All you need is (friendship for) love
Ich habe nicht nur meinen besten Freund, sondern auch meine große Liebe gefunden.
Seit zwei Monaten bin ich in Italien. Ich habe mir mein Zimmer so nett es geht eingerichtet, Freundschaft mit meinen Mitbewohnern geschlossen, mich bei der Arbeit eingewöhnt, einen Tagesrhythmus gefunden, ein paar nette Leute und auch schon ein bisschen die Umgebung kennengelernt. Ich mühe mich jeden Tag mit der Sprache ab. Es macht mir Spaß zu merken, wie meine Sprachkenntnisse immer besser werden und nutze jede Gelegenheit Italienisch zu sprechen. Aber die Menschen haben nicht viel Zeit für eine kleine Ausländerin. Sie sind beschäftigt mit ihrem Leben, haben andere Freunde, viel Arbeit und wenig Zeit. Sie bemühen sich, mich ab und zu mal einzuladen, mir die Umgebung zu zeigen. Sie meinen es nett, sind freundlich zu mir, aber doch eigentlich mit was ganz anderem beschäftigt.
Ich sehne mich nach einem Freund oder einer Freundin. Nach einem Menschen, mit dem ich gemeinsame Interessen habe, der gerne seine Zeit mit mir verbringt, für den es eine Bereicherung ist mit mir zusammen zu sein. Ich sehne mich nach einem Menschen mit dem ich mich einfach wohl fühle, dem ich vertraue, bei dem ich mich fallen lassen kann, ich selbst sein kann, eintauchen kann. Ich sehne mich nach der Selbstverständlichkeit einer Freundschaft, wo man nicht lange nachfragen muss, wo man einfach weiß, dass der andere gerne mit einem unterwegs ist, gerne seine Zeit mit einem verbringt und Lust hat das Leben gemeinsam zu entdecken. Ich weiß, dass es schwer ist so jemanden zu finden.
Ich gehe auf alle Leute zu, stelle ihnen Fragen, möchte sie kennenlernen, erzähle ihnen, dass ich gerne unterwegs bin, offen für alles Neue bin, aber dennoch, ich finde keinen, mit dem ich einfach so ins Gespräch komme, bei dem es einfach fließt.
Ich habe ein paar nette Mädels kennengelernt. Spüre aber irgendwie immer wieder, dass sie zwar sehr nett zu mir sind, ein wirklich intensiveres Gespräch aber leider nicht entsteht. Es bleibt an der Oberflächlichkeit, es wird nicht nachgefragt, das Interesse ist nicht hundertprozentig.
‚Ist egal’, denke ich und gehe mit ihnen zu einer Party. Sofort sind sie von vielen Freunden und Bekannten umringt und ich stehe verloren in dieser Menschenmasse. Mir werden Gesichter vorgestellt, ich schüttele Hände und lächele freundlich. Nachdem der erste Andrang vorbei ist, stehe ich da und überschaue die Menge. Junge Männer und Frauen, alle ungefähr mein Alter, eine graue Masse an Menschen, mein Blick bleibt an einem Gesicht hängen, das einzige Gesicht in Farbe.
Ein liebes Gesicht. Für einen Augenblick schießt mit ein Gedanke durch den Kopf: ‚Vielleicht finde ich hier ja einen Freund, so wie ich es mir wünsche’. Ich schiebe den Gedanken weg. ‚So ein Schwachsinn, bild dir sowas bloß nicht ein’. Und ich beschließe mich unter die Menge zu mischen.
Ich gehe auf einen jungen Mann zu, der mir vorher vorgestellt wurde, stelle ein paar Fragen und erhalte kurze Antworten. Nach dem üblichen Smalltalkgeplänkel kehrt Schweigen ein. Wir haben uns nichts zu sagen, es besteht kein Interesse weiter die Person hinter der ersten Fassade kennen zu lernen. ‚Na gut’, denke ich, ‚dann eben nicht’. Und stehe wieder alleine, wenn auch neben jemand anderem, in der Menschenmenge und schaue mich um. Da kommt der Freund des jungen Mannes auf uns zu, redet kurz mit ihm, verabschiedet sich von ihm, da dieser gehen möchte, und wendet sich dann mir zu.
Es ist das liebe Gesicht. Mit ihm endet die Konversation nicht nach dem üblichen Geplänkel, sondern weitet sich aus, nimmt neue Dimensionen an, geht in die Tiefe und berührt das Herz. Wir reden die ganze Nacht, erst mitten im Gewimmel der Menschen, dann in einer ruhigeren Ecke. Wir erzählen, beschreiben, übersetzen, überwinden die Hürden der Sprache, umschiffen alle sprachlichen Missverständnisse und erklimmen jede Sprachbarriere. Wir erzählen, fragen nach, hören zu, ergänzen, beschreiben und erzählen weiter. Wir lernen uns kennen, merken, dass wir beide auf der Suche nach Freundschaft sind und öffnen uns. Wir machen uns auf den Weg nach Hause, aber wir möchten uns nicht trennen. Wir laufen weiter und reden. Wir durchqueren die gesamte Hafenstadt und kommen zum Strand, setzen uns auf große weiße Steine, lauschen der Brandung und bestaunen wie die Sonne langsam aus dem Meer aufsteigt.
Wir fühlen uns wohl miteinander, wollen uns wiedersehen und verabschieden uns mit einer ehrlichen, liebevollen, herzlichen Umarmung.
Und wir sehen uns wieder. Direkt am nächsten Tag. Und wir erzählen weiter, lernen uns kennen, unternehmen viele schöne Dinge zusammen, wir lassen uns fallen, wir tauchen ein, wir vertrauen einander, verbringen unsere ganze freie Zeit miteinander, bereichern uns und haben bis heute nicht damit aufgehört.
Wir sind nun seit zwei Jahren zusammen und wachsen mit jedem Tag weiter zusammen.
Ich habe nicht nur meinen besten Freund, sondern auch meine ganz große Liebe gefunden.
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