48 Stunden Zypern
Bonn - Larnaca - Nicosia
Zypern?!
Als ich meiner Uni sagen sollte, warum ich in diesem Semester nicht studieren würde, sollte ich auf einem Formular anklicken, wo ich mich stattdessen aufhalten würde. Nachdem ich „EU-Mitgliedsländer“ angeklickt hatte, öffneten sich nur 27 Auswahlmöglichkeiten: Zypern fehlte. Vermutlich melden über das Formular vor allem Erasmusstudierende ihre Abwesenheit an: Eine Erasmuspartnerschaft mit einer Uni auf Zypern scheint keines der Institute meiner Uni zu haben.
Auch sonst wurde ich immer wieder gefragt, ob die Schiffsfahrt von Griechenland nach Zypern nicht ganz schnell gehen würde und ob Zypern wirklich eigenständig oder vielleicht doch ein Teil Griechenlands sei. Daher vorweg: Zypern liegt im östlichen Mittelmeer – und zwar ein ganzes Stückchen östlicher, als auch ich zuvor dachte. Die Insel liegt südlich von Ankara und nicht etwa südlich von Istanbul, dessen Bosporus gerne als geografische Grenze zwischen Europa und Asien bezeichnet wird. Die Küste Syriens liegt daher viel näher als die Küste Griechenlands. Zypern war außerdem vor seiner Unabhängigkeit britische Kolonie, keinesfalls griechische.
Vor etwas über drei Jahren habe ich schon einmal angefangen auf youthreporter.eu zu bloggen. Damals hatte ich gerade mein Abitur gemacht und verbrachte das Jahr danach in Spanien. Gebloggt habe ich damals sogar recht regelmäßig. Das letzte Semester habe ich im Ausland studiert und in dieser Zeit nicht gebloggt: Im Nachhinein finde ich das ziemlich schade, es war aber auch keine Zeit dafür da. Vielleicht werde ich diesmal genug Zeit haben, um bis zum Ende meiner drei Monate auf Zypern regelmäßig zu bloggen, vermutlich aber nicht. Probieren möchte ich es dennoch gerne.
Samstagabend
Bekannt war mir Zypern zuvor vor allem durch zwei Dinge: zum einen durch die politische Situation, da Nicosia als letzte geteilte Hauptstadt Europas bekannt ist, zum anderen als Touristenziel. Dass mein Hinflug außerhalb der Schulfeiern startete, änderte nichts daran, dass sich auf allen Plätzen um mich herum vor allem Senior*innen darüber unterhielten, welcher Strand am schönsten sei.
In Larnaca, einer Stadt an der Südküste, angekommen ging es für mich mit dem Bus zu meiner Ferienwohnung für die erste Nacht. Mein erster Eindruck: Der Fahrstil war ruppig, die Unterhaltungen zwischen Busfahrer und Passagier*innen laut, die Häuser an den Straßenseiten bunt. Das Wetter war vorerst vor allem kälter als erwartet, die meisten, die ich nach dem Weg fragte, sprachen entweder gutes oder gar kein Englisch, die überall präsente Polizei trug statt schlichter Uniform und Pistole Tarnkleidung und Maschinengewehre.
Es ist einfach, einen Auslandsaufenthalt zu unterschätzen, dachte ich, als ich abends im Bett lag. Innerhalb der EU ganz besonders. Da ist kein Visum, das beantragt werden muss, kein Geld, das in eine fremde Währung umgetauscht werden muss, nicht mal eine neue SIM-Karte brauche ich. Das macht Reisen und Umziehen einfach, führt aber auch dazu, es zu unterschätzen.
Ein wenig überrumpelte mich das Gefühl, plötzlich in der Fremde zu sein. Ich war froh, dass es nicht mein erster Auslandsaufenthalt war. Was mir früher Leute sagen mussten, wusste ich inzwischen selbst: Es lohnt sich, sich Zeit zum Ankommen zu nehmen.
Und bei Sonne und Tageslicht ist eh alles weniger angsteinflößend.
