Zwischen Büffeln in alten Gemäuern, Schuluniformen und Elite-unies...
Ein Blick auf das vielgelobte Bildungssystem in UK
Als ich im November hier in Glencraig ankam war mir nicht bewusst, dass die Camphill Community eine der teuersten Privatschulen Nordirlands zum Nachbarn hat und so ist es wenig erstaunlich, dass ich mich bei meiner ersten Begegnung mit nordirischen Schülern schlagartig in einen Harry Potter Film hineinversetzt fühlte. „Wo kommen die denn her?“, fragte ich mich verdutzt, als ich ganze Horden von Mädchen und Jungen in dunkelgrünen Uniformen aus einem burgähnlichen Anwesen strömen sah. Ähnlich überrumpelt war ich, als ich mich auf einem Trip nach Belfast plötzlich mitten auf dem gediegen und äußerst gepflegt anmutenden Campus der Queens University, einer der führenden Hochschulen Nordirlands, wiederfand - in Deutschland sehen Bildungsanstalten irgendwie weniger spektakulär aus... Spätestens nach einer ausführlichen Diskussion mit einer hiesigen Schülerin in ihrem letzten Schuljahr war meine Neugier vollkommen entfacht - warum hatte ich mich noch nie zuvor mit dem britischen Bildungssystem beschäftigt? Hat nicht fast jedes Kind schonmal mit der Vorstellung gespielt, in Hogwarts zur Schule zu gehen und viele junge Erwachsene mit der Idee in Cambridge oder Oxford zu studieren? Über die vielen Besonderheiten einer schulischen Karriere im Vereinigten Königreich und seine Unterschiede zum deutschen Bildungssystem möchte ich im Folgenden einen Überblick geben.
Im Vereinigten Königreich herrscht Schulpflicht vom fünften bis zum 16. Lebensjahr. Manche Eltern entscheiden sich allerdings dafür, ihre Kinder zuvor in eine Krabbelgruppe („toddler group“), einen Kindergarten („Playgroup“) oder eine Vorschule („Nursery School“) zu schicken, wobei man pro Jahr für eine bestimmte Anzahl an Wochenstunden und Wochen Anspruch auf diese Art von Betreuung hat. Werden die Kleinen dann mit etwa 5 Jahren eingeschult, so beginnt ihre Schullaufbahn in einer sogenannten „Primary School“, die in der Regel für 6 Jahre besucht wird. In vielen solchen Grundschulen gibt es, um das ganze noch etwas komplizierter zu machen, zusätzlich eine Unterscheidung zwischen „Infant School“ für die ersten zwei Schuljahre und „Junior School“ für die vier darauffolgenden. Mir ist aufgefallen, dass das britische Schulsystem deutlich stärker auf die spätere berufliche Karriere ausgerichtet zu sein scheint als das deutsche, wie wir im Folgenden sehen werden, und ich weiß nicht ob ich diesen zusätzlichen Druck auf Kinder und Eltern wirklich gutheißen kann. Bereits vor dem Übertritt in die „secondary school“ mit etwa 11 Jahren, müssen die Kinder ihren zweiten SAT („standard attainment test“) absolvieren, der ihre bisherigen schulischen Leistungen auf den Prüfstand stellt und dessen Ergebnis im Zweifelsfall bei der Entscheidung für die geeignete weiterführende Schule entscheidend sein kann. Besagte Entscheidung für die richtige Schule ist dann auch gar nicht so trivial wie es klingt: die Mehrheit britischer Schüler*innen besucht zwar eine „Comprehensive School“, etwa einer deutschen Gemeinschaftsschule entsprechend, es gibt aber genauso eine Reihe an „grammar schools“, die in ihrem Ruf und Niveau eher deutschen Gymnasien entsprechen, sowie unzählige teure Privatschulen, die ironischerweise häufig „Public Schools“ genannt werden, von Stiftungen betriebene „academies“ und verschiedenste spezielle Schultypen, die beispielsweise einen kirchlichen Träger haben oder einen Fokus auf alte gällische Sprache und Traditionen legen (und besonders in Schottland vertreten sind). Auch „Homeschooling“, also das Unterrichten durch beispielsweise die Eltern von Zuhause, welches in der UK vollkommen legal ist, stellt auch unabhängig von Corona keine Seltenheit dar. Zusätzlich stehen Eltern natürlich vor der