfach, was das Mädchen mit dem witzigen Dialekt neben einem so in ihrer Freizeit macht.
Denn auch wenn es viel um den berüchtigten "Kulturschock" ging, konnte man sich dessen Auswirkungen durchaus mit dem von mir als "Seminarschock" wahrgenommenen Gefühl vergleichen. Es gibt so viel zu erzählen, es fühlt sich vieles so neu und unbekannt an, und sei es nur eine Mundart aus dem Südwesten. Ein Stück Auslandserfahrung mitten in Witzenhausen, Nahe dem Mittelpunkt eines Landes, dass man zu kennen glaubte. Falsch geglaubt. Und das alles jetzt noch innerhalb gänzlich fremder Kulturen? Ich für meinen Teil fühle mich nun jedoch besser gewappnet. Wenn das überhaupt so richtig machbar ist.
Schlussendlich ging das Seminar wie im Flug vorbei, eigentlich ein schönes Zeichen. Wenn man in Witzenhausen wieder in den Zug steigt, sitzen meistens noch viele bekannte Gesichter neben dir und du redest noch mal was das Zeug hält. In Göttingen bist du dann vielleicht schon wieder alleine, denn Gleis 6 wartet. Immerhin haben dir deine Kopfhörer deine Abstinenz nicht übel genommen und sind immer noch am gleichen Platz, wo du sie vor drei Tagen eingepackt hast. Aufdrehen, und die eigenen Gedanken kreisen nicht wie zuvor um das was vor dir liegt, sondern das was gerade erst war. Drei Tage Gemeinschaftsgefühl für zwei, sich selber immer wieder heiser quatschen, Meinungen austauschen, sich lustig machen, Bier trinken und Gitarre spielen und singen. Nichts sagen und Wünsche aufschreiben. Ein kleines Stück von dem Kuchen, der das Leben für mich ausmacht.
Und wenn man dann das letzte Mal umsteigt und gerade die lärmende Welt mit Kopfhörer ausblenden will, trifft man sich wieder. Und man weiß: da wo das Stückchen herkam, da wartet mehr.
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