Sonntagmorgen
Meine Ferienwohnung lag direkt an der Straße und bot vom Balkon aus einen wunderbaren Blick auf das Meer, aber auch eine laute Nacht. Irgendwann packte mich dann zwischen den dünnen Laken auch noch eine doch sehr irrationale Angst vor Bettwanzen. Ich stand früh auf, machte mich fertig, packte einmal wieder meine Sachen zusammen. Mein Plan, am Morgen noch eine Stunde bei Sonne am Strand zu verbringen, fiel wortwörtlich ins Wasser. Zum einen war es in Larnaca noch recht kalt, zum anderen regnete es in Strömen. Gut für Zypern, das Regenwasser nötig hatte, weniger gut für mich.
Larnaca wirkte sehr touristisch, an der Strandpromenade reihten sich Bistros aneinander. Wohl fühlte ich mich nicht, eher wie in einem leicht heruntergekommenen Tourismusort. Zum Frühstück gab es Espresso und etwas aus Blätterteigt und Spinat. Ich mochte aber diese Bistrokultur, viele schienen frühstücken zu gehen, etwas zu essen gab es zu jedem Heißgetränke kostenlos mit dazu, nur vegetarische und vegane Optionen waren rar.
Allmählich hatte ich das Gefühl, dass alle etwas genervt von meiner deutschen Hektik waren. Alle, die ich nach dem Weg fragte, deuteten willkürlich in eine x-beliebige Richtung, der Supermarktmitarbeiter, den ich fragte, ob das Gemüse abgewogen werden sollte, riet mir, mich doch einfach erstmal an der Kasse anzustellen. Ich war mir nicht ganz sicher, ob die Gefragten oder ich genervter waren, weil ich anfing es eher unhöflich zu finden. Gerade als ich beschlossen hatte, mich darauf doch einzulassen, klingelte der Besitzer meiner Ferienwohnung bei mir und wollte den Schlüssel haben – ganze zwanzig Minuten, bevor der Check-Out vereinbart war. Das war dann doch mehr als nur übertriebene Pünktlichkeit.
Sonntagnachmittag
Mit dem Bus ging es von Larnaca nach Nicosia, in die Hauptstadt Zyperns, wo ich wohnen würde. Das dauerte knapp 40 Minuten und kostete nur vier Euro. Näher zum Strand hatte ich es schon lange nicht mehr. Im Bus schnappte ich immer wieder Gesprächsfetzen auf. Später erfuhr ich, dass im zyprischen Dialekt viele Wörter dem Italienischen ähneln. Ein Selbstlernerbuch hatte ich mir gekauft, bisher erkannte ich aber nur knapp drei Buchstaben. Das Einzige, was ich bis dahin aber immer wieder gerne sagte: „Kalimera!“
Wir fuhren quer durch prasselnden Regen und vor dem Fenster blitzte es. Auf Facebook hatte ich zuvor gelesen, dass einige Karnevalsfeiern abgesagt wurden, da vor einem Thornado gewarnt wurde. Die Menschen im Bus waren eine bunte Mischung, mehrere Männer mit Turbanen, ein Pärchen, das mir erzählte, dass sie aus Nepal stammen, zwei Freundinnen, die Spanisch miteinander sprachen. Vor den Fenstern war Zypern viel grüner, als ich es erwartet hatte. Die Vorstadt von Larnaca und alles, was danach kam, war schöner als das touristische Larnaca, wo ich zuvor war.
In Nicosia angekommen zog ich meinen Koffer knappe zwanzig Minuten durch verwirrend kleine Gassen. Die Stiftung, in der ich arbeiten würde, hatte mir den Kontakt zu einem Architektenpaar vermittelt, das mir ein Zimmer vermieten würde. Was ich mir als kleines WG-Zimmer vorgestellt hatte, entpuppte sich als großes Haus mit drei Schlafzimmern, zwei Bädern, großer Küche und noch größerem Wohnzimmer. Die Besitzer beschrieben sich selbst als Sammler, das Haus glich einem Flohmarkt. Überall waren Puzzle, Kissen, Decken, unzählige Uhren, Bilder und Regale. Mein Vermieter trichterte mir noch ein, dass ich mich jederzeit bei ihm melden könnte, sollte ich in Schwierigkeiten geraten.
