;
Wieso ich kein "Aber" mehr hören kann...
Erschreckt habe ich heute festgestellt, dass die zwei Wochen selbstgewählter Quarantäne zuhause eigentlich schon wieder um sind. Aber welches Zuhause denn nun eigentlich? Denn obwohl die Zeit seit meinem letzten Post gefühlt wie im Flug vergangen, ist seit dem ganz schön viel Mist passiert, wenn ich das mal so salopp ausdrücken darf. Zumindest ab Mitte März.
Nach dem vergleichsweise tristen Januar und Februar hatte unser Ausflug nach Belgrad meine Motivation extrem gehoben. Nicht nur, dass ich wieder vor Augen hatte, welche Reisen wir im nun kommenden Sommer vor hatten, sondern auch mein nun wieder beginnender Deutschkurs und der Englischkurs im Kindergarten, der mich vor eine ganz neue Herausforderung stellte. Wie bringt man denn Kindern, die noch nicht mal lesen können, Englisch bei? Meine erste Stunde im Kindergarten zum Thema Wetter verlief auch tatsächlich recht annehmbar, auch wenn die Kinder sehr unruhig waren.
Fr 06/03/ - So 08/03/
Wie schon angekündigt, waren die Wochenenden nach Belgrad auch schon recht ausgebucht.
An diesem Wochenende erwarteten wir, in diesem Fall Hanka und ich, Susi war beim Seminar in Serbien, zwei Freiwillige, die wir beim Seminar kennengelernt hatten, aus Split und Brčko.
Den Freitag nutzten wir für einen ersten Stadtrundgang mit Stopp bei Džirlo und anschließender nächtlicher Aussicht von der gelben Festung. Da trafen wir zufällig Paolo, der uns berichtete, dass unsere anderen Italiener auch noch in der Stadt unterwegs seien. Also schlossen wir uns denen in der "Jazzbina", einer Jazzbar, an, in der tatsächlich auch sehr gute Livemusik gespielt wurde.
Am Samstag folgte der wohl kürzeste Mostar-Besuch den jemals jemand von Sarajevo aus unternommen hat. Um 11 Uhr brachen wir mit dem Bus auf und nach einem Mittagessen und etwas schlendern durch die Innenstadt ging es dann um 17 Uhr schon wieder mit dem Zug zurück. Das Wetter war jedoch perfekt, gestern hatte es geregnet und ab morgen sollte es schneien, wir hatten also den perfekten Tag abgepasst. Am Abend luden uns Paolo und unser neu angereister Michele zum essen ein, ein feinstes italienisches Gänge-Menü.
Den Sonntag wollten wir zum Wandern nutzen und da Paolo uns nicht begleiten wollte, sollte es wieder der Trebevic werden. Unsicher waren wir uns jedoch bis wir schon mit der Gondel auf den Berg gefahren waren, ob das Wetter da so mitspielen würde. Was uns unten noch als Regen genervt hatte, bereitete uns oben als dicke Schneeflocken Sorgen. Wäre unsere Tour bei steigender Schneedecke überhaupt noch möglich?
Wir wollten es zumindest ausprobieren und auch die beiden Frauen, denen wir auf dem Weg begegneten, pflichteten uns bei, es wollten sogar 100 Frauen den Frauentag auf dem Gipfel begehen.
Also weiter hoch... Und da wir recht früh dran waren, hatten wir sogar das Glück, die Ersten zu sein, die ihre Fußstapfen in den Schnee setzten. Das gestaltete sich garnichtmal überall so einfach. Ich bin immer noch begeistert, wie wasserdicht meine Wanderschuhe doch sind.
Spätestens auf dem Gipfel war das dann aber egal. Da ich die einzige war, die annähernd wusste, wo der Weg langging, opferte ich mich, als Erste den Weg zu testen. Plötzlich bis übers Knie im Schnee zu versinken ist eine Erfahrung, die sich als deutlich lustiger herausstellte, als man meinen möchte. Wir pausierten nur kurz um etwas zu essen, denn Ausblick hatte man aufgrund des dichten Nebels eh nicht und so im Wind wurde es auch schnell sehr kalt. Und so machten wir uns schon wieder an den Abstieg, als alle anderen Gruppen den Gipfel erreichten.
