Ankara
Ein Einblick in das Leben in der wohl unbeliebtesten Hauptstadt der Welt – Oder eine Liebeserklärung an eine völlig unterbewertete Stadt, die ich gerne mein Zuhause nenne.
Es gibt eine Reihe Fragen, die ich sehr oft gefragt werde: „Was machst du in deinem Projekt?“, „Wie gefällt dir die Türkei?! Und natürlich nicht zuletzt: „Warum zur Hölle ausgerechnet Ankara???“
Diese Frage mag komisch anmuten, ist Ankara doch immerhin die 4,5 Millionen starke Hauptstadt des Landes. Aber trotzdem ist diese Stadt verhasst, vor allem bei der türkischen Bevölkerung und nur ein paar wenige Menschen, zu denen ich zähle, scheinen die Stadt zu mögen. Ein beliebter Spruch ist „Was ist das beste an Ankara?“ - „Die Straße zurück nach Istanbul!“ Aber warum diese Abneigung? Da kommen ein paar Dinge zusammen. Der erste Grund ist wohl: Es gibt kein Meer. Die Türkei hat Küste an drei verschiedenen Meeren, aber leider nun mal keins in Zentralanatolien. Schade. Aber da ich aus der Mitte von Deutschland kommend sowieso kein Meer gewöhnt bin, kann ich damit durchaus Leben. Leider gibt es in Ankara auch keinen wirklich Fluss oder einen schönen See, was man jetzt im Sommer durchaus vermissen kann. Der andere Grund ist wohl: Ankara ist nicht Istanbul. Ja, das ist eine triviale Erkenntnis. Aber jeder liebt nunmal die Stadt am Bosporus, und dass tatsächlich Ankara mit weniger als einem Drittel der Einwohner zur Hauptstadt gekrönt wurde stößt auf Unverständnis.
Ankara wurde erst von Atatürk zu Zeiten der Republikgründung mehr oder weniger ins Leben gerufen. Vorher handelte es sich um eine kleine Provinzstadt mitten in der Würste. In der Wüste ist Ankara immer noch, aber dank der strategisch günstigen Lage, sprich Mitte des Landes, 1923 zur Hauptstadt erklärt worden. Seitdem befinden sich hier also alle administrativen Kräfte des Landes, sprich sämtliche Ministerien, das Parlament und die Botschaften. Dieser Tatsache hat Ankara den Ruf der grauen Büro-Wüste zu verdanken. Großartige historische Gebäude findet man aufgrund der relativ unspektakulären Vergangenheit nicht und auch andere umwerfende Sehenswürdigkeiten kann man lange suchen. Das System des öffentlichen Nahverkehrs ist, allerdings wie in jeder anderen türkischen Stadt auch, eher notdürftig ausgebaut. Zwar gibt es zwei U-Bahn-Linien, die aber leider nur einen kleinen Teil der Stadt abdecken, der Rest läuft über Busse und die halbwegs privatgeführten Minibusse, die Dolmus genannt werden. Zudem ist das Klima in Ankara stark kontinental geprägt, das heißt tierisch kalte (-20°C) und schneereiche Winter (ja, ernsthaft schneereich, selbst für mich war das viel Schnee, und ich bin das von zuhause wirklich gewohnt!) und zum Wegschmelzen heiße Sommer. Im Moment sagt die Wettervorhersage fast nur noch Temperaturen über 30°C an, und die heißesten Monate sind noch nicht mal angebrochen.
Warum verteidige ich diese so grauenhafte Stadt also immer wieder, wenn man mir erzählen will, wie viel schöner andere Städte denn sind?