Entscheidung, ob ihr Kind eine gemischte Lehranstalt oder eine reine Mädchen- oder Jungenschule besuchen soll. In der neunten Klasse steht dann der nächste Schritt in Richtung Zukunftsprägung an, wenn die Jugendlichen Kurse für ihre letzten zwei Schuljahre vor dem Ende ihrer Schulpflicht wählen müssen. Diese Kurse sollen die jungen Schüler*innen ganz gezielt auf ihre „GCSE-Prüfungen“ („General Certificate of Secondary Education“) vorbereiten, welche in etwa dem deutschen Realschulabschluss entsprechen. Danach steht es den in der Regel 16-Jährigen offen, ob sie die Schule verlassen, eine Ausbildung beginnen oder für zwei weitere Jahre in der „sixth form“ die Schulbank drücken wollen. Nicht alle „secondary schools“ bieten solche, auf den Erwerb der „A-levels“ (Abitur) ausgerichteten Klassen an, und nicht selten wird dafür nochmal die Schule gewechselt. In dieser zweiten Sekundarstufe müssen sich die Schüler noch mehr auf ein paar wenige Interessengebiete fokussieren, da sie lediglich drei bis fünf prüfungsrelevante Leistungskurse wählen und besuchen. Eine andere Möglichkeit der „further education“ stellen „colleges“ (Berufsschulen) dar. Für die Bewerbung an vielen Universitäten im Vereinigten Königreich sind mit einem bestimmten Notendurchschnitt bestandene A-levels eine wichtige Voraussetzung und werden generell als Faktor für eine bessere berufliche Karriere gesehen.
Auch die Zeit, die britische Schüler jährlich in der Schule verbringen ist etwas anders organisiert als in Deutschland. In der Regel beginnt der Unterricht in einer secondary school jeden Tag von Montag bis Freitag um 8.45 und endet um 15.30, wobei eine Schulstunde nicht wie aus Deutschland gewohnt 45 sondern 50 oder 55 Minuten lang dauert. Das ganze Schuljahr ist dabei nicht in zwei Halbjahre, sondern drei „terms“ unterteilt. Sitzenbleiben gibt es im Vereinigten Königreich übrigens auch nicht, im Zweifelsfall muss Nachhilfe genommen, oder bestimmte Kurse wiederholt werden. Dabei ist anzumerken, dass so etwas wie ein Klassenverband ebenfalls nicht wirklich existiert, da die Schüler schon so früh ganz individuelle Kurse belegen. Neben den „üblichen“ Fächern wie Mathe, Sprachen, Naturwissenschaften, Religion und Sport gibt es aber auch ein paar besondere Kurse wie Theater oder Technik, sowie eine Vielzahl an AG-Angeboten wie Debattierclubs, Rugby oder Chöre.
Von der etwas anderen Art der Benotung in England und Co. hat bestimmt auch jeder schonmal gehört. Anstelle von Zahlen bekommen die Schüler*innen Buchstaben zwischen „A“ und „F“, wobei „A“ für „excellent“ steht und die beste Note darstellt und man mindestens ein „C“ aufweisen muss (entsprechend 60% richtige Antworten) um eine Klausur zu bestehen, wobei dies allerdings keine Auswirkung auf die Versetzung hat, wie bereits zuvor angemerkt.
Kommen wir anschließend noch zu einem weiteren großen Unterschied zu deutschen Schulen: den viel diskutierten Schuluniformen. In praktisch allen öffentlichen und auch vielen privaten Schulen müssen diese standardisierten Kombis aus Hose/Rock und Hemd/Bluse zumindest bis zum Ende der 11. Klasse getragen werden und es ist keine Frage, dass sich die Pro- und Kontraargumente zu diesem Thema nur so häufen. Ein Aspekt auf den ich allerdings erst hier vor wenigen Tagen aufmerksam gemacht wurde, sind die praktischen Mängel einer solchen Einheitstracht: es ist ganz logisch, dass die Garnituren zwar in verschiedenen Größen, keineswegs aber auf verschiedene Körperformen zugeschnitten werden. Wer da nicht in die Norm passt hat Pech gehabt und muss sich mit Sicherheitsnadeln und Gummibändern abfinden. Und dass die kurzen Röcke in Kombination mit viel zu dünnen Strumpfhosen oder Strümpfen für Mädchen nicht nur einen sexistischen Touch haben, sondern im Winter schlichtweg völlig ungeeignet ist, steht außer Frage....