Fr 13/03/ - So 15/03/
Ein schwerer Abschied wurde es mit den beiden Besuchern jedoch nicht, denn ich würde zumindest Hannah schon dieses Wochenende wiedersehen. Wobei auch das bis zuletzt in den Sternen stand, denn inzwischen hatte Corona auch uns erreicht. Hatten wir vor Wochen noch darüber gelacht und uns in Sicherheit gewähnt, denn "wer fährt denn als Tourist schon nach Bosnien?", waren die Schulen und Universitäten nun auch hier bereits geschlossen und ich war mir nicht sicher, ob ich am Montag meinen Englischkurs im Kindergarten noch würde geben können. Noch ganz motiviert es sonst eben später zu verwenden, dachte ich mir also eine zweite Stunde aus und schnitt bestimmt zwei Stunden lang Material dafür. Trotz Stillstand des öffentlichen Lebens in Brčko und ihrer inquarantänierten Mitbewohner entschieden Hannah und ich es trotzdem zu wagen. Der Anfang vom Ende, wenn man so will, und trotzdem auch das letzte Bisschen Normalität.
Also setzte ich mich am Freitag zusammen mit einem Dutzend heimreisender Studenten in den Bus, der mich nach 5 Stunden Fahrt in Brčko wieder ausspuckte. Brčko ist eine Kleinstadt direkt an der kroatischen Grenze an der Save und ich muss ganz ehrlich sagen, dort meinen Dienst zu leisten wäre sicher noch eine ganz andere Herausforderung. Trotzdem hat mir die Stadt sehr gut gefallen, man merkt, dass die Menschen versuchen, mehr Leben in die Stadt zu bekommen und auch hier wieder: es gibt eben einen richtigen Fluss an dem man auch sitzen kann.
Da bei Hannahs Organisation wie auch meiner Übernachtungsbesuch eher unerwünscht war, hatte ich mir das einzige Hostel Brčkos genommen, um dann festzustellen, dass das doch ganz schön weit außerhalb des Centrums lag und mir auch nicht sonderlich vertrauenswürdig vorkam. Aber da muss man durch, will heißen abends 45 Minuten durch die Stadt zum Hostel laufen und den dicken Zigarettenrauch aus der Bettwäsche atmen. Entschädigt dafür wurde ich an diesem Wochenende aber kulinarisch. Hannah und ich hatten uns vorgenommen Falafel zu probieren. Dass uns dabei fast die Küche abgebrannt wäre, weil wir die Džezva zum frittieren missbrauchten, müssen wir nicht näher erwähnen. Jedenfalls plante ich in meinem Kopf schon diverse neue Gerichte für Susi und mich...
Und dann die Schreckensnachricht von Susi: - Irma, die Italiener müssen nachhause fahren.
Caritas Italiano hatte alle Freiwilligen aus dem Balkan abgezogen, nachdem eine Freiwillige im Kosovo an Corona erkrankt war.
- Oh... Aber nicht jetzt gleich oder? Wann fahren die?
- Morgen mittag.
Sollte es das also nun gewesen sein? So ganz ohne Adieu?
Ich hatte die ganze Zeit schon ein schlechtes Gefühl dabei gehabt nach Brčko zu fahren und dann nicht rechtzeitig zurück zu kommen. Jetzt sollte das aber nicht an gestrichenen Bussen, sondern den kurzfristigen Entscheidungen von Caritas liegen. Würde ich jetzt sofort einen Bus nehmen, dann könnte ich es noch rechtzeitig schaffen, aber was mit der zweiten Nacht im Hostel?
Diese Frage erübrigte sich spätestens am Busbahnhof.
- Danas nemamo više autobus. (Heute haben wir keinen Bus mehr.)
Da war sie, die letzte Chance meine monatelangen Mitbewohner zu verabschieden, abgefahren im Bus um 18 Uhr. Klar war auch: zurückkommen würden die Italiener höchstens um ihre verbliebenen Sachen abzuholen, die "alten" zumindest. Und auch wenn ein Italienurlaub und die Einladung zu Francescas Hochzeit schon so gut wie sicher geplant waren, fühlte es sich verdammt scheiße an einfach so von jetzt auf gleich gute Freunde zu verlieren, mit denen man in den letzten Monaten so viel durchgemacht hatte, ihnen nur über Videoanruf in aller Eile alles Gute zu wünschen und dann am Sonntagabend in ein viel zu stilles und leeres Haus zurückzukehren, ein Haus voller Essen, das von einem Tag auf den Anderen in unseren Besitz übergegangen waren.