Das ist ganz einfach: Mein Leben ist gut hier. Die Stadt ist entgegen vieler Meinungen sehr lebendig. Wie sollte angesichts der Bevölkerungszahl auch das Gegenteil der Fall sein? Ich wohne in einem sehr schönen Stadtviertel, in dem ich selbstverständlich ohne Probleme in kurzer Sommerkleidung z.B. shoppen und mich in Bars setzen kann. Die Häuser sind höchstens vier oder fünf Stockwerke hoch, und dazwischen gibt es Alleen und jede Menge Rosenbeete. Die Parkanlage des Atatürk-Mausoleums ist direkt neben mir und wenn ich will, kann ich zu Fuss in die Innenstadt laufen. Wenn das nicht der Fall ist, nehme ich einfach die Metro. Auch nachts stirbt die Stadt nicht aus, Bars, teilweise mit Dachterassen, Pubs und Clubs reihen sich aneinander und füllen die Etagen der Häuser. Da ist für jeden etwas dabei, von live Rock, Blues und Metal, über traditionelle türkische Musik, Lady Gaga singende Acapella-Gruppen und Charts bis zu elektronischer Musik ist alles zu finden. Ja, eine deutsche Stadt mit gleicher Einwohnerzahl hätte vielleicht eine noch größere Auswahl zu bieten, aber ganz ehrlich: Es ist durchaus genug, ich habe mich beim Weggehen noch nie gelangweilt und dabei eine Menge Locations noch nie besucht.
Die Stadt hat für mich viele Vorteile zu bieten im Vergleich zu anderen Städten. So werde ich normalerweise nie als einfacher Tourist abgetan – denn die gibt es hier einfach nicht. Leute sprechen mich auf türkisch an, wollen helfen, sind interessiert und wollen einen nicht über den Tisch ziehen. Trotzdem ist man Ausländer gewöhnt und beäugt sie nicht wie einen Außerirdischen, da es hier einige Erasmus-Studenten und Botschaftsmitarbeiter gibt. Kein Taxifahrer geht davon aus, dass er sich mit uns eine Spazierfahrt zu seinen Gunsten leisten könnte, wir sind nunmal nicht neu in der Stadt.
Außerdem ist die Stadt mit ihren 4,5 Millionen Einwohnern immer noch relativ übersichtlich, ich kann mir nur schwer vorstellen in einer Stadt wie Istanbul zu Leben, wo man durchaus mal zwei Stunden braucht um von A nach B zu gelangen. Unsere Freunde dort haben uns oft gesagt: „Warum sollten wir nach Ankara kommen, in Istanbul ist doch viel mehr los!?“ Das mag stimmen, das Angebot an allem ist dort natürlich größer. Aber nimmt man es wirklich in Anspruch, wenn man eine halbe Weltreise dorthin unternehmen muss? Mein Erfahrung nach ist das eher selten. „Istanbul ist doch viel schöner als Ankara!“ Ja, auch dem kann ich nicht so einfach widersprechen. Istanbul ist bezaubernd, mit seiner Lage am Wasser und den vielen historischen Gebäude aus verschiedensten Epochen. Aber lebt der Durchschnitt der Menschen denn direkt am Bosporus oder neben der blauen Moschee? Natürlich nicht, die Wohnviertel sind genauso hübsch oder eben hässlich wie in jeder anderen Stadt auch – abgesehen natürlich von meinem wunderbaren Bahcelievler (was übersetzt übrigens „Häuser mit Garten“ heißt). Außerdem gibt es durchaus schöne Plätze in Ankara, zum Beispiel die Burg im traditionellen Stadtviertel Ulus. Osmanische Fachwerkhäuser stapeln sich am Berg und oben von der Burg aus hat man einen gigantischen Blick über die komplette Stadt.
Nein, jemandem der in zwei Wochen die tollsten Orte der Türkei sehen möchte, dem empfehle ich Ankara nicht. Es ist nicht die pulsierende Metropole am Bosporus und auch kein mediterranes Urlaubsparadies. Aber trotzdem, ich habe diese Stadt mit ihrem speziellen Flair ins Herz geschlossen und freue mich nach jeder Reise wieder darauf „nachhause“ zu kommen. Ich habe alles war ich brauche, und sollte ich doch einmal mehr sehen wollen, so komme ich von Ankara aus sehr einfach zu jedem anderen Ort in der Türkei.
Ja, tatsächlich. Ich mag Ankara.