Zu meinem Glück waren die Supermärkte in Nicosia auch am Sonntag geöffnet. Kurzerhand zog ich deshalb los, um zumindest das Nötigste zu kaufen. Wie ich mich jemals in der Altstadt von Nicosia zurechtfinden sollte, war mir ehrlich gesagt ein Rätsel: Das Zentrum der Stadt ist ein von einer Mauer umfasster Kreis, der jedoch aufgeteilt ist in Norden und Süden. Der Norden zählt zur sogenannten „Türkischen Republik Nordzypern“, die jedoch international nur von der Türkei anerkannt wird. Für viele Zypriot*innen aus dem Süden ist es ein militärisch besetztes Gebiet.
Die Häuser waren klein, meist haben sie nur zwei Stockwerke. Außerhalb der Altstadt war das jedoch anders. Alles war sehr hell, viele waren unterwegs, vor allem junge Leute. Ein wenig einsam fühlte ich mich schon in dieser Stadt. Noch niemanden zu kennen macht verletzlich. Gleichzeitig sprte ich aber, wie ich den oft doch sehr durchgetakteten Alltag aus Deutschland hinter mir lassen konnte: Hier schien alles etwas langsamer zu funktionieren, etwas spontaner zu sein.
Montagabend
Am Morgen wurde ich kurz vor Sonnenaufgang davon geweckt, dass in einer Moschee in der Nähe zum Gebet gerufen wurde. Meine Mitbewohnerin und ich trafen uns zufällig in der Küche, machten uns Frühstück und kletterten über den Balkon auf das Dach, um von dort aus die Sonne zu genießen und zu frühstücken. Eine Katze, die mich am Abend schon terrorisiert hatte, weil sie wohl in mein Zimmer wollte, gesellte sich zu uns.
Das Büro der Stiftung, in der ich während der nächsten drei Monate arbeiten würde, war groß und hell. Meine Arbeitszeiten waren eher entspannt, oft kamen an Wochenenden aber Seminare dazu. Ich finde das cool: Von Klimaschutz bis Medien in Konfliktsituationen decken die Seminare so spannende Themen ab, dass ich wohl auch freiwillig hingegangen wäre.
Nach der Arbeit schaute ich kurzerhand in einem Yogastudio in derselben Straße vorbei. Als ich nach dem Abitur und während meines Auslandssemesters außerhalb von Deutschland unterwegs gewesen war, hatte ich es nie ganz geschafft, meine Hobbys mitzunehmen. Diesmal hatte ich mir fest vorgenommen, dass das anders wird: Kurzerhand vereinbarte ich gleich für denselben Abend eine Probestunde. Drei Stunden später war ich begeistert: Die Yogalehrerin unterrichtete ganz anders als die, die ich zuvor aus Deutschland gekannt hatte. Sie war fröhlicher und lockerer, benutzte mehr Musik, die Übungen waren eine gute Mischung aus Muskelaufbau, Dehnen und Entspannen.
Abends saßen wir noch kurz in unserer WG zusammen. Meine französische Mitbewohnerin war bereits seit über acht Jahren in Zypern, meine schwedische Mitbewohnerin seit etwas über einem Jahr. Für sie trug ihr Aufenthalt hier kein Ablaufdatum: Sie wussten noch nicht, wie lange sie bleiben wollten. Die drei Monate, die ich hier verbringen würde, kamen mir plötzlich viel kürzer als zuvor vor. Das war entlastend, denn noch war alles neu, aufregend, aber auch anstrengend. Ein wenig machte sich in mir aber jetzt schon das Gefühl breit, dass der Abschied irgendwann ein schwieriger werden würde. Wenn man bedenkt, dass die Uhren in Zypern etwas anders ticken, war der aber noch Ewigkeiten entfernt.