Susi, die wahrscheinlich zum ersten Mal in unserem Aufenthalt teure Barilla Nudeln gekochte hatte, lud noch Ilija, den letzten verbliebenen bosnischen Studenten und einen Arbeitskollegen von mir, zum Abendessen ein und zu dritt versuchten wir uns mit Essen und Kartenspielen von unserem Kummer abzulenken. "Wir fahren keines Falls auch nachhause, soweit kommt's noch", so unsere Worte.
Tja wie falsch man doch liegen kann.
Da der Kindergarten nun tatsächlich geschlossen hatte, sollte ich am Montag in der Bar arbeiten. In der Realität konnte davon aber nicht wirklich die Rede sein. Ich war praktisch den ganzen Tag damit beschäftigt, mich mit Leuten zu beraten und die Seiten des Auswärtigen Amts zu checken, seit Minja mich nach einem Telefonat mit dem ICE quasi vor die Wahl gestellt hatte auch nachhause zu fahren oder zu bleiben. Seitens des Centars die Empfehlung zu gehen, Susis klare Haltung unter allen Umständen bleiben zu wollen und ich irgendwo dazwischen, ohne selbst richtig zu wissen, was denn nun das Beste wäre.
Ob wir nun hier in Quarantäne sitzen oder zuhause macht keinen Unterschied, so unsere Haltung am Ende allen Grübelns. Denn klar war, wir würden beide gehen oder beide bleiben. Dem Centar gefiel unsere Entscheidung nicht wirklich, niemand wollte so ganz die Verantwortung für uns tragen, würden wir bleiben, und wer konnte denn auch absehen, wie sich alles in den nächsten Wochen entwickeln würde? Wären die Grenzen einmal zu, dann könnten wir uns nicht mehr umentscheiden.
Schlussendlich blieb uns dann keine Wahl mehr, Susis Träger weltwärts hatte entschieden alle Freiwilligen nachhause zu holen, so hieß es auch für mich Koffer packen, denn ganz allein im leeren Haus bleiben, das wollte ich nun auch nicht.
Ein bisschen mehr Zeit haben als die Italiener, das wäre ja aber doch schön und so buchten wir unsere Flüge für den 18.03., Busse gab es inzwischen schon keine mehr. Vier weitere Freiwillige aus Bosnien würden gemeinsam mit uns nach München fliegen und so war unser Haus am letzten Abend noch einmal recht belebt. Unser Gepäck in nur einem Koffer unter 24 Kilo unterzubringen, stellte jedoch als eine Herausforderung dar, die es schlussendlich von uns verlangte mehr Kontakt zu unseren Nachbarn aufzunehmen, als wir ihn in den letzten Monaten gehabt hatten: eine Waage wollte geborgt werden. Dass wir dann am Flughafen doch noch einmal umpacken musste, dafür sorgte der halbe Liter Rakija, den wir als Abschiedsgeschenk ganz überraschend noch bekamen.
Wie die Ironie des Schicksals es manchmal so will, konnten wir zwei Stunden vor unserem Flug noch unsere fertigen Visa beim Amt abholen. Immerhin werden wir so bei einer möglichen Widereinreise keine Schwierigkeiten bekommen.
Der Flug an sich war ausgebucht, man hatte alle Flüge der letzten Tage gestrichen, und sehr unspektakulär. In München auf dem ausgestorbenen Flughafen angekommen, trennten sich unsere Wege und wir machten uns zu viert auf zum Hauptbahnhof. Susi, die erst mit nach Dresden kommen wollte, entschied nun, doch nach Hannover zu fahren, bevor auch keine Züge mehr führen. Der Abschied fiel uns schwer, aber wir würden uns ja ganz sicher in zwei Wochen besuchen kommen. Und 4:30 unser neues 4:20 werden.
Nun ist die zweite Woche schon so gut wie um, keiner von uns Beiden wird den Anderen in nächster Zeit besuchen fahren können und 16:30 Uhr ist an sich auch eine beschissene Zeit zum Telefonieren. Menschen realisieren Ereignisse unterschiedlich schnell, wie ich feststellen musste. Dass die Italiener gehen würden, das traf mich schnell und hart, aber dass ich nicht nur zwei Wochen zum Urlaub zuhause sein werde, das kommt erst jetzt richtig bei mir an. Vielleicht auch, weil ich mir bewusst bis jetzt immer etwas zu tun genommen habe, ja nicht zum Nachdenken kommen, einen Alltag aufbauen. Schulbetreuung am Vormittag, Schleifen/Zimmer ausmisten/nähen am Nachmittag, Deutschunterricht über Skype weiter machen, Italienisch lernen, lesen... Aber was, wenn mein Zimmer nichts mehr hergeben wird, was ich nach diesem halben Jahr minimalistischerer Lebensweise nun nicht mehr zu brauchen meine? Was, wenn keine Möbel mehr zu schleifen sind?
Ich merke auch, dass mir der Deutschunterricht deutlich weniger Spaß macht, die Vorbereitung ist immer wieder eine Überwindung, mir fehlen die Ideen, ich gebe schnell auf und die Nervosität des Anfangs ist wieder da.
"Blöd, dass du zurück musstest, aber jetzt bist du wieder bei deiner Familie, das ist doch toll!"
Ja, es ist toll, ohne Frage. Aber ich will kein "aber" mehr hören, weil es nicht das ist, was ich gerade will, weil ich noch nicht zuende frei war und gerade die Leute, von denen soetwas kommt, am wenigsten Ahnung davon haben, wie es mir im letzten halben Jahr gegangen ist. Ich habe zuhause selten vermisst, auch wenn es hart zu sagen ist, weil die Unabhängigkeit mir erstaunlich gut getan hat und ich sehr viel glücklicher war, als vielleicht im letzten halben bis ganzen Jahr vor meiner Abreise. Ich hatte noch so viel vor auf dem Balkan, sowohl Urlaube als auch in meiner Einsatzstelle. Gerade jetzt in der zweiten Hälfte kam die Zeit, wo wir wirklich etwas hätten bewegen können, sprachlich endlich Leute kennenlernen, vielleicht auch mehr als nur Teller spülen. Es kommt mir einfach unendlich unfair vor, den Winter in Sarajevo durchstanden zu haben für nichts. Noch nicht einmal Zeit hatte ich, mir meinen Helix noch stechen zu lassen.
Und wie Susi das mal sehr treffend beschrieben hat und mir hoffentlich erlaubt das hier so wiederzugeben: Wir sind einfach noch nicht bereit ein Fazit zu ziehen. Weil es sich nicht so anfühlt, als wären wir fertig. Wenn man seinen Dienst nur 6 Monate leistet, dann kann man sich die letzten zwei Monate darauf einstellen, bald wieder nachhause zu fahren, aber für uns bleibt nur nicht genug erlebt und gelernt zu haben. Die Sprache nicht gut genug zu beherrschen, in der Stelle nicht mit genug Herzblut dabei gewesen zu sein, den Menschen nicht gut genug zugehört und zu wenig nachgefragt zu haben. Alles, was jetzt noch hätte kommen sollen, lässt uns zuhause in einer Leere zurück, die wir nicht richtig zu füllen wissen. Was macht man mit sechs Monaten in der Schwebe ohne einen Plan?
Ich hoffe weiter so bald wie möglich nach Sarajevo zurückkehren zu können, auch wenn es wohl dann als einzige Freiwillige im Centar und unserem Haus sein wird. Für Susi stehen die Chancen deutlich schlechter. Aber diese Ungewissheit, ob und wann das sein könnte, macht alles nicht unbedingt einfacher. Kann ich mir einen Nebenjob suchen, mich hier engagieren, mit der Perspektive, vielleicht in einem, vielleicht in zwei Monaten wieder weg zu sein? Ist das überhaupt sinnvoll? Und wie soll das unter Corona gehen?
Umso wütender machte es mich, wenn ich Leute sah, die Corona offensichtlich überhaupt nicht kümmerte und die uns und noch so viele andere Menschen damit mit Füßen traten.
Dass ich euch alle nicht direkt sehen kann, das hat den gepriesenen Kulturschock vielleicht erst einmal aufgeschoben, aber er wird kommen, da bin ich mir sicher. Schon in Sarajevo habe ich vorausgesagt, dass er mich hier viel stärker treffen wird, als in Bosnien selbst.
Momentan flüchte ich mich noch in bosnische Rezepte und Projekte, aber irgendwann wird meinem Gehirn wohl auffallen, dass das die nachmittäglichen Zusammentreffen mit Susi und den Gesang der Muezzine nicht ersetzen kann. Meine verzierte Džezva, die traurig in unserer viel zu deutschen Küche steht und nur selten benutzt wird, weil ich doch eigentlich garkeinen Kaffe trinke, ist Zeuge von Unterschieden, die ich so schwer benennen kann und doch schon jetzt so sehr vermisse. Und ich ärgere mich einige Sachen auf der Prioritätenliste über meine bosnische Tagesdecke gesetzt zu haben.
Irma
Commentaren