Wer sich dann bis zu den A-levels durchgekämpft hat, dem steht die scheinbar endlose und international wohlgeschätze Studienlandschaft des Vereinigten Königreichs offen - mit an die 200 Universitäten und Hochschulen allein in England. Viele davon übertreffen sich geradezu in ihrem Renommee, unzählige der bekanntesten Gesichter in Wissenschaft und öffentlichem Leben haben ihren Abschluss in Großbritannien gemacht und dass sich vier der zehn top Unis der Welt allein in London befinden spricht wohl für sich. Für diese hohen Standards zahlt man als Studierende*r natürlich auch einen gewissen Preis, und zwar im wortwörtlichen Sinne: bei einer staatliche Hochschule muss man schon mit jährlichen Studiengebühren von 6 000 bis 10 000 Euro rechnen und wie das beispielsweise in Oxford aussieht will man sich gar nicht vorstellen. Natürlich gibt es auch in der UK ähnlich wie in Deutschland Stipendien, BaföG und spezielle Studienkredite, aber einfach stelle ich mir das finanzielle Haushalten dennoch nicht vor. Auf der anderen Seite garantieren ebendiese hohen Gebühren natürlich einen wesentlichen Teil einer Spitzenbildung, häufig mit deutlich weniger überlaufenden Vorlesungssälen im Vergleich zu Deutschland und gleichzeitig logischerweise mehr Raum für individuelle Unterstützung und Förderung. Auch im Vereinigten Königreich startet man seine Hochschulkarriere in der Regel mit einem Bachelorstudiengang im sogenannten „undergraduate“ Bereich. Dieser dauert zumeist 3 Jahre, woraufhin man sich entweder für einen direkten Einstieg ins Berufsleben oder ein bis drei weitere Jahre in einem Masterstudiengang („Graduate“ Bereich) entscheiden kann. Interessanterweise bewirbt man sich für einen Bachelorstudiengang nicht direkt bei der Wunschuniversität, sondern beim sogenannten „Universities and Colleges Admissions Service“ (UCAS).
Auf einen weiteren Aspekt möchte ich noch eingehen, bevor ich es für heute beruhen lasse: und zwar die riesige Zahl an ausländischen Studenten, die sich jährlich auf ein Studium in der UK bewirbt, und inwiefern der Brexit dies drastisch verändern wird. Bisher war es dank des ERASMUS Programmes, gerade als europäischer Studieninteressent durchaus möglich und wurde sogar gerne gesehen, einen Studienplatz auf der Insel zu ergattern. Unterstützung gab es dabei nicht nur mit der Finanzierung, sondern auch mit Dingen wie Visa, deren mühselige Beantragung einem erspart wurden. Ist doch logisch, denk ihr euch vielleicht jetzt, schließlich gewinnen die europäischen Hochschulen ja auch Tag für Tag durch den lebendigen Austausch vieler junger Menschen, über alle kulturellen Grenzen hinweg! Wie aber lässt sich dann erklären, dass die UK mit Vollzug des Brexit vollkommen aus dem Erasmus-Programm aussteigen wird??! Zwar gibt es von Seiten der UK bereits Pläne für ein Programm, dass es britischen Studierenden ermöglichen soll, für ihr Studium ins Ausland zu gehen, aber diese Einseitigkeit zeigt für mich vor Allem eines: da ist irgendwo ein wesentlicher Teil des europäischen Ethos verloren gegangen...
Literatur (letzter Zugriff auf alle Internetquellen am 19.01.21)
- https://www.travelworks.de/schueleraustausch-england/schulsystem-england.html
- https://www.studienkreis.de/englisch/schulsystem-grossbritannien/
- https://www.studying-in-uk.org/de/bildungssystem-von-england-leitfaden/
- https://auswandern-info.com/england/schule-bildung
- https://www.studium-ratgeber.de/studium-england/
- https://www.wiwo.de/erfolg/hochschule/britische-hochschulen-der-brexit-macht-das-uk-studium-dreimal-teurer/26828382.html
- https://de.wikipedia.org/wiki/Schulsystem_im_Vereinigten_Königreich#Gaelic_Medium_Schools
- https://www.deutschlandfunkkultur.de/academies-in-grossbritannien-ein-schulsystem-ausser.979.de.html?dram:article_id=